Biografisches Erzählen im Film

Biopics

Jesus und Napoleon, Gustav Klimt und Vincent van Gogh, Hildegard von Bingen, Franz Kafka und Hildegard Knef - sie alle haben etwas gemeinsam: Sie sind als historische Persönlichkeiten Gegenstand der Untersuchung in biografischen Filmen.

Zimmermann über Meinhof in "Der Baader Meinhof Komplex"

Helden, Verbrecher, Ikonen oder Außenseiter - Sie alle werden in dem Genre Filmbiografie, im Fachterminus auch Biopic genannt, thematisiert. Ein Biopic ist ein Film, der in fiktionalisierter Form das Leben einer geschichtlich belegbaren Figur erzählt. In Zeiten der sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche boomen filmische Biografien besonders. In einem Biopic wird nicht unbedingt, ein Leben von der Geburt bis zum Tod dargestellt. In Abrissen werden entscheidende Abschnitte eines Lebens skizziert.

Vom historischen Film, der ein markantes, geschichtlich relevantes Ereignis thematisiert, unterscheidet sich der biografische Film durch die Konzentration auf die Person und deren Individualität. Mächtige, Soldaten oder Generäle, Musiker, Maler, Literaten oder Widerstandskämpfer - sie alle liefern Stoff und Inhalt für eines der ältesten Filmgenres.

Bei den ersten Biopics kristallisierten sich Strukturen und dramaturgisch triviale Modelle heraus, die sich bewährt haben und bis heute unendliche Male reproduziert werden. Ein biografischer Film hat immer auch eine zielgerichtete Intention. Die Produzenten möchten über die Geschichte einer Persönlichkeit Botschaften vermitteln.

Cititzen Kane

Die Geschichte von "Cititzen Kane" zu Deutsch "Bürger Kane" aus dem Jahre 1941 basiert auf einer Fiktion, dennoch ist der Film stilprägend für die Gattung Biopic. Im Filmdrama des US-amerikanischen Regisseurs, Schauspielers und Autors Orson Wells rekapitulieren Zeitzeugen ihre Erlebnisse mit Charles Foster Kane.

Totalitäre Systeme

Sowohl im nationalsozialistischen Regime wie auch in der kommunistischen Sowjetunion wurden biografische Filme mit manipulativen Propagandainhalten produziert. Sergej Eisensteins "Iwan der Schreckliche" beispielsweise und "Der Große König" vom Regisseurs Veit Harlan über König Friedrich II, aus 1942 sind dafür Beispiele.

Rotweißrot

Nach dem Krieg, in den 1950er Jahren konzentrierte man sich in Österreich, auf die Entwicklung eines nationalen Bewusstseins, erzählt Manfred Mittermayer, Key Researcher am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biografie, Arbeitsschwerpunkt Biografie im Film. Er kuratierte die Ausstellung "Österreich selbst ist nichts als eine Bühne - Thomas Bernhard und das Theater" und schreibt auch an einer Biografie über den Autor.

Die Darstellung eines österreichischen Giganten im Film "Reich mir die Hand mein Leben" mit Oscar Werner in der Hauptrolle beschreibt Manfred Mittermayer, als Instrument zur Schaffung einer rotweißroten, kulturellen Identität.

Das etablierte Bild eines unantastbaren Mozarts zu stören versuchte der Film "Amadeus" des tschechischen Regisseurs Miloš Forman aus dem Jahre 1984. Ein vulgärer, trinkender, unkonventioneller Komponist und Querkopf erschütterte die früheren Darstellungen eines Hans Hold oder Oscar Werner in der Rolle des Mozart.

Zur Jetztzeit

Gegenwärtig werden in Biopics traditionelle und konventionelle Darstellungstechniken in Rückblenden und Flashbacks, beispielsweise vom Zeitpunkt kurz vor dem Tod, angewandt. Zum Ende eines Films werden oft Appelle an das Publikum verkündet, wie zum Beispiel den Fortschritt zu pflegen, der Wahrheit nachzustreben, die Gesellschaft offener, demokratischer und pluralistischer zu gestalten.

In den Nuller-Jahren des 21. Jahrhundert werden auf den internationalen Filmleinwänden Charaktere wie "Marie Antoniette" von Sofia Coppola aus dem Jahr 2006, Bob Dylan in Todd Hayens "I’m not there" aus dem Jahr 2007 oder die Geschichte des US-amerikanischen Bürgerrechtler der Schwulen- und Lesbenbewegung Harvey Milk beleuchtet. Aber auch Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime sind Thema von Biopics. In "Operation Walküre" aus dem Jahr 2008 wurde die Geschichte des Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg thematisiert.

Sophie Scholl

Die Abweichung eines Individuums von einer politischen Norm thematisiert auch die deutsche Produktion "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Regisseur Marc Rothemund aus dem Jahre 2005. Ein Mensch wächst durch bestimmte Umstände über sich hinaus - in diesem Fall die Widerstandskämpferin der "weißen Rose", Sophie Scholl.

Dokumente und Protokolle aus den Prozessen und Verhören wurden in den Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" eingearbeitet, und bilden einen wichtigen Faktor, der diesen Film besonders auszeichnet, sagt Biopic-Experte Manfred Mittermayer.

"Baader Meinhof Komplex"

Christian von Zimmermann, Dozent für Neue Deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Universität Bern, beschäftigt sich unter anderem mit der Faszination für das Extreme in Biografien und untersuchte dafür die Figur der Ulrike Meinhof im Film des Regisseurs Uli Edel "Der Baader Meinhof Komplex".

Der Film aus dem Jahr 2008 thematisiert die linksextreme terroristische Vereinigung Rote Armee Fraktion. Hören Sie dazu auch das Audio am Kopf der Seite.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 11. Jänner bis Donnerstag, 14. Jänner 2010, 9:30 Uhr

Buch-Tipps
Wilhelm Hemecker (Hrsg.), "Die Biographie - Beiträge zu ihrer Geschichte", Gruyter

Bernhard Fetz, "Die Biographie - Zur Grundlegung ihrer Theorie", Gruyter

Manfred Mittermayer (Hrsg.), Patric Blaser (Hrsg.), Andrea Braidt (Hrsg.), Deborah Holmes (Hrsg.), "Ikonen Helden Außenseiter: Film und Biographie", Zsolnay

Stefan Aust, "Der Baader-Meinhof-Komplex", Goldmann Verlag

Links
Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biografie
I'm not there
Milk
Sophie Scholl
Der Baader Meinhof Komplex
Sony Pictures - Marie Antoinette
Kunsthistorisches Museum - Österreich selbst ist nichts als eine Bühne