Kunst statt Kampagnen
Die Sängerin des Jahres 2009
Keine Home-Stories, keine PR-Kampagnen, keine Allüren und medial breitgetretene Krisen: Wie die deutsch-griechische Sopranistin Anja Harteros "Sängerin des Jahres 2009" wurde, ohne sich anzubiedern. Harteros ist das Gegenteil einer exaltierten Diva.
8. April 2017, 21:58
Anja Harteros in "Lohengrin"
Noch ehe es persönlich werden könnte, blockt sie in Interviews schnell ab: Ob sie sich selbst auch als "Mischung zwischen Julia Roberts und Cecilia Bartoli" sehe, als die sie (absurderweise) beschrieben wurde? "Darüber mache ich mir, ehrlich gesagt, keine Gedanken." Lieber über ihre Rollen: Zuletzt, an der Seite von Jonas Kaufmann, bei den sommerlichen Münchner Opernfestspielen, Elsa in Wagners "Lohengrin". Für Kritikerohren eine "ganz von innen heraus", "frei, innig, mit Volumen, aber auch mit Distinktion" gesungene Elsa, "so schön, so ergreifend, so wunderbar".
Die Promi-Jury des deutschen Fachmagazins "Opernwelt" erkor Anja Harteros für diese Leistung zur "Sängerin des Jahres 2009" (und Jonas Kaufmann zum "Sänger des Jahres"). Angekommen in der dünnen Luft der Star-Liga, fast schon Größenordnung Bartoli!
Exaltiert auf der Bühne, scheu im "wirklichen Leben"
Eben noch war sie der langbeinige, die Bühne beherrschende Vamp in Marlene-Dietrich-Hosenanzug (als Alcina in der Münchner Produktion der Händel-Oper 2005), aber mit wildgelockter schwarzer Mähne - ihr griechisches Erbstück, vom Vater her. Eine halbe Stunde später, beim Autogramme-Schreiben, ist sie das Gegenteil einer exaltierten Diva: Fast scheu. Beflissen, aber Distanz wahrend. Wer wirklich gut ist, kann sich selbst das leisten. Und Anja Harteros ist wirklich gut. Man weiß es, seit die heute 37-Jährige 1999 "Cardiff Singer of the World" war.
Über Gelsenkirchen und Bonn ging der Karriereweg an die Bayerische Staatsoper und an die New Yorker Metropolitan Opera - die Headline der damaligen Harteros-Titelgeschichte von "Opera Now", "New Girl in Town", wird bis heute zitiert. An der MET debütierte Anja Harteros mit Mozart, in San Diego schuf sie sich eine Möglichkeit, italienische Rollen ohne zu großen Mediendruck auszuprobieren (2004 Violetta in "La Traviata", 2005 Amelia in "Simon Boccanegra").
Eine geborene Strauss-Sängerin
Besonders eng hat sich die Bindung an die Münchner Oper entwickelt: Anja Harteros' Tod-ahnende Desdemona in "Otello", noch unter Zubin Mehtas Leitung - Atemlosigkeit im Saal! Oder auch, versteckt im Repertoire, an der Seite eines über Gebühr gealterten Mandryka: die Arabella, in Figur und Stimme so strahlend - und dabei zum Mitschreiben wortdeutlich! -, wie es nur Lisa della Casa zuwege gebracht hat, vor langer Zeit.
Das ungeheure Strauss-Potenzial und die Fähigkeit zu Ekstase ohne Lautstärke waren damals schon unverkennbar - nicht von ungefähr sind die "Vier letzten Lieder" zuletzt Anja Harteros' Konzert-"Visitkarte" geworden: kein gedankenloses Baden in Stimmklang, sondern Vermittlung des Spirituellen durch Wort und Ton. (Und die Arabella, mit endlosen Bögen, hat sie letzten Herbst in Hamburg wieder verkörpert.)
Schwerpunkt italienisches Fach
Ihr Risiko, dass die (große!) Stimme unter Druck mitunter zu viel an Schärfe gewinnt und flackrig wird, wird Anja Harteros selbst kennen. Es ist ihr gelungen, sich als deutschsprachige Sängerin nicht aufs deutsche Fach festnageln zu lassen, das bei vielen Kolleginnen solche Tendenzen früh gefördert hat. Ihr Terminkalender für die Saison 2009/10 enthält an Opernpartien die Violetta, die Mimi, die Alice in "Falstaff" und eben jetzt im Jänner in München die Elisabetta in "Don Carlo". (Hoffentlich ist der Tenor groß gewachsen, sonst muss Anja Harteros wieder einmal mit den flachst-möglichen Schuhen auf die Bühne!)
In Berlin war sie als Amelia Partnerin von Placido Domingo im "Simon Boccangra", bei dem Domingo in der Bariton-Titelrolle debütierte, in Mailand wiederholt sich diese Konstellation im Mai. Davor hat Anja Harteros am Teatro alla Scala Premiere als "Tannhäuser"-Elisabeth (Zubin Mehta dirigiert, "La Fura dels Baus" führen Regie), danach an der Deutschen Oper Berlin als Desdemona.
Neue Lied-CD
Ausgleich bringt ihr das Lieder-Singen: "Diese Musik bringt etwas in mir zum Schwingen, was sich im Alltag gern versteckt und auch in der Oper nicht oft gebraucht wird. Es lohnt sich wirklich, sich mit dieser wunderbaren Musik zu beschäftigen!"
Eben erschienen: eine neue Lied-CD mit dem Titel "Von ewiger Liebe", die den Bogen von Haydn bis Strauss spannt. A propos Richard Strauss: 2011 steht das Debüt als Marschallin im "Rosenkavalier" an, wieder in San Diego. Endlich!
Hör-Tipp
Stimmen hören, Donnerstag, 7. Jänner 2010, 19:30 Uhr
Link
Anja Harteros