Auf der Höhe der Zeit
Der Vater der tschechischen Oper
Frantisek Skroup schrieb die erste Oper auf Tschechisch und beeinflusste zwei Jahrzehnte lang als erster Dirigent am Ständetheater das Prager Musikleben, in der Ära vor Smetana und Dvorak. Das Porträt eines national-tschechischen Opern-Pioniers.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus Frantisek Skroups "Columbus"
So jung ist tschechisches Opernschaffen in der Landessprache: Noch Antonin Dvorak, der mit seinen Lebensdaten knapp ins 20. Jahrhundert hineinragt, heute berühmt als einer der national-tschechischen Musik-Heroen, schrieb seine ersten Opernversuche selbstverständlich auf Deutsch - rund 30 Jahre, nachdem in Prag die erste tschechischsprachige Oper nationaler Richtung auf die Bühne gekommen war: "Dráteník", übersetzt: "Der Drahtbinder", von Frantisek Skroup, 1826.
Frantisek Skroup, Jahrgang 1801, stammte aus einer bereits im 18. Jahrhundert anerkannten Musikerdynastie. Der erste Unterricht kam vom Vater, Dominik Skroup, danach schickte man den 11-Jährigen zur weiteren Ausbildung - Flöte, Chorsingen, Musiktheorie - nach Prag und Königgrätz, Hradec Králové, einem Zentrum der nationalen Wiederbesinnung: Selbst die tschechische Sprache war seit der Gegenreformation derart vom Deutschen, das (bis 1880) zugleich Amtssprache war, verdrängt worden, dass es Initiativen brauchte, die tschechische Schriftsprache neu zu "erfinden".
Trotz des Profi-Musiker-Hintergrunds engagierte sich der junge Skroup, der nebenbei auch Schauspiel und Jus studierte, zunächst in der Laienmusikbewegung: Bereits als Sänger und Korrepetitor am Prager Ständetheater engagiert, war er 1823 an der ersten tschechischsprachigen Aufführung von Joseph Weigls Singspiel-Hit "Die Schweizerfamilie" beteiligt.
Vom Singspiel zum national-tschechischen Historiendrama
Nach Art des harmlosen, humoristischen und seinerzeit immens populären wienerischen Singspiels fiel auch Frantisek Skroups Opernerstling "Dráteník" aus - nur dass er, längst vom nationalistischen Feuer angesteckt, nun nicht mehr einen italienischen oder deutschen Text vertonte wie seine Komponisten-Vorfahren, sondern einen gemischt tschechisch-slowakischen. Bei Premiere sang und spielte Multitalent Skroup selbst die Hauptrolle; der Erfolg ermutigte ihn, sich ganz der Musik zu verschreiben.
Zum zweiten Kapellmeister des Ständetheaters avanciert, dem Prager Opernhaus, in dem seinerzeit Mozarts "Don Giovanni" seine Uraufführung erlebt hatte, riskierte Frantisek Skroup 1830 mit "Oldrich a Bozena" einen ersten Versuch, in vier ausladenden Opernakten ein tschechisches Historiendrama auf die Bühne zu bringen. "Uldarich und Bozena", wie das Werk bei einer späteren Aufführung in Deutsch hieß, geht mit mythischem Stoff inhaltlich ins 11. Jahrhundert zurück, zeigt Liebe, Leid und Heirat eines tschechischen Prinzen und öffnete Skroup den Weg zur großen romantischen Oper, zu "Libusin snatek" ("Libussas Hochzeit") oder "Drahomíra", inhaltlich Vorläufer von Smetanas Festoper "Libuse" und von Dvoraks Oratorium rund um die Heilige Ludmilla.
Skroups Opern-Spätwerk
Alternierend mit derlei national-tschechischen Bühnenwerken schrieb Frantisek Skroup, der nebenbei die Zeitschrift "Venec ze zpevu vlastenskych uvity a obetovany dívkám vlastensky" ("Kranz patriotischer Lieder geknüpft und gewidmet patriotischen Mädchen") redigierte, aber auch immer wieder deutsche Märchen-Singspiele: "Der Nachtschatten", "Der Prinz und die Schlange".
Zu gänzlich neuen Ufern bricht dann sein Spätwerk auf: Der erst vor wenigen Jahren in Prag wiederaufgeführte, in den Niederlanden spielende "Meergeuse" und speziell der Grand-Opéra-hafte "Columbus", beide nach 1850 entstanden, bieten italienisch-französisch-tschechisches Stilamalgam auf der Höhe der Zeit. ("Columbus" kam bis zum Tod von Skroup 1862 nicht mehr auf die Bühne, erst im Columbus-Jahr 1942 holte man die Uraufführung nach.)
Musikchef am Prager Ständetheater
Dass Frantisek Skroup einen solchen Überblick über die neuesten musikalischen Entwicklungen der Ära hatte, kam durch sein berufliches Avancement zum ersten Kapellmeister und Musikchef des Prager Ständetheaters. In dieser Position brachte er in zwei Jahrzehnten, von 1837 bis 1857, Werke von Halévy, Meyerbeer, Marschner, Spohr und Lortzing nach Prag, von Verdi "Nabucco", "Ernani", "Rigoletto", den "Troubadour", von Wagner (besonders ambitioniert!) "Tannhäuser", "Lohengrin" und "Holländer". (Eine Wagner-Woche 1856 gehört zu den Höhepunkten von Skroups Ära.)
Wäre, was "angedacht" war, die "Tristan-und-Isolde"-Premiere nach Prag statt nach Wien vergeben worden, vielleicht sähe die Wagner-Aufführungsgeschichte anders aus! Vom Unterhaltsamen hin zum Bedeutsamen wollte Skroup sein Publikum führen: Glucks "Iphigénie en Tauride", Beethovens "Fidelio" mussten auf den Spielplan, und so wie zu Haydns Zeiten richtete Musikchef Skroup viele Stücke mit Adaptierungen und Einlagearien für den Hausgebrauch ein, von Bellini bis Cherubini.
Hymne für Tschechoslowakei
Stilistische Scheuklappen scheint er nicht besessen zu haben. Was Franz Liszt für Weimar war, war er für Prag, mit dem Unterschied, dass es Liszt nicht zu Nationalhymnen-Ehren gebracht hat: Die neugegründete, nun von Österreich unabhängige Tschechoslowakei griff für ihre Hymne 1918 auf ein Lied aus Frantisek Skroup Bühnenmusik zu "Fidlovacka" zurück, "Das Schusterfest", einem Sprechstück, das die Prager Gesellschaft vor dem Hintergrund des jährlichen österlichen Schustergilden-Festes karikiert - 34 Jahre vor den "Meistersingern von Nürnberg".
Hör-Tipp
Stimmen hören, Donnerstag, 28. Jänner 2010, 19:30 Uhr