Suche nach dem Glücksgen

Das größere Glück

Richard Powers' neuer Roman ist eine Synthese aus den Themen von Orwells "1984" und Huxleys "Brave New World". Der 52-jährige Amerikaner schildert ein Szenario, in dem die Nachricht verbreitet wird, eine Frau besitze das Glücksgen.

Die Menschheit hat während ihrer ganzen Geschichte den Trost der Literatur gebraucht, weil das Dasein kurz, hoffnungslos und sinnlos war.

Thomas Kurton, der alle Medien souverän bespielende Stargenetiker aus Richard Powers' neuem Roman "Das größere Glück", rechnet selbstbewusst mit den Schriftstellern ab. Sie sind ihm - alles in allem - zu pessimistisch.

Aber nun, da wir auf der Schwelle zu dem längeren, weniger schmerzhaften und zufriedenstellenderen Leben stehen, das unser Gehirn verdient hat, muss die Kunst uns endlich etwas jenseits von edlem Stoizismus aufzeigen.

Literatur und Wissenschaft verbunden

Powers stellt die beiden Lager gegenüber: Auf der einen Seite der von Selbstzweifeln befallene Schriftsteller Russell Stone und einige seiner Kollegen, die in Talkshows genervt und wenig überzeugend versuchen, Kurton Paroli zu bieten, und auf der anderen Seite die Biotechniker und Wissenschaftsjournalisten, die auf einer Welle der öffentlichen Zustimmung reiten. Zwischen den beiden Lagern gibt es wenig Verbindung. Außer man hält gegenseitige Verachtung auch für eine Verbindung - die nämlich gibt es, nicht nur im Roman, sondern auch in der Wirklichkeit, wie Powers bemerkt:

"Ja, da gibt es eine gewisse Feindseligkeit", meint Richard Powers im Interview. "Aber ich war schon immer amüsiert und auch erstaunt darüber, dass Literatur und Wissenschaft als zwei derart voneinander getrennte Welten gesehen werden. Literatur untersucht, wer wir sind und wo wir sind. Aber ich kann mir niemanden vorstellen, der leugnet, dass auch Wissenschaften (...) an den Antworten auf diese Fragen beteiligt sind."

Panik vor der Spezialisierung

Richard Powers ist einer der wenigen Schriftsteller von Weltrang, der sich darauf spezialisiert hat, alltagsrelevante naturwissenschaftliche Themen aufzugreifen. Ob in seinen Romanen über Informatik, Neurologie oder Atomphysik, Powers beherrscht beides: die Kunst des Geschichtenerzählens und das Fach, um das es ihm jeweils geht. Denn eigentlich wollte er Naturwissenschaftler werden. Der 52-Jährige, der heute Literaturwissenschaft an der Universität von Illinois unterrichtet, begann seine Laufbahn mit einem Physikstudium, aber nach ein paar Semestern schmiss er hin.

"Beim Gedanken daran, mich spezialisieren zu müssen, empfand ich ein Gefühl großer Panik", erinnert sich Powers, "Panik, zu viele Türen schließen zu müssen, denn ich wollte eigentlich Physiker sein und Chemiker und Biologe und Geologe und Musiker und Soziologe und Historiker. Der einzige Beruf, in dem ich meine vielfältigen Interessen unterbringen konnte und mein Vergnügen, das ich an all diesen Themen empfand, und wo ich ein Leben für mich sah, das auf Zusammenhängen basierte, das war die Schriftstellerei."

Den Zufall ausschalten wollen

"Letztes Jahr erhielt Richard Powers für seinen neunten Wissenschaftsroman "Das Echo der Erinnerung" den wichtigsten amerikanischen Literaturpreis, den National Book Award for Fiction. Jetzt ist sein zehnter Roman, "Generosity", zu Deutsch "Das größere Glück" erschienen. "Es spielt mit dem Thema des genetischen Geworfenseins und einer Welt, die den Zufall ausschalten will, um den Menschen dafür die Wahl einzuräumen, wer sie sein wollen", so Powers.

Thomas Kurton, Gen-Biologe und Vorstand eines Firmenimperiums, das seine Aktionäre mit der Aussicht auf die Entdeckung des Glücksgens in Euphorie versetzt, meint, in der algerischen Studentin Thassa die Trägerin der entsprechenden Genvariante gefunden zu haben. Kurton ist ein geschickter Vermarkter seiner Projekte, ein Prediger des post-genomischen Zeitalters, und weiß, was die Medien brauchen: Keine abstrakten Visionen, sondern eine Person, die das Produkt verkörpert, das er verkaufen will: Glück für alle - für alle, die es sich leisten können.

"Weshalb sollten wir uns nicht besser machen? Wir sind längst nicht vollkommen. Weshalb sollten wir etwas derart Fabelhaftes wie das Leben dem Zufall überlassen?", fragt Kurton und deutet auf Thassa, die Verkörperung des Versprechens auf Glück. Er möchte das Glück sozusagen aus ihr herausdestillieren, nachbauen und Duplikate davon in Designerbabys zu neuem Leben erwecken.

