Die Folgen des Umbruchs
"Wahrheit und Freiheit müssen siegen" - Teil 2
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8. April 2017, 21:58
Zu einer großen Belastungsprobe für die demokratische Opposition wurde nach der erfolgreichen "samtenen" Revolution die Frage, wer zu den Präsidentenwahlen im Dezember 1989 ins Rennen gehen sollte. Der prominente Dramatiker und Dissident Vaclav Havel oder die charismatische Leitfigur des Prager Frühlings Alexander Dubcek?
Symbol des Prager Frühlings
Der 1968 an die Spitze der tschechoslowakischen KP gehievte Slovake Dubcek hatte sich für einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz eingesetzt und die Liberalisierung des Regimes eingeleitet.
Nach der Niederwalzung der Reformbewegung unterzeichnete Dubcek unter dem Druck des Kremls das erniedrigende sogenannte Moskauer Protokoll, mit dem die Tschechoslowakei ihren Sonderweg aufgab. Zwei Jahre später folgten der Parteiausschluss und die Degradierung zum Beschaffungs-Inspektor der Forstverwaltung von Bratislava.
Dubcek kehrte der Politik den Rücken und unterzeichnete auch nicht die Charta 77. Als er sich in den Novembertagen 1989 erstmals wieder in der Öffentlichkeit zeigte, wurde er als Symbolgestalt des Prager Frühlings begeistert empfangen.
Glanz und Zerfall einer Bewegung
Der Einzug auf die Prager Burg sollte dem Slowaken jedoch verwehrt bleiben. Zum Präsident der demokratischen Tschechoslowakei wählte das föderale Parlament am 28.Dezember 1989 Vaclav Havel. Dubcek wurde mit dem Posten des Vorsitzenden des föderalen Parlaments getröstet.
Im Juni 1990 fuhr das Bürgerforum bei den ersten freien Parlamentswahlen seit 1945 einen spektakulären Sieg ein. Aber nur ein Jahr später zerfiel die Bewegung. Unter Führung des machtbewussten Finanzministers Vaclav Klaus hatte sich eine Gruppe von Aktivisten abgespalten, um die konservative "Demokratische Bürgerpartei" zu gründen.
Aufstieg der Konservativen und Nationalisten
Der unaufhaltsame Aufstieg von Realpolitikern vollzog sich nicht nur im Bürgerforum. Ganz ähnliche Erfahrungen machten auch die Bürgerrechtskämpfer der slowakischen Schwesterorganisation "Öffentlichkeit gegen Gewalt". Hier boxte sich in kürzester Zeit Vladimir Meciar, der wendige Betriebsanwalt aus dem mittelslowakischen Trencin an die Macht.
Meciar führte die Slowaken später als Vorsitzender der nationalistischen "Bewegung für eine demokratische Slowakei" in die Unabhängigkeit, wonach er Ministerpräsident des neuen slowakischen Staates wurde. Die wachsende Kritik an seinem autoritären Regierungsstil führte schließlich 1998 zu seiner Abwahl.
Das Ende der CSSR
Drei Jahre später gab es die Tschechoslowakei nicht mehr. Ohne Einbeziehung der Bürger und Bürgerinnen beider Teilstaaten in die folgenschwere Entscheidung vollzogen der slowakische Regierungschef Vladimir Meciar und sein Prager Amtskollege Vaclav Klaus am 1. Jänner 1993 die Teilung des gemeinsamen Staates.
Meciars "Bewegung für eine demokratische Slowakei" gehört heute der nationalistisch-linkspopulistischen Regierung von Robert Fico an, Vaclav Klaus ist seit 2003 tschechischer Staatspräsident.
Abgang von Vaclav Havel
Um die slowakischen und tschechischen Vorkämpfer der Demokratie ist es still geworden. Vaclav Havel ist noch heute Liebling der internationalen Medien. Trotz wachsender Gesundheitsprobleme meldet sich der erste nicht kommunistische Präsident der Tschechoslowakei immer noch zu Wort, wenn er die Demokratie gefährdet sieht.
Mit seinem jüngsten tragikomischen Stück "Abgang", das von einem Mann erzählt, der plötzlich seinen hohen politischen Posten verliert, feierte Havel vor kurzem sein Comeback als Dramatiker.
Alles in allem sei die Bilanz der letzten 20 Jahre positiv, meinte der 72-Jährige am Vorabend des Jubiläums: "Selbstverständlich haben wir eine Menge Fehler gemacht. Aber möglicherweise haben wir noch viel mehr Fehler nicht gemacht. Die grundsätzliche Richtung, die unsere Gesellschaft damals unter unserer Führung einschlug, wurde beibehalten. Begriffe wie Demokratischer Rechtsstaat, Respekt vor Menschen und Bürgerrechtem oder freie Marktwirtschaft füllen sich allmählich mit Inhalt."
Mehr dazu in oe1.ORF.at
"Wahrheit und Freiheit müssen siegen" - Teil 1
Im Gespräch mit Vaclav Havel
Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 17. November 2009, 18:25 Uhr
Übersicht
- Wendejahr 1989