Vorratsdatenspeicherung in Österreich

Die Geschichte ist nicht zu Ende

In Deutschland und auch in Österreich gedenkt man gerade freudig des Falls der Berliner Mauer vor 20 Jahren. In der Tat kann man das Ereignis als einen Sieg der Demokratie über die Despotie ansehen. Doch was hat man daraus gelernt?

Vor 20 Jahren fiel die Berliner Mauer. Ein Ereignis, das dieser Tage, vor allem natürlich in Deutschland, gebührend gefeiert wird. Zu Recht. In der Folge kollabierte der "Ostblock", und der US-amerikanische sogenannte "Philosoph" mit den japanischen Wurzeln rief das Ende der Geschichte aus. Das westlich-freiheitliche System, der demokratische Rechtsstaat, die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Individuums hätten gesiegt. Der Rest sei Friede, Freude, Eierkuchen, so Francis Fukuyama.

Erwachsenen Menschen erschien das schon damals etwas zu euphorisch. Inzwischen ist es aber geradezu schon beängstigend, mit welchem Tempo sich im "Westen" jene Formen des Regierens durchsetzen, die man mit dem Ostblock besiegt zu haben behauptet. So da sind: Kontrolle, Regulierung, Überwachung, Einschränkung der persönlichen Freiheitsräume.

Ich rede beispielsweise von der Vorratsdatenspeicherung, kurz VDS. In den meisten EU-Ländern ist diese bereits Gesetz, im heimischen Österreich wurde gerade ein Gesetzesentwurf dazu in die Begutachtung geschickt, von der Öffentlichkeit leider zu wenig beachtet. Hintergrund: Die EU-Länder sind per EU-Richtlinie verpflichtet, die VDS einzuführen, andernfalls droht ein Vertragsverletzungs-Verfahren. (So viel auch zum demokratischen Charakter der EU.)

Ich lese dazu manchmal gern die meist streitbaren Einträge der Poster in den Foren und Blogs des Internets mit, wo manche die VDS mit Stasi-Methoden vergleichen (nach dem ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienst), die anderen wiederum anmahnen, dieser Vergleich sei ja wohl heillos überzogen
Leider stimmt weder das eine noch das andere: Der Stasi-Vergleich ist eine Verharmlosung.

Stasi oder nicht Stasi?
Man muss sich das vorstellen: Mit der VDS soll jedes Telefonat, jede E-Mail, jeder Aufruf einer Website, jeder Beitrag in einem Forum, jede Beteiligung an einem Chat jedes Bürgers erfasst, protokolliert und gespeichert werden. Alles. Lückenlos.

Zu dergleichen war die Stasi bei all ihrer Omnipräsenz technisch und ökonomisch natürlich nicht in der Lage. Es war der Stasi völlig unmöglich, den Brief- und Telefonverkehr der DDR, die Telekommunikation ihrer geplagten Bürger, auch nur ansatzweise flächendeckend zu erfassen. Dazu hätte man ja den größeren Teil des Bruttosozialprodukts investieren müssen – was man dann doch nicht tat. Von irgendwas mussten die Leute ja auch leben. Kontrolle kann man bekanntlich nicht essen.

Die modernen Kommunikationssysteme und die automatisierte Protokollierung ihrer Verbindungsdaten, gespeichert dank VDS, ermöglichen Regierungen und Behörden heute eine Dichte der Überwachung, die die Stasi ja gern gehabt hätte, von der sie aber nur träumen konnte.

Vom Recht des Bürgers, in Ruhe gelassen zu werden
Frustrierend ist auch, mit welch abenteuerlichen Argumenten die Freunde der Bespitzelung und Belauschung zu beweisen versuchen, dass die VDS irgendwie mit den Prinzipien einer westlich-demokratischen Verfassung konform sein könnte.

