Von der Schwerindustrie zur Industriekultur

Der neue Pott

Der Raum Rhein-Ruhr ist der größte Ballungsraum Deutschlands und zählt zu den 25 größten urbanen Agglomerationen weltweit. Aber auch zu den unbekanntesten. Dabei verfügt keine andere Gegend Europas über eine solche Dichte an Industriedenkmälern.

Bis in die 1970er Jahre war das Ruhrgebiet Synonym für Dreck und Gestank. Dauernd lag der Geruch von Kohle in der Luft, die meist so unsauber war, dass weiße Hemden nicht zum Trocknen ins Freie gehängt werden konnten. In den 1960er Jahren war die Luftverschmutzung im "Ruhrpott" sogar so stark, dass die Sichtweiten nachts oft nur fünf bis zehn Meter betrugen.

Schon in den 1950er Jahren hatte sich die Zahl der Lungenkrebserkrankungen etwa in Oberhausen verdoppelt. Doch die Industrie lehnte aus Kostengründen den Bau umweltfreundlicher Anlagen ab. Erst der Niedergang der Schwerindustrie schuf Abhilfe Bereits zwischen 1958 und 1964 wurden 35 Zechen mit 53.000 Arbeitsplätzen stillgelegt. Heute sind nur noch wenige Zechen in Betrieb, und 2018 wird der Kohlebergbau im Ruhrgebiet gänzlich eingestellt. Auch die Stahlindustrie ist stark geschrumpft.

Die Industrie geht und die Natur kommt

Doch nicht alle der überflüssig gewordenen Industrieanlagen wurden abgerissen. Manche hat man einfach der Natur überlassen, etwa die Kokerei Hansa in Dortmund oder das ehemalige Hüttenwerk Duisburg-Meiderich, aus dem der Landschaftspark Duisburg-Nord wurde. Das hat sogar zu einem neuen Begriff geführt: "Industrienatur". Denn auf den industriellen Standorten sind durch Aufschüttungen aus Schlacken, Bergematerial, Staub und Asche "künstliche" Böden entstanden, die wenig Wasser speichern können und arm an Nährstoffen sind.

Dennoch gibt es Pflanzen, die gerade unter diesen schwierigen Bedingungen auf den Industriebrachen ihre Nische haben, und so wachsen heute zwischen langsam vor sich hinrostendem Röhrengewirr, zwischen Hochöfen, Löschtürmen und Ofenbatterien seltene Zuzügler wie der Dreifinger- Steinbrech.

In den vergangenen 30 Jahren hat man die Industriewüste immer mehr begrünt, angefangen bei den riesigen Abraumhalden. Auf ihren Gipfelplateaus wurden oft monumentale Kunstwerke aufgestellt, etwa der 50 Meter hohe begehbare "Tetraeder" in Bottrop oder die wuchtige "Bramme" des Bildhauers Richard Serra, eine 67 Tonnen schwere und 15 Meter aufragende Stahlplatte auf der Schurenbachhalde bei Essen. In Dortmund wird auf dem Gelände der ehemaligen Hermannshütte derzeit ein künstlicher See geschaffen, so groß wie 138 Fußballfelder.

"Ewigkeitskosten"

Das ist durchaus nicht ungewöhnlich, denn seit dem Beginn des Kohlebergbaus und der Industrialisierung vor gut 200 Jahren ist das Ruhrgebiet großräumig eine zugleich "gebaute" und durchwühlte Landschaft. Der Bergbau hat zu erheblichen Bodensenkungen geführt, so ist etwa die Innenstadt von Gelsenkirchen um zehn Meter abgesunken. Nur durch ständiges Abpumpen des Grundwassers kann man verhindern, dass weite Teile des Ruhrgebiets überflutet werden. Auch nach dem bevorstehenden Ende des Bergbaus werden die Pumpen auf unabsehbare Zeit in Betrieb bleiben müssen. Das nennt man die "Ewigkeitskosten " des Ruhrbergbaus.

Nach Kohle und Stahl soll Kultur die neue Antriebskraft sein

Aus dem Herzland der deutschen Schwerindustrie wurde die Metropole der Industriekultur. Zahlreiche "Kathedralen der Industrie" wurden in Museen umgewandelt, z. B. die Zeche Zollern in Dortmund mit ihrer Maschinenhalle im feinsten Jugendstil. Andere wie die Gebläsehalle in Duisburg-Meiderich werden für Theater und Konzerte genutzt, und wieder andere wie die "Phönix"-Halle in Dortmund für Kunstausstellungen. Die Zeche Zollverein in Essen wurde von der UNeSCo sogar zum Weltkulturerbe erklärt.

Am 9. Jänner findet hier die Eröffnungsfeier für die Europäische Kulturhauptstadt RUHR.2010 statt. Woran der Doyen des westdeutschen Journalismus und Vorsitzende von RUHR.2010 Fritz Pleitgen erinnert, sollte dabei nicht vergessen werden: "Nach dem Krieg war das Ruhrgebiet, obwohl total zerstört, der Motor des deutschen Wirtschaftswunders. Zugleich ist es die Wiege des vereinten Europa. Es hat mit der Montanunion begonnen, die wegen Kohle und Stahl gegründet wurde. Nach Kohle und Stahl soll nun die Kultur die neue Antriebskraft sein. Kultur inspiriert die Menschen, Inspiration bewirkt Kreativität, und Kreativität produziert am Ende auch Arbeitsplätze".

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