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Lösungsvorschläge zum Nahostkonflikt
Der Nahostkonflikt ist einer der hartnäckigsten in der Weltpolitik. Alle Lösungsversuche sind bisher gescheitert. Auch die neue US-Regierung kommt nicht weiter. Wie könnte der Friedensprozess nach Ansicht von Experten und Expertinnen dennoch in Gang kommen?
8. April 2017, 21:58
Es ist der 27. Dezember 2008, in Europa ein ruhiger Samstag zwischen Weihnachten und Neujahr, als die israelische Luftwaffe mit der Operation "Gegossenes Blei" gegen den Gaza-Streifen beginnt. Tagelangem Beschuss und Bomben aus Flugzeugen folgt die Invasion des kleinen Gebiets zwischen Israel und Ägypten am Mittelmeer.
Am 18. Jänner schließlich zieht Israel die Truppen zurück. Die Bilanz: an die 1.400 getötete Palästinenser, unter ihnen hunderte Frauen und Kinder, 5.000 Verletzte und 100.000 zerstörte Häuser. Auf israelischer Seite gibt es 13 Tote.
Israel hat die Militäraktion mit dem Raketen-Beschuss israelischer Dörfer vom Gaza-Streifen aus und überhaupt mit der Terrortätigkeit der im Gaza-Streifen herrschenden islamistischen Hamas begründet.
Eine Untersuchung der UNO unter Leitung eines südafrikanischen Richters über den Gaza-Krieg kommt zu dem Schluss, dass sowohl Palästinenser als auch Israelis Kriegsverbrechen begangen hätten. Israel bekämpft das Ergebnis mit allen politischen und diplomatischen Mittel, die ARD-Nahostexpertin Bettina Marx findet dagegen, dass Israel in dem Bericht noch gut wegkommt. Sie war von 2003 bis 2007 ARD-Hörfunkkorrespondentin in Israel und den Palästinensergebieten.
Eingeschlossen ohne Trinkwasser
Ein besonderes, für die Palästinenser existentielles Problem ist die nicht vorhandene Versorgung mit trinkbarem Wasser, was bald zum Ausbruch von Seuchen führen könnte. Erst in diesem Monat hat ja die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass Israel von den gemeinsamen Wasservorräten 80 Prozent für sich behält und den Palästinensern im Westjordanland und im Gazastreifen nur 20 Prozent übrig lässt.
Das Eingeschlossensein im Gazastreifen, das seit Jahren andauert, sei einer der Gründe für die Eskalation der Gewalt unter den Palästinensern: vom blutigen "Bürgerkrieg" zwischen der gemäßigteren Fatah und der radikalen Hamas im Juni 2007, betont Bettina Marx.
Sie schreibt in ihrem Buch, dass all das eine große Gefahr auch für Israel bedeute. Denn die Bevölkerung im Gazastreifen werde sich innerhalb der nächsten zehn Jahre von 1,5 Millionen auf drei Millionen verdoppeln. Israel werde dann einer Masse von gedemütigten, hungernden, fanatisierten Menschen ohne Bildung und ohne jede Perspektive gegenüberstehen, die dann womöglich auch die stärkste Armee im Nahen Osten nicht mehr aufhalten könne.
Friedensinitiativen auf beiden Seiten
Die deutsche Nahostexpertin Alexandra Senfft, früher für die UNO in den Palästinensergebieten tätig, gibt in ihrem Buch Gespräche mit Israelis und Palästinensern wieder, die mit der jeweils anderen Seite verkehren, Gespräche führen, ja sogar Freundschaften geschlossen haben - oft ganz normale Menschen an der Basis sozusagen, die einfach eingesehen haben, dass der Hass nichts bringt, dass beide Seiten auf ein Zusammenleben in gegenseitigem Respekt angewiesen sind.
Alexandra Senfft stellt in dem Buch hunderte Menschen und Organisationen vor, die sich auf beiden Seiten für Verständigung und Frieden einsetzen. Eine davon ist das israelisch-palästinensische Forum für trauernde Eltern, "Elternzirkel - Familienforum". Senfft bedauert, dass derartige Bemühungen vor dem gewaltsamen Hintergrund des Nahen Ostens in den internationalen Medien vernachlässigt würden.
