Intuition und Strategie
Geistesblitze
Eigentlich ist Napoleon an William Duggans Buch schuld. Der große Stratege war für seine Intuition bekannt, seine "Geistesblitze". Daraus entwickelte William Duggan den Begriff der "strategischen Intuition" - und seine spannende Analyse.
8. April 2017, 21:58
William Duggan, Professor für Management an der Columbia Universität, arbeitete früher in einem Unternehmen. Einmal sollte er sich etwas zum Thema "Strategie" einfallen lassen. Und da stieß William Duggan durch Zufall auf Napoleon und in der Folge auf strategische Intuition.
"Ich habe im Lexikon nachgeschlagen, aber die Definition für Strategie war langweilig", erzählt William Duggan im Gespräch. "Ich dachte mir, mit einer allzu simplen Definition hätte ich die Leute sicher beleidigt. Doch in diesem Lexikon ist auch vermerkt gewesen, wann das Wort in die englische Sprache Eingang gefunden hat. Daran bin ich hängengeblieben, denn das war erst 1810. (...) Es hat nicht geheißen: zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sondern 1810. Ich dachte mir, da könnte etwas Interessantes dahinterstecken."
Inspiriert von Clausewitz
1810 wurde "Strategie" zu einem wissenschaftlichen Begriff. Der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz entwickelte eine Definition von militärischer Strategie. Dabei analysierte er Napoleons Erfolge auf dem Schlachtfeld, der übrigens im Jahr 1810 auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. William Duggan war fasziniert und kämpfte sich durch das von Clausewitz-Werk "Vom Kriege".
"Er hat auf sehr komplizierte Weise dargelegt, was er für den Kern von Napoleons Strategie hielt", so Duggan. "Dabei hat er den französischen Begriff 'Coup d'oeil' verwendet. Beim Lesen wurde mir klar, dass seine Beschreibung sehr gut auf das passt, was wir wissenschaftlich 'Intuition' und die Bildung von Gedanken im Gehirn nennen. Das heißt, ich hatte einen Geistesblitz über den Geistesblitz."
Daraus entwickelte William Duggan den Gedanken der strategischen Intuition. Sie unterscheidet sich von anderen Arten der Intution, wie etwa dem Instinkt, dem, was man umgangssprachlich als spontanes Bauchgefühl bezeichnet.
Voraussetzung Entspannung
Eine zweite Art der Intuition hat Malcolm Gladwell als "Blink" populär gemacht. Blink ist Expertenwissen, das sich in blitzschnellen Entscheidungen ausdrückt. Wenn ein Kunsthistoriker ein Museum betritt und er eine an sich beeindruckende griechische Statue spontan als Fälschung erkennt, dann liegt dem Expertenfähigkeit zugrunde. Diese Art von Intuition basiert zwar auf einem Denkprozess, doch dieser läuft so schnell ab, dass man dessen Schritte im Nachhinein nicht nachvollziehen kann.
Strategische Intuition besteht für William Duggan - in Anlehnung an Clauswitz - aus vier Schritten. Der erste: Erinnerung an Muster aus der Vergangenheit, die in neuen Ideen resultieren.
"Üblicherweise kommen Geistesblitze, wenn der Geist entspannt ist", sagt Duggan. "Wenn man Leute fragt, wann sie ihre besten Ideen haben, kommt als typische Antwort: unter der Dusche. Und natürlich ist das kein Geistesblitz übers Duschen, sondern über die Arbeit oder etwas anderes, an das sie im Augenblick nicht gedacht haben. Dieser Geistesblitz, wenn Dinge sich im Kopf miteinander verbinden, ist strategische Intuition."
Kreative Meisterleistungen
Es gibt noch etwas, das strategische Intuition von jener des Experten unterscheidet. Bei Letzterer muss man etwas selber gelernt, geübt, erfahren haben. Strategische Intuition hingegen bedient sich am kompletten Fundus persönlicher Erfahrungen, also auch an Dingen, die man gehört, gelesen oder im Fernsehen gesehen hat.
