Jacques Offenbach

Les Contes d'Hoffmann

Die Geschichte der Oper "Hoffmanns Erzählungen" reicht bis in das Jahr 1851 zurück.

8. Dezember 1881: Der Himmel über Wien ist hell erleuchtet; das Wiener Ringtheater am Schottenring steht in Flammen. An diesem Abend hätte die zweite Aufführung von Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" - am Vortag war das Werk zur erfolgreichen Wiener Erstaufführung gekommen - stattfinden sollen. Ausströmendes Gas einer defekten Gaslampe hatte aber innerhalb kurzer Zeit die Bühnendekorationen in Brand gesetzt. Durch die Hitze entstand ein Sog, der plötzlich den Bühnenvorhang in den Zuschauerraum wehte. Die verheerendste Brandkatastrophe der Theatergeschichte forderte 400 Opfer, Franz von Jauner, der Direktor des Theaters, wurde wegen mangelhafter Sicherheitseinrichtungen im Theater angeklagt und wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe verurteilt.

Unmittelbar nach dem Brand wurde das so genannte "Ringtheatergesetzt" erlassen, das eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen für Theaterbauten festlegte: ein "Eisernen Vorhang" zwischen Bühne und Zuschauerraum wurde zwingend vorgeschrieben - und dass alle Türen im Publikums- und Bühnentrakt nach außen zu öffnen sein müssen. Bis heute ist der größte Teil dieser Bestimmungen in Kraft.

Furcht vor "Hoffmanns Erzählungen"

Schnell nach der Katastrophe hieß es, das Werk bringe Unglück; die "Furcht" vor der Oper "Hoffmanns Erzählungen" insbesondere im deutschen Sprachraum legte sich jedoch relativ rasch: Offenbachs Oper wurde trotz dieser Katastrophe innerhalb weniger Jahre zu einem der meist gespielten Werke des französischen Opernrepertoires. Allerdings müsste man hinsichtlich der vielen Versionen der Oper präziser fragen: "Welche 'Hoffmanns Erzählungen'?" Jacques Offenbach hatte das Werk unvollendet hinterlassen, ohne eine definitive Form festgelegt zu haben, was Bearbeitern Tür und Tor öffnete. Erst in den 1970er Jahren wurde erstmals von Fritz Oeser eine quasi "quellenkritische" Ausgabe herausgegeben. In ihr blieben aber zahlreiche Materialien unberücksichtigt, die erst in den nachfolgenden Jahren immer wieder in verschiedensten Archiven aufgefunden werden konnten.

Die Geschichte der Oper "Hoffmanns Erzählungen" reicht bis in das Jahr 1851 zurück. Damals war am Pariser Théâtre de l'Odéon ein Theaterstück von Jules Barbier und Michel Carré mit dem Titel "Les Contes d'Hoffmann" aufgeführt worden, von dem sich Offenbach begeistert zeigte. Dieses Theaterstück hatte sich die besondere Liebe der Franzosen für den deutschen Dichter E.T.A. Hoffmann zu Nutze gemacht; seine Werke waren ab 1829 in französischer Übersetzung erschienen und hatten die französische Literatur nicht unwesentlich beeinflusst. Die beiden Autoren hatten ihre Themen aus einer Reihe von Novellen des "Gespenster-Hoffmann", wie der Dichter zuweilen genannt wurde, gewonnen und sie dadurch verbunden, dass sie das literarische und musikalische Multitalent zur zentralen Gestalt des Stückes machten. Die Rahmenhandlung entnahmen sie Hoffmanns "Don Juan", aus dem "Sandmann" wurden Ideen und Figuren für den Olympia-Akt entlehnt, aus "Abenteuer einer Sylvesternacht" stammen die Giulietta-Motive und aus "Rat Krespel" die Ereignisse des Antonia-Bildes. Weitere Anregungen wurden aus dem "Goldenen Topf", "Klein Zaches" und "Signor Formico" geschöpft.

Motivation unbekannt

Was Offenbach dazu bewog, 1876, 25 Jahre nach der Uraufführung des Theaterstücks, auf dieses zurückzugreifen und eine große Oper nach dem Sujet zu planen, ist unbekannt. War es der Wunsch so vieler Komponisten der leichten Muse ihr Können auch im seriösen Fach unter Beweis zu stellen? Immerhin hatte Offenbach schon 1864 für die Wiener Hofoper eine große romantische Oper, "Die Rheinnixen" geschaffen (aus diesem erfolglosen Werk übernahm Offenbach ein Trinklied und die späterhin berühmte Barkarole in "Hoffmanns Erzählungen"), und auch für die Pariser Opéra hatte er schon komponiert, allerdings nur ein Ballett, "Le Papillon" (1860).