Klar ist: Jede sogenannte "anlasslose Ermittlung" ist nach allen derartigen Verfassungen verboten. Wo immer der Staat Daten und Informationen über seine Bürger erhebt und sammelt, muss es einen konkreten, begründeten Anlass dafür geben. Das kann ein strafrechtlicher Verdacht oder auch nur die Ausstellung eines Führerscheins sein. Aber Ermittlungen ohne Grund, einfach so, oder "präventiv", wie gern gesagt wird, sind verboten.

Sie verletzen das Recht des Bürgers, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden, solange der Bürger keinen Anlass dazu gibt, ihn eben nicht in Ruhe zu lassen. Nach den trüben Erfahrungen mit der Gestapo wurde dieses Prinzip in allen westlichen Verfassungen fest geschrieben, mit gutem Grund.

Das bestreiten die Verteidiger der VDS auch nicht. Sie argumentieren so: Im Rahmen der VDS erfasst, protokolliert und speichert nicht der Staat die Daten, sondern: die Provider. Telefon-, Internet-, Web-, Mail- und andere Dienstleister sind dazu verpflichtet. Die Behörden greifen auf die Daten nur zu, die sie nicht selbst ermitteln. Anders gesagt: Der Staat verpflichtet die Provider per VDS dazu, für ihn das zu tun, was er selbst nicht tun darf.

Offensichtlich ist das lachhaft. Jeder Bezirksrichter würde dergleichen mühelos als "juristisches Umgehungsgeschäft" erkennen: als eine Vorgangsweise, die bewusst gewählt wurde, um eine gesetzliche Bestimmung dem klaren Inhalt nach zu umgehen, unter scheinbarer Einhaltung des gesetzlichen Buchstabens. Bekanntlich und mit gutem Grund sind "juristische Umgehungsgeschäfte" unzulässig, der Sinngehalt des Gesetzes entscheidet.

Man muss also kein Verfassungsrichter, nicht einmal ein Bezirksrichter sein, es genügt ein rechtliches Basiswissen auf handelsüblichem Matura-Niveau, um die Verfassungswidrigkeit der VDS zu bemerken. Dennoch ist beispielsweise das deutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe seit mittlerweile beinahe zwei Jahren nicht fähig, diese einzig mögliche Entscheidung zu treffen. Man muss fürchten, dass unsere heimischen Verfassungsrichter es nicht besser machen werden.

Noch mehr News von der Überwachungsfront
Derweilen erreicht uns bereits die nächste Hiobs-Botschaft von der Überwachungs- und Bespitzelungsfront: Die EU will per einfachem Beschluss des Rats der Innenminister US-Behörden Zugriff auf EU-Banktransaktionen erlauben.

Ich erspare mir hier weitere Erklärungen, die man unter den beigefügten Links auf "Spiegel-Online" nachlesen kann. Aber wieder ist klar: Auch dazu war die Stasi nicht in der Lage. Sie konnte unmöglich den gesamten Zahlungsverkehr der DDR mitprotokollieren und automatisiert auswerten.

Ebenso ist das juristische Umgehungsgeschäft wieder leicht zu erkennen: In den EU-Ländern wäre eine derartige Überwachung der finanziellen Angelegenheiten sämtlicher Bürger massiv verfassungswidrig, und auch politisch vielleicht nicht so leicht durchzusetzen. Also werden die Daten an die USA geliefert. Von dort bekommt man sie am behördeninternen Weg zurück.

Montesquieu vs. Fukuyama: Eins zu Null
Fukuyama ist mit seinen Thesen geradezu beeindruckend gescheitert. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Eher hat einmal mehr der gute, alte französische Staatsdenker Montesquieu recht behalten: Die Regierung ist immer der Feind der Regierten. Daran haben weder der Zusammenbruch der absolutistischen Monarchien, die Montesquieu zu seinen Studien Anlass gaben, noch der Kollaps des Ostblocks etwas geändert.

Mehr dazu in futurezone.ORF.at

Links
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Österreich
Spiegel Online - Datenschützer wirft EU "Geheimgesetzgebung" vor
Spiegel online - EU knickt vor US-Kontenspionen ein