"Das letzte Aufbäumen des Urheberrechts"

Die Digitalisierung der Kultur

Wer, wenn nicht der Leiter des Ars Electronica Center wäre berufen, die Folgen der Digitalisierung ins rechte Licht zu rücken. Es stecke enormes auch ökonomisches Potenzial hinter all diesen Entwicklungen. Man müsste nur aufhören, den alten Vertriebswegen nachzuhängen.

Zum Ausklang der ersten Dekade des jungen Jahrtausends hat die österreichische Nachrichtenagentur APA mit dem künstlerischen Leiter des Computerkunst-Festivals Ars Electronica in Linz, Gerfried Stocker, ein ausführliche Interview geführt. Thema waren die durch die Digitalisierung verursachten Veränderungen im Kulturbereich der vergangenen Dekade und die Prognose für das kommende Jahrzehnt.

APA: Immer mehr Konsumenten von Popkultur haben sich in den vergangenen zehn Jahren die Frage zu stellen begonnen: Wofür zahlt man eigentlich, wenn man Musik kauft?
Stocker: Es hat sich durch die Digitalisierung und das resultierende Kopieren von Musik bestätigt: Die Menschen haben nie die Musik gekauft, sondern die Schallplatte. So lange Material da war, Atome, so lange war es selbstverständlich, dass man etwas dafür bezahlt. Geht es nur um eine Datei, dann ist es weit weniger klar, dass man sich an die Spielregeln halten muss. Dahinter steckt, dass es auch vor der Digitalisierung kein wirkliches Bewusstsein gegeben hat, dass man künstlerische Leistung oder geistiges Eigentum erwirbt.

Aber wie kann man dann Musik in Zukunft verkaufen bzw. wo ist das Geschäftsmodell?
Während die Musikbranche begonnen hat, Horden von Rechtsanwälten auf die Jugendlichen loszuschicken, war die einzige wirklich intelligente und zukunftsweisende Idee, wieder etwas Physisches, Greifbares und damit merkantil total Kontrollierbares einzuführen - denn was man angreifen kann, ist auch etwas wert. Das hat Apple mit dem iPod gemacht, der die Leute so gereizt hat, dass sie einerseits bereit waren für dieses Gerät zu zahlen und andererseits die Grundlage für iTunes und andere Business-Plattformen für Musik geschaffen wurden.

Ist es nicht eine Abwertung, wenn Musik nur eine Beigabe zum technischen Spielzeug ist?
Dass Musik eine Beigabe ist zu einem anderen Konsumgut, ist etwas, das mitnichten durch diese Digitalisierung eingeführt wurde, sondern was letztlich immer schon da war. Lange, bevor es die ersten elektronischen Geräte gegeben hat, gab es den Beruf des Barpianisten. Ganz viele Musiker haben ihr Leben mit Gebrauchsmusik finanziert. Und wenn man zu sich ehrlich ist, ist klar: Wir konsumieren Kulturgüter fast immer nur als Beiwerk. Durch Digitalisierung ist nichts daran schlechter geworden. Komponisten waren auch bisher das absolut letzte Glied in der Produktionskette, mit dem geringsten Anteil an den Einnahmen, und sind es immer noch. Auch vor der Digitalisierung konnten die wenigsten Künstler von ihrer Kunst leben. Das Argument der Musikindustrie, dass man doch zu den Künstlern fair sein müsste, ist ein ziemlich vordergründiger Versuch, wie man das alte Geschäftsmodell der Unterhaltungsindustrie aufrechterhalten kann.

Aber das Urheberrecht ist doch viel stärker im Bewusstsein verankert als früher.
Das ist ein letztes Aufbäumen. Man kann nicht wirklich sagen, dass es aufgewertet wurde - es wird häufiger untergraben als je zuvor, und es ist auch unbrauchbarer als je zuvor. Mit der Praxis hat das nichts mehr zu tun. Zwar will eine mächtige Lobby das aufrechterhalten. Aber immer mehr kapieren, dass es mit der alten Ordnung vorbei ist und man neue Modelle finden muss.

Derzeit suchen die Verlage ein derartiges Modell für E-Books.
Aber die Branchen lernen nicht viel voneinander, alle machen die gleichen Fehler. Verlage haben vielleicht noch eine Schonfrist, weil der iPod für das Buch noch nicht am Markt sind. Aber es ist letztlich nur eine Frage von Zeit, bis die letzte Bastion fällt. Google bereitet sich schon jetzt darauf vor, zwar sicher nicht auf sehr faire Weise, aber zumindest sehr vorausblickend. Die wissen, in welche Richtung es gehen wird.

Wenn es immer schwieriger wird, Kultur zu verkaufen, schadet das nicht letztlich der Produktion?
Bei Film, Fernsehen und Journalismus gab es viel Speck, von dem man zehren konnte. Die ganze mp3-Revolution war nur möglich, weil es eine unheimlich reiche Musikindustrie gegeben hat. Daher war bisher die Produktion nicht grundsätzlich gefährdet. Man sieht auch: Es werden weiterhin Musik und Fernsehserien gemacht. Nur mittelfristig muss irgendwie auch Geld in die Produktion fließen. Es gibt einen gesellschaftlichen Grundbedarf, der garantiert, dass wir zu Systemen kommen werden, durch die solche Produkte in zufriedenstellender Weise erzeugt werden können. Es wird eine Kommerzialisierung und Bezahlsysteme für jede Art von Content geben, das ist nicht anders denkbar.

Aber beispielsweise das Fernsehen tut sich anscheinend immer schwerer, das Geld für die Finanzierung aufzutreiben.
Vom Fernsehen wendet sich nach Quoteneinbußen derzeit die Werbewirtschaft ab - das ist für vieles der Todesstoß. Und man muss konstatieren, dass der Grund hausgemachte, intensive Ignoranz der Medienmacher und der Programmverantwortlichen war. Und wer hätte sich andererseits gedacht, dass so etwas wie YouTube entsteht, dass es so wenig Anteil von einem klassischen Medium braucht, um so durchzustarten. Die Vorstellung, dass man nur Speicherplatz anbieten muss, damit die Menschen ihr eigenes Fernsehen machen, das ist für jemand, dessen berufliche Laufbahn in klassischen Medien abgelaufen ist, unvorstellbar. Das war ja die eigentlich spannende Revolution: die Umverteilung der Zugangsmöglichkeiten.

Nur: Wo kommt in Zukunft Geld in diesen Prozess?
Es steht kommerziell ein enormes Potenzial hinter all diesen Entwicklungen. Man müsste nur aufhören, den alten Vertriebswegen nachzuhängen, die es nicht mehr gibt, und endlich alle Ressourcen darauf werfen, für die neuen Realitäten zu produzieren.

Wo sind die? In einer nahtlosen Verbindung von Film und Computer-Game wie bei "Avatar"?
Ja, es wird eine totale Fusion in diesem Bereich geben. Noch sind wir gewöhnt, ohne Controller bequem vor der Kinoleinwand zu sitzen. Doch der reine Film wird zum Spielfilm werden. Denn eigentlich ist in diesem deutschen Wort schon die kommende Hybridisierung benannt: Der Film selber ist schon als Spiel angelegt.

Das Gespräch führte Georg Leyrer, APA / Bearbeitung: Joseph Schimmer

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