Der Autor präsentiert in seinem Buch zahlreiche Beispiele von kreativen Meisterleistungen, die auf der Kombination von verschiedenen Ideen zu einem neuen, originellen Werk oder Produkt beruhen. Pablo Picassos berühmtes Bild "Les Demoiselles d'Avignon" vereinigt etwa Einflüsse von afrikanischen Skulpturen mit Elementen seines Freundes und ebenso berühmten Künstlers Henri Matisse. Die Legenden der Computerindustrie wie Bill Gates von Microsoft und Apple's Steve Jobs ließen sich alle von verschiedenen, existierenden Elementen inspirieren. Der Autor zitiert Steve Jobs, der sich dieses Vorgangs völlig bewusst ist.
Kreativität bedeutet, Dinge einfach miteinander zu verbinden. Fragt man einen kreativen Menschen, wie er dies oder das gemacht hat, erntet man nur einen etwas verlegenen Blick, denn eigentlich hat nicht er es gemacht, es hat sich irgendwie von selbst gemacht, und er hat es nur entdeckt. Und das erschien ihm nach einer Weile ganz selbstverständlich. Das liegt daran, dass kreative Menschen über die Fähigkeit verfügen, Erfahrungen aus der Vergangenheit miteinander in Verbindung zu bringen und daraus neue Dinge zu bilden.
Geistes-Gegenwart
Doch es braucht bestimmte Bedingungen, um die vielen verschiedenen Erfahrungen aus der Vergangenheit zu nützen. William Duggan beschreibt die weiteren, wichtigen Elemente der strategischen Intuition: "Der zweite Schritt besteht in Geistesgegenwart. Der Geist muss von vorgefassten Meinungen über das Problem, die Lösung und die Zielsetzung frei sein. Und das passiert deshalb unter der Dusche, weil man geistig entspannt ist. Diesen Zustand bewusst herbeizuführen ist sehr schwierig."
"Der dritte Schritt ist der Geistesblitz an sich", so Duggan weiter. "Dabei holt sich ein entspanntes Gehirn historische Beispiele hervor und kombiniert sie. Man fügt sie wie ein Puzzle zusammen. Wissenschaftlich ist noch nicht ganz klar, wie das vor sich geht. Der vierte Schritt nach von Clauswitz betrifft den Entschluss, die Entscheidung, den Willen zur Handlung. Man sagt sich nicht: Ach, jetzt verstehe ich. Jetzt weiß ich, was ich tun muss. Sondern man sagt: Ich weiß, was zu tun ist, und ich will es auch tun."
Umgekehrtes Brainstorming
Von Clauswitz erklärt nicht, wie man Geistesgegenwart kultiviert. Um das zu lernen, so William Duggan, muss man sich mit Buddhismus, sowie der geistigen Disziplin asiatischer Kampfsportarten beschäften. Diese trainieren die Fähigkeit, mit den Gedanken im Hier und Jetzt zu sein. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Kreativität zustande kommt. Doch in den meisten Unternehmen hält man am traditionellen Brainstorming fest. Das heißt, am Mittwoch um 15:30 Uhr sollen Mitarbeiter eine Stunde lang Ideen entwickeln. William Duggan hält davon nicht viel.
"Man sollte jeden Tag nach Elementen suchen, Ideen aufnehmen und kombinieren", meint er. "Man sollte sich entspannen, - abends oder in der Dusche oder bei einem Spaziergang -, damit Ideen entstehen können. Manche Leute sagen: Ja, aber beim Brainstorming findet Gedankenaustausch statt. Worauf ich antworte: Ist das die einzige Gelegenheit, wenn bei Ihnen Gedankenaustausch stattfindet? (...) Wenn jemand eine Idee hat, dann sollte er sie an andere schicken."
Duggan empfiehlt daher "umgekehrtes Brainstorming", und das funktioniert so: Man trifft sich zwar am Mittwoch um 15:30 Uhr, doch nicht um Ideen zu gebären, sondern um Ideen, die Mitarbeiter über eine Woche hindurch entwickelt haben, zu präsentieren, anzuhören und diskutieren.
"Wenn man sich entspannt, vor dem Einschlafen oder im Fitness Center, können gute Ideen kommen", so Duggan. "Diese sollen die Leute aufschreiben und dann zur Sitzung bringen. Und noch etwas: Es ist egal, worauf sich die Idee bezieht. Eines der Probleme beim Brainstorming ist, dass man über die Sache X nachdenkt. Doch Innovation passiert üblicherweise dann, wenn plötzlich eine Idee über Y auftaucht."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
William Duggan, "Geistesblitze. Wie wir Intuition zur Strategie machen können", aus dem Amerikanischen von Regina Schneider, Luebbe Verlag
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