Nick Hornbys neuer Roman

Juliet, naked

Von Menschen, deren beste Jahre erstens nie gut waren und zweitens vorbei sind; von einem Popstar, der eigentlich nie ein Star war, der aber plötzlich zum Beziehungsproblem für seinen größten Fan wird: Davon erzählt Nick Hornby in seinem neuen Roman.

Über Typen wie Duncan haben wir uns schon in früheren Nick-Hornby-Büchern amüsiert: Duncan ist ein misanthropischer Folkrock-Nerd von Mitte vierzig, der mit seiner Freundin Annie in einem Badeörtchen im nördlichen England lebt. In Gooleness, so heißt das Kaff, gibt‘s nicht viel außer einem Haufen Möwen, ein paar frierenden Kurgästen und zwei, drei trostlosen Bingohallen.

Duncan unterrichtet mit mäßigem Engagement am örtlichen College, Freundin Annie, 40, arbeitet als Kuratorin im lokalen Heimatmuseum. Die beiden führen seit Jahren eine mehr als freudlose Beziehung, routiniert und ohne nennenswerte Höhepunkte, was vielleicht auch mit Duncans fast schon pathologischer Begeisterung für den US-amerikanischen Singer-Songwriter Tucker Crowe zu tun hat.

Ein Geheimtipp als Idol

Duncan ist einer der weltweit führenden Tucker-Crowe-Fans. Täglich verbringt er Stunden im Internet, um sich auf der von ihm mitverwalteten Tucker-Crowe-Plattform mit Gleichgesinnten auszutauschen. Dabei hat Tucker Crowe seine besten Jahre längst hinter sich.

Der von Nick Hornby erfundene Singer-Songwriter – stilistisch irgendwo zwischen Bob Dylan und dem mittleren Leonard Cohen angesiedelt – hat nie zu den Stars des Genres gehört, war immer eine Art Geheimtipp. Seit sich der Künstler aber 1986 von einem Tag auf den anderen aus dem Musikbusiness zurückgezogen hat, wird er von ein paar Dutzend Fans weltweit kultisch verehrt...

Nick Hornby hat also wieder einen Popmusik-Roman geschrieben. Das Thema scheint den 52jährigen nicht loszulassen. Pop, so erklärt Hornby, ist kein bloßes Jugendphänomen mehr wie früher: Künstler wie Bob Dylan, Neil Young oder Bruce Springsteen seien heute selbst schon überwutzelte ältere Herren, wie könnte ihre Musik da ausschließlich junge Leute begeistern? Hinter seinem, Hornbys Interesse, stecke mehr als nur Nostalgie.

Fake-Star auf Wikipedia

Liest sich ganz vergnüglich, die gefakte Rockmusik-Vita, die Nick Hornby seinem Singer-Songwriter Tucker Crowe in seinem Roman verpasst hat, mit fingiertem Wikipedia-Eintrag und allem, was sonst noch dazugehört.

Tucker Crowe, so will uns Hornby weismachen, hat in den 70er und 80er Jahren fünf Studioalben veröffentlicht, keines davon schaffte es unter die Top dreißig der berühmten Billboard-Charts. Die letzte LP aber, "Juliet" aus dem Jahr 1986, kam immerhin auf Platz 29. "Juliet" war Crowes größter Erfolg, und Duncan, sein ihn abgöttisch liebender Fan, kann natürlich jeden der zehn Songs auf dem Album auswendig rauf und runter singen.

Das Idol wird zum Beziehungsproblem

Und dann - damit bringt Hornby die Handlung in Schwung - kommt plötzlich und unerwartet ein Album mit verschollen geglaubten Demobändern von "Juliet" auf den Markt, "Juliet, naked", so der Titel.

Duncan ist aus dem Häuschen. Er veröffentlicht eine hymnische Kritik auf der Tucker-Crowe-Internetseite - und reagiert vollkommen fassungslos, als seine Lebensgefährtin Annie eine kritische Gegen-Bespechung auf das Portal stellt. Um ihren Lover zu ärgern natürlich, und um vielleicht einen Funken Gefühl in ihm zu wecken, und seien es nur Wut und Empörung.

Nick Hornby hat sich das alles schön ausgedacht, Beziehungsverwicklungen zwischen patenten Frauen mit leisen Selbstzweifeln und mehr oder weniger lebensunfähigen Nerds sind schließlich seine Spezialität. Richtig spannend wird’s in "Juliet, naked", als dann Tucker Crowe, der verschollen geglaubte Rock-Star persönlich, sich mit einem Mail bei Annie meldet und ihr zu ihrer hellsichtigen Plattenbesprechung gratuliert.

Liebe in Zeiten des Internets

Annie beginnt eine flirtive E-mail-Korrespondenz mit dem Singer-Songwriter - ohne ihrem Mann etwas davon zu verraten natürlich. Liebe in Zeiten des Internet, jetzt hat sie auch Nick Hornby entdeckt.

Ohne allzu viel verraten zu wollen: Der gescheiterte Rockstar Tucker Crowe hat einiges falsch gemacht in seinem Leben, so erfahren wir - zu viel Whisky gesoffen, vier Ehen in den Sand gesetzt, seine Kinder vernachlässigt. Als Annie in sein Dasein tritt, schöpft der alte Herr noch einmal Hoffnung. Beide Protagonisten, erklärt Nick Hornby, hätten wohl das Gefühl, eine Menge Zeit vergeudet zu haben in ihrem Leben.

Etwas für echte Fans

Nick Hornbys neuer Roman fängt stark und witzig an. Je mehr die Handlung aber voranschreitet, umso lascher und weniger überzeugend wirkt das alles. Vom Witz seines Zweitlings-Romans "High Fidelity" ist dieses Buch Lichtjahre entfernt, und wenn auch immer wieder des Autors sympathische Menschenfreundlichkeit aufblitzt, so hat man auch die schon überzeugender gestaltet gefunden in früheren Büchern des popbegeisterten Briten.

Fazit: Mit den Romanen Nick Hornbys ist es ein bisschen wie mit den Filmen Woody Allens. Es gibt stärkere und schwächere, was echte Fans allerdings nicht wirklich zu stören scheint. Echte Nick-Hornby-Aficionados werden auch von "Juliet, naked" angetan sein, obwohl das Buch zu den eher weniger gelungenen Werken des 52jährigen Briten zählt.

Hör-Tipps
Buch der Woche, Freitag, 23. Oktober 2009, 16:55 Uhr
Ex Libris, Sonntag, 25. Oktober, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Nick Hornby, "Juliet, naked", aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Kiepenheuer & Witsch