Drei Männer, drei Frauen

Schreiben in Polen

"Die Nationen der Welt sollen wissen, dass die Polen keine Ganter sind und ihre eigene Sprache haben", wetterte der "Vater der polnischen Literatur" gegen die Lateinschreiber. Die meinten, er schimpfe nur, weil er selber nicht gut genug Latein könne.

Vor gut 500 Jahren hat es begonnen mit dem Schreiben in polnischer Sprache. Mikolaj Rej soll der erste gewesen sein, der seinen gelehrten, meist Latein schreibenden Landsleuten zeigte, dass man sich sehr wohl auch auf Polnisch gescheit und witzig ausdrücken könne. Aus seiner Feder stammt der "Kurze Disput zwischen dem Herrn, dem Schulzen und dem Pfarrer", das der Fachmann für polnische Literatur Karl Dedecius für die beste Satire seiner Zeit hält.

Mikolaj Rej hat es weit gebracht in seinem 64 Jahre währenden Leben: vom einfachen Bauernsohn, dessen Vater nicht Lesen und Schreiben konnte, bis zum Kanzlisten am Hof von Sandomir, und weiter zum geachteten und wohlhabenden Mann, und das, obwohl er sich in seinen Schriften zum Teil sehr kritisch mit der Gegenwart auseinandersetzte: Sein König Sigismund I. schenkte ihm ein Dorf.

Null Grammatik

Mit solchen Gaben können die zeitgenössischen Schriftsteller Polens nicht rechnen. Aber wahrscheinlich wäre ihnen ohnehin jener Preis, der mit rund zehn Millionen schwedischen Kronen dotiert ist, lieber. Fünf gebürtige Polen wurden bislang mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet: 1905 Henryk Sienkiewicz, 1924 Wladyslaw Reymont, 1978 Isaac Bashevis Singer, 1908 Czeslaw Milosz und 1996 Wislawa Szymborska - eine Frau! Und Lyrikerin!

Es scheint, dass die polnischen Schriftstellerinnen überhaupt einen sehr kreativen Umgang mit ihrer Sprache pflegen. Als Dorota Maslowkas Roman "Schneeweiß und Russenrot" erschien, erschreckte vor allem ihr Sprachstil, der sich an der Umgangssprache Jugendlicher orientiert, sowie ihr bewusstes Negieren von grammatikalischen Regeln - sie wurde deshalb auch schon mit J. D. Salinger und seinem berühmten Roman "Fänger im Roggen" verglichen.

Eine Generation älter und etwas sanfter ist Olga Tokarczuk, ihre Sprache präzise, hypnotisch, einzigartig. Magisch hingegen wird die Sprache der um elf Jahre älteren Anna Bolecka genannt. Sie arbeitet mit symbolischen Bildern, detailgenauen Beschreibungen des polnischen Alltagslebens, und evoziert mit der Kraft ihrer Sprache Gerüche, Hitze, Kälte, wie ein begeisterter Rezensent schrieb.

Jedes Jahr ein Buch

Und die Männer? Da wäre der rebellische Andrzej Stasiuk, der nicht nur von der Schule verweisen wurde, sondern auch sonst für Aufsehen gesorgt hat: Er engagierte sich in der polnisch-pazifistischen Opposition, desertierte daher folgerichtig aus dem Militärdienst und wurde deswegen zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Schreiben half ihm, diese Erfahrung zu bewältigen: in "Die Mauern von Hebron", das 1992 in Polen erschienen ist und ihn über Nacht berühmt machte. Seither veröffentlicht er sehr konsequent jedes Jahr ein Buch, das von seinen Fans sehnlich erwartet wird.

Fast gleichaltrig der Danziger Pawel Huelle, 1957 geboren, dessen Debütroman "Weiser Dawidek" sich um einen Danziger Buben dreht und der deshalb auch gerne mit Günter Grass verglichen wird.

Acht Jahre älter und ebenfalls in Danzig geboren ist Stefan Chwin, den man den Chronisten der deutsch-polnischen Geschichte nennt. Aus Danzig stammt die junge, elegante und rätselhafte Esther Simmel, Hauptfigur seines Romans "Die Gouvernante", die nach einer eigenartigen Krankheit verschwindet. Nur ein paar Fotos erinnern an sie, und seltsamerweise erweisen sich diese Fotos als lebensrettend.

Service

"Die Dichter Polens. Hundert Autoren vom Mittelalter bis heute", ein Brevier von Karl Dedecius, Suhrkamp TB

Dorota Maslowska, "Schneeweiß und Russenrot", KiWi TB

Olga Topkarczuk, "Taghaus Nachthaus", DVA

Anna Bolecka, "Der weiße Stein", Berlin Verlag

Pawel Huelle, "Weiser Dawidek", Fischer TB

Andrzej Stasiuk, "Winter. Fünf Geschichten", Insel

Stefan Chwin, "Die Gouvernante", Rowohlt