Sinnsuche

"Der Schriftsteller hat diese wundervolle Möglichkeit, auf das Selbstverständnis der vielen von der Idee der Selbstverbesserung Besessenen zu schauen und zu sehen, dass die verzweifelte Suche nach Glück in Gefühlen wie Isolation, Hoffnungslosigkeit und Leid wurzelt, Leid, das wir empfinden, wenn wir nicht ändern können, wer wir sind", meint Powers.

"Eigentlich denke ich, die besten Geschichten über Menschen und ihre Potenziale sind die, die realisieren, dass es uns gar nicht um das größere Glück geht, um perfekte Gesundheit, das ultimative Hochgefühl und den Sieg über den Tod", so Powers weiter. "Vielleicht liegt die wahre Zufriedenheit darin, (...) nicht Glück zu finden, sondern Sinn."

Powers' Genom entschlüsselt

Richard Powers hat im Rahmen der Vorbereitungen auf seinen Roman "Das größere Glück" einen Selbstversuch gewagt: Er ließ sein vollständiges Genom entschlüsseln. "Als man mir dieses Angebot machte, sagte ich zuerst: Nein", erinnert sich Powers. "Tut mir leid. Das kann ich nicht machen. Denn die Aussicht, dass sich die Büchse der Pandora für mich öffnen würde, dass ich darin alle meine potenziellen Gesundheitsgefahren sehen könnte, wissend, dass ich gegen die meisten überhaupt nichts würde unternehmen können, reizte mich nicht wirklich. (...) Ich brauchte ungefähr zwei Wochen, in denen ich recherchierte und Mut sammelte, bis ich so weit war, bereit, mein komplettes Genom entschlüsseln zu lassen."

Nun ist Richard Powers einer von nur zehn Menschen weltweit, der im Detail weiß, welche Erbanlagen er besitzt. Die Aktion, die damals 350.000 Dollar kostete, war zum Zeitpunkt dieses Interviews schon auf den Preis von 99.000 Dollar gefallen.

"Die Aussicht, dass die Entschlüsselung in zwei Jahren nur noch 1.000 Dollar kosten wird, ist durchaus realistisch. Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, glauben, dass man das bald routinemäßig macht, wenn ein Kind geboren wird", befürchtet Powers. "Alle Informationen über die drei Milliarden Basenpaare des individuellen Genoms werden dieser Person dann lebenslänglich zur Verfügung stehen. Sie werden Teil des Krankenblattes sein, das wir herumtragen, von der Wiege bis zur Bahre."

Leben in der Zeitenwende

In zwei Jahren beginnt diese Zukunft - das ist bald. Wir leben in einer Zeitenwende, scheinen das aber nicht zu spüren. Es geht um die Abschaffung des Lebens, so wie wir es kennen. Nicht nur um die üblichen allmählichen Transformationen, sondern um einen Bruch. In einem Streitgespräch mit Thomas Kurton sagt einer seiner Gegner:

Genetische Verbesserung bedeutet das Ende der menschlichen Natur. Beherrscht man das Schicksal, dann zerstört man alles, was die Menschen verbindet und dem Leben Würde verleiht. Eine Geschichte ohne Hindernisse und Ende ist keine Geschichte.

Wer wollen wir sein?

Powers nannte seine Art zu schreiben spaßeshalber einmal "Factitious Fiction". Aber eigentlich will der 52-jährige Amerikaner kein Sonderfach der Literatur begründen. Er will, dass seine Romane ein selbstverständlicher Teil davon sind: "Ob ich nun über Molekulargenetik ein Buch schreibe oder über die virtuelle Realität, über Musik oder über Fotografie: Es geht immer um unsere Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte. Es gibt keinen Unterschied zwischen unseren Wissenschaften, unseren Technologien und uns."

Das sind alle: Wir. Aber die wichtigste Frage im Zusammenhang mit der Gentechnologie ist: Wer wollen wir sein? Immer wieder geht es in Powers' Roman darum, dass genau diese Frage im Eifer der Glücksgen-Euphorie nur nebenbei gestellt wird. Es geht um kraftlose Kritiker, selbstverliebte Wissenschaftler und eine Öffentlichkeit, die nur auf den Moment gewartet hat, wo der Erlöser sich zeigt, einer, der ihnen die schwere Verantwortung der Sinnfindung abnimmt.

"Ich denke, das ist die wichtige Aufgabe der Schriftsteller heute, einen gründlichen Blick darauf zu werfen, wie Menschen durch die Technologien Zeit und Raum verändert haben", meint Powers, "und dabei zu helfen, dass die menschliche Psyche mit diesen Entwicklungen Schritt halten kann. Genau das ist meines Erachtens der Sinn von Literatur."

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 16. Oktober 2009, 16:55 Uhr

Ex libris, Sonntag, 18. Oktober 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Richard Powers, "Das größere Glück", aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens, S. Fischer Verlag

Link
S. Fischer - Das größere Glück