Alexander Kluges Firma dctp

Das k(K)luge Medien-Imperium

Das kann man nicht oft: Ein Wort gleichzeitig mit einem Groß- und mit einem Kleinbuchstaben schreiben - und beides ist richtig. Das Medien-Imperium des Alexander Kluge ist in inhaltlicher, aber auch in geschäftlicher Hinsicht ein "Kluges".

Schon früh gingen Oskar Negt und Alexander Kluge in der Beschäftigung mit dem Fernsehen gemeinsame Wege. Sie arbeiteten es auf und kritisierten es. Als in den 1960er Jahren der unaufhaltsame Siegeszug des Fernsehens begann, war ihnen dabei schnell klar geworden, dass das gesellschaftliche Konsequenzen zur Folge hatte. Es reichte daher nicht aus, das Medium nur schriftlich oder mündlich zu kritisieren. Sie hielten fest: Produkte lassen sich wirksam nur durch Gegenprodukte widerlegen, wie sie in ihrer "Theorie der Öffentlichkeit", 1972, verkündeten.

Dies wiederum meinte letztlich auch, dass Kluge früher oder später eigenständiges Fernsehen produzieren musste. Gewiss, eher später. Erst 1987 gründet er dctp, die Development Company for Television Program. Das unabhängige dritte Fenster im Fernsehen - zwischen oder in den öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern. Die Geschäftsführer-Rolle ist Kluge auch nach so vielen Jahren noch immer wichtig, erklärt sein Stellvertreter Jakob Krebs, seit 1993 bei dctp.

Autonomes Fernsehen

Dctp strahlte seine Programme von Beginn an auf SAT1, RTL und VOX aus. Die neuen Formate widersetzten sich den formalen und inhaltlichen Kriterien der Privaten. Und das Interessanteste dabei war, dass es der deutsche Gesetzgeber selbst war und ist, der solche Fenster verordnete.

Dctp - das waren und sind nicht nur die Kultur-Magazine Kluges selbst, sondern auch autonome Produkte unter seiner Oberhand: "Spiegel TV" und "Stern TV", "S-Zett", "Wa(h)re Liebe", "Format NZZ". Manche der Sendungen - etwa "Wahre Liebe" - gibt es nicht mehr. Dafür sind neue dazugekommen. Zum Beispiel "fakes & facts", in denen Kluge - nennen wir es frei übersetzt - "gestellte Interviews" führt.

Obwohl Schauspieler die Rolle diverser Charaktere mit bestimmten Fähigkeiten übernehmen, werden auch hier für Kluge wichtige Informationen authentisch transportiert, wie er sagt. Und vielleicht wirkt das sogar intensiver als etwa ein realer Arbeiter in einem Stahlwerk jemals sein könnte. Voraussetzung Nummer eins allerdings: hohe Sachkenntnis und vorausgehende, intensive Recherchen.

Zeit nehmen für Kultur

Die Liste formaler und inhaltlicher Kniffe und Kluge-Ideen für ein anderes Fernsehen ist endlos. Was aber alle Programme vereint, ist die zentrale Bedeutung von Gefühlen und Emotionen, die Lebenserfahrung der Menschen.

Kulturjournalist Georg Seeßlen fragte sich, ob man es da in Kluges Fernsehstudios gar mit mad scientists, mit Monomanen oder mit modernen Märchenerzählern zu tun habe. Nirgendwo sonst trifft diese Frage mehr zu als in Kluges Gesprächs-Reihe "news & stories" auf SAT1, Sonntagabend. Motto: Zeit nehmen für Kultur und das 45 Minuten lang.

Kluge schneidet innerhalb des Gesprächs, teilweise auch inhaltlich hart, um quasi auch auf das Medium selbst aufmerksam zu machen. Ihn selbst gibt es nur als Off-Stimme, also nicht im Bild, aber sehr präsent. Irgendwie wirken die Gespräche wie Geheimtreffen. In einem schwarzen Studio, das nur mit einer losen Glühbirne neben der interviewten Person "ausgeschmückt" ist.