Oder war es die Tatsache, dass er, der während des zweiten französischen Kaiserreichs als einer der populärsten Komponisten Frankreichs galt, nach 1870 - unter veränderten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen - nicht mehr im gleichen Maß an frühere Erfolge anschließen konnte? Der gesundheitlich angeschlagene Komponist arbeitete auf jeden Fall ab 1876 mit großer Energie an seinem 102. Bühnenwerk.

Umarbeitungen
Die Oper "Les Contes d'Hoffmann" - das Libretto dazu schrieb Barbier alleine, nachdem Carré 1872 verstorben war - sollte ursprünglich für das Pariser Théâtre de la Gaîte-Lyrique als Opéra-lyrique entstehen (mit orchesterbegleiteten Rezitativen zwischen den Musiknummern); bevor es dazu kam, geriet das Theater aber in Konkurs. Am 15. Mai 1879 veranstaltete Offenbach in seiner Pariser Wohnung ein Hauskonzert und stellte dabei einige der Nummern aus der gerade entstehenden Oper vor.

Der Erfolg war so groß, dass Leon Carvalho, der Direktor der Pariser Opéra-Comique das Werk zur Uraufführung annahm. Dafür musste das Konzept aber geändert werden, nicht nur da an diesem Haus Dialoge statt Rezitativen verlangt waren, sondern auch weil die ursprünglich für einen Bariton konzipierte Hauptrolle nun von einem Tenor gesungen werden sollte. Und da Offenbach schon immer seine Musik bestimmten Solisten und deren Möglichkeiten anpasste, komponierte er wesentliche Teile des Werkes für die zur Verfügung stehende Besetzung neu. An einigen Proben konnte der Komponist noch teilnehmen, er verstarb aber am 5. Oktober 1880, ohne die "Krönung seines Schaffens" auf der Bühne erlebt zu haben.

Unvollständig hinterlassen
Und ohne sie vollständig hinterlassen zu haben, auch wenn die Familie Offenbach (und die ersten Biographen) das Gegenteil behaupteten. Ernest Guiraud (er hatte auch die Rezitativ-Fassung für Georges Bizets "Carmen" komponiert) fiel die Aufgabe zu, das Werk für den Bühnengebrauch und die Uraufführung 1881 an der Opéra Comique einzurichten. Zusätzlich griff aber auch Leon Carvalho in die Substanz des Werkes ein, als er beispielsweise den ganzen Giulietta-Akt - wegen der Länge des Werkes - streichen, die Barkarole dafür in den Antonia-Akt einlegen ließ.

Zwischen 1881 und 1890 erschienen mehrere stark voneinander abweichende Druckausgaben von Offenbachs Oper, doch um die Welt ging das Werk vor allem in einer Version, die 1907 herausgegeben wurde und für die weder Guiraud noch Barbier verantwortlich zeichneten. In dieser Ausgabe findet sich erstmals die später berühmte "Spiegel-Arie" des Dapertutto (korrekterweise müsste sie "Diamanten-Arie" heißen), die von unbekannter Hand nach einer Melodie aus Offenbachs Operette "Voyage dans la lune" geschaffen wurde und ein Septett, für das es bis heute keinen Beweis gibt, dass es auf Offenbach zurückgeht.

Mehrere Sängerinnen oder eine?
Bleibt noch die Frage, ob die vier Frauenpartien Olympia, Antonia, Giulietta und Stella auf mehrere Sängerinnen aufgeteilt oder von einer einzigen Sängerin interpretiert werden sollten. Die unterschiedlichen stimmlichen Anforderungen der Rollen machen eine Besetzung mit vier Sängerinnen einfacher; werden die Partien aber von einer einzigen Künstlerin gestaltet - wie es beispielsweise von Joan Sutherland oder Beverly Sills getan wurde - kann ein wesentliches Element des Werkes realisiert werten, dass in Aufführungen, in denen die Frauenpartien von verschiedenen Sängerinnen verkörpert werden, nicht zur Geltung kommt: Hoffmann erzählt nicht die Geschichten seiner Leidenschaften, sondern schildert - gleichsam abstrakt - mittels der drei Frauengestalten drei Aspekte einer einzigen Liebe: "Drei Frauen im nämlichen Weibe", wie es in einer alten Übersetzung heißt.

Hör-Tipp
Jacques Offenbach: "Les Contes d'Hoffmann", Samstag, 16. Jänner 2010, 19:30 Uhr

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