Knackpunkt Siedlungspolitik
Der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser, der soeben auch ein Buch zum Nahostkonflikt veröffentlicht hat, verurteilt palästinensische Terroranschläge und Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Er kritisiert aber auch die israelische Siedlungspolitik als Angelpunkt für die derzeitige Verhärtung im Nahen Osten.
Im Westjordanland siedeln bereits mehr als 280.000 Israelis, das Land für die Palästinenser macht nur noch etwa ein Drittel aus und wird noch durch die Siedlungen, die sie verbindenden Straßen und die Trennmauer an der Grenze zu Israel durchschnitten. Im ehemals arabischen Ost-Jerusalem leben nun mehr als 180.000 Israelis.
Die Aussicht auf eine politische Lösung des Nahost-Konflikts ist derzeit - da sind sich alle drei Gesprächspartner einig - so schlecht wie schon lange nicht. Alexandra Senfft sieht jedoch die Chancen auf die Zwei-Staatenlösung, also ein Palästinenser-Staat neben dem israelischen Staat, noch nicht vollkommen geschwunden.
Sie ist ja auch in der sogenannten Road map vorgesehen, die das Nahostquartett EU, USA, Russland und UNO ausgearbeitet hat. In Geheim-Verhandlungen seien sich beide Seiten vor der Regierungsübernahme durch den rechtsgerichteteten Ministerpräsidenten Netanyahu schon sehr nahe gekommen, sagt Senfft.
Washingtons Rückzieher
Deshalb sei internationaler Druck auf Israel notwendig, den Siedlungsbau zu stoppen, sagen alle drei Autoren. Und sah es nach der Amtsübernahme von Präsident Obama zunächst so aus, als würde Washington auf einem Siedlungsstopp als Vorbedingung für neue Friedensverhandlungen bestehen, ist diese Position spätestens nach der vorwöchigen Reise von Außenministerin Clinton durch den Nahen Osten wieder revidiert.
Der Siedlungsstopp sei zwar wünschenswert, aber nicht mehr Bedingung für Verhandlungen, sagte Clinton da und brachte Palästinenserpräsident Abbas in große Schwierigkeiten. Abbas will ja nun bei der angekündigten Präsidentenwahl nicht mehr kandidieren.
Untätiges Europa?
Der französische Politikwissenschafter Alexander Gross betont, dass nicht nur die USA, sondern auch die europäischen Staaten auf Israel einwirken müssten. Auch Bettina Marx wirft der EU politische Untätigkeit vor. Sie meint, die EU beschränke sich darauf, Millionen Euro an die Palästinenser zu zahlen. So sei etwa die im Krieg zerstörte Infrastruktur im Gazastreifen hauptsächlich durch die EU finanziert worden. Und auch für die palästinensischen Behörden komme die EU auf.
Was die Siedlungspolitik angeht, hätte die EU sehr wohl Möglichkeiten, auf Israel Druck auszuüben. Dass das nicht geschieht, hängt für Alfred Grosser einerseits mit der uneinheitlichen Außenpolitik der EU zusammen, andererseits aber auch mit der Shoah, der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten.
Was man derzeit in Nahen Osten politisch sieht, da sind sich die drei Autoren einig, das gibt wenig Hoffnung auf eine Lösung in absehbarer Zeit. Denn sie könne nur auf Vernunft, Dialogbereitschaft und gegenseitigem Verständnis gründen - also dem, was die Israelis und Palästinenser praktizieren, die Alexandra Senfft in ihrem Buch beschreibt. Dass ihre Haltung von den maßgeblichen Politikern übernommen wird, scheint derzeit nicht in Sicht.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hitler besiegen
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Die ethnischen Säuberungen Palästinas
Nahöstliche Realitäten
Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 10. November 2009, 18:25 Uhr
Buch-Tipps
Bettina Marx, "Gaza. Berichte aus einem Land ohne Hoffnung", Verlag Zweitausendeins
Alexandra Senfft, "Fremder Feind so nah. Begegnungen mit Palästinensern und Israelis", Edition Körber Stiftung
Alfred Grosser, "Von Auschwitz nach Jerusalem. Über Deutschland und Israel", Rowohlt Verlag.