Fiktive Interviews

Spricht Kluge mit dem ehemaligen Vizeadmiral Ulrich Wisser über die Kriegskunst als Balanceakt und die NATO-Osterweiterung, sieht man plötzlich Flugzeugträger und militärische Kommandozentralen eingeblendet. "Die assoziative Montage, die immer dort mit einem Bildbeitrag nachhilft, wo sich ein solcher anbietet", nennt das Seeßlen. Zwischentitel spitzen zudem Gesagtes immer wieder zu und machen fest. Nicht Gesagtes wird als Text-Streifen, in der Regel von rechts nach links, quasi wie in die Vergangenheit hinein gezogen.

Die Gespräche, sowohl Bild als auch Ton, werden zumeist am Ende langsam ausgeblendet. Als würde man hinausgeschmissen, weil das Format, das Medium selbst es verlangt. Wie in "10 vor 11" in RTL. 25 bis 30 Minuten lang. Hier will Kluge Kultur authentisch und kompromisslos vermitteln, wie er sagt. "10 vor 11" stellt verschiedene Themen und Werke aus Kunst, Wissenschaft und Kultur in Form von Interviews und Gesprächen dar. In manchen dieser Interviews übernimmt der deutsche Schauspieler und Schriftsteller Peter Berling die Rolle des Interviewpartners; vom Kapitän der havarierten "Estonia" über einen mittelalterlichen Bischof bis hin zum Sträfling. Er tritt dabei immer in historischen Kostümen auf.

Ohne Firlefanz

Der Schweizer TV-Autor Wolfgang Frei arbeitet seit 1993 für Kluge. Lokalisiert in Zürich, produziert Frei mit sieben fixen freien Autoren die allwöchentliche Sendung "Format NZZ": eine halbe Stunde Fernsehen, meist auf VOX ausgestrahlt. Kluge schert sich nicht wahnsinnig darum, wo für ihn wichtige Programme zu zeigen wären, Hauptsache, es wird gesendet. Kann also auch mal RTL sein.

Verändert habe sich "Format NZZ" über all die Jahre eigentlich nicht, erklärt Frei. Und das formale und technische Kluge'sche Regelwerk ebenso wenig: kein Zoom, viel Stativ, kein Off-Ton, keine Off-Stimme und kein unangebrachter Firlefanz bei Übergängen usw. Kluge ist im Fernsehen sozusagen das, was im Film die Dogma-Filmer um Lars von Trier sind.

In vielen - nennen wir sie - "herkömmlichen" Magazinsendungen geht es um die Herstellung homogener Positionen. Bei Kluge geht es um die Suche nach und das Auffinden von Positionen, erklärt der Schweizer Fernsehmann.

Kluge sah sich von Anbeginn der dctp auch als Treuhänder der "Arbeitsgemeinschaft Kabel- und Satellitenprogramme", einer Gründung von Verlagen, der Intendanten-Gruppe des Deutschen Bühnenvereins und der Arbeitsgemeinschaft Neuer Deutscher Spielfilmproduzenten. Ein weiteres Biotop, aus denen er Content für seine Programmfenster fischte.

dctp im Internet

Jeweils bis zu zwölf Filme zu verschieden Themen sind bei dctp.tv im Internet zu finden. Kluge nennt sie Themenpark-Schleifen. Es beginnt mit einer Zeitreise von den Anfängen der Erde über Darwin zum Mond, Helge Schneider als Reiseführer ins Weltall oder einem aktuellen Film über "Die Supermacht der Viren". Um Liebe, Kosmos, Kapitalismus oder den Blitzkrieg.

Auffällig ist, dass sich Kluge immer mehr und wiederholt mit denselben Themen beschäftigte, großen Themen, die das kulturelle Selbstverständnis erschüttert haben: Brände, Attentate, Atomkatastrophen. Oder auch Musik-Themen: ob nun Opern, Popgruppen oder musikgeschichtliche Ereignisse. Formen des öffentlichen Protests, Phänomene der Medienkultur, Krawalle auf dem Oktoberfest und und und.

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