Bücher als multimediales Erlebnis

Die neue Erfindung des Buches

Als Apple seinen iTunes-Store startete, beobachtete Peter Collingridge genau, ob auf der Verkaufsplattform nur MP3s oder auch E-Books angeboten würden. Apple verzichtete damals auf E-Books und Collingridge sah die Marktlücke: E-Books fürs iPhone.

Als Apple im Sommer 2008 seinen iTunes-Store startete, da beobachtete in London Peter Collingridge sehr genau, ob auf der Verkaufsplattform nur MP3s oder auch E-Books angeboten würden. Apple verzichtete damals auf E-Books und Collingridge, der seit über einem Jahrzehnt im Verlagswesen und mit der digitalen Vermarktung von Büchern zu tun hat, sah sofort die Marktlücke: E-Books fürs iPhone.

Collingridge gründete in der Folge gemeinsam mit dem Programmierer Rhys Cazenove die Firma "Enhanced Editions", die als erste "App" eine digitale Ausgabe von "The Death of Bunny Munro" produzierte, den neuen Roman von Nick Cave. Collingridge über die Zusammenarbeit mit dem Sänger und Autor:

"Nick hat sofort verstanden, worum es dabei geht. Er hatte die ersten zwei Kapitel seines Buches sogar auf dem iPhone geschrieben, während er auf Tour war. Und eben weil er aus dem Musikgeschäft kommt, das durch digitale Technologien und eine Verweigerungshaltung gegenüber diesen neuen Technologien in den vergangenen Jahren völlig dezimiert worden ist, hat er hier eine Chance gesehen, mit Büchern frühzeitig etwas Neues zu machen. Er hat es so beschrieben: Im Bereich Musik hatte der Zug die Station bereits verlassen noch ehe er überhaupt eine Chance hatte, in ihn einzusteigen. Hier hat er hingegen das Gefühl, das er den Zug steuert."

"The Death of Bunny Munro"

Die digitale Ausgabe von "The Death of Bunny Munro" kombiniert den Text des Romans mit dem Hörbuch und Video-Sequenzen, die sich miteinander auch synchronisieren lassen. Collingridge:

"Man kann also die Worte auf der Seite lesen oder auf einen Button drücken, der den Punkt im Text markiert, an dem man sich gerade befindet und Nick Cave beginnt an der Stelle dann das Buch vorzulesen. Es gibt auch Videos, die Nick beim Vorlesen oder vielmehr Performen des Buches zeigen. Das Ganze ist ein unglaubliches multimediales Erlebnis, das die Möglichkeiten der von uns produzierten Apps idealtypisch vorzeigt."

Die Bereitschaft für Neues

Für Peter Collingridge befindet sich das Verlagswesen in der gleichen Umbruchssituation wie vor fünf oder sechs Jahren die Musikindustrie. Auch Piraterie ist dabei ein großes Thema, denn auf Filesharing-Plattformen finden sich immer mehr Hörbücher und E-Books.

In dieser Situation sind für Collingridge nicht primär technologische Lösungen gefragt, sondern die Bereitschaft, sich auf die neuen multimedialen Möglichkeiten einzulassen, die ein neues Medium wie das iPhone bietet. Zudem bieten Applikationen für das iPhone, die über iTunes vertrieben werden, Autoren und Verlagen auch den Vorteil, dass sie damit Geld verdienen können.

Apples Geheimnis

Mittlerweile gibt es neben dem iTunes-Store von Apple zwar noch weitere ähnliche Plattformen, etwa die von Google Android. Doch in Sachen Marktgröße, Benutzerfreundlichkeit und als perfekt funktionierendes Micropayment-System ist iTunes nach wie vor unerreicht. Vor allem schafft Apple mit iTunes auch das Kunststück, dass Menschen, die auf einer gewöhnlichen Website niemals für Musik bezahlen würden, dies auf iTunes plötzlich gerne tun.

"Apple war wirklich sehr klug im Erkennen dieser Gratiskultur, die im Web vorherrscht. Und sie haben mit iTunes auch goldrichtig darauf reagiert. Dabei ist iTunes programmiertechnisch betrachtet im Grunde genommen auch nur eine Website, allerdings eine, die sich in einer völlig separaten Applikation lädt. Manche meinen, dass iTunes als stinknormale Website auch nicht erfolgreich laufen würde und nur wenige 99 Cent pro Song zahlen würde - weil der Song irgendwo im Internet ja doch gratis verfügbar ist. Aber kaum öffnet sich eine Applikation in coolem Design, die aussieht als wäre sie eine Applikation am Mac und schon lassen sich die Leute davon blenden."

Ein bisschen digitale Unterstützung für die Zukunft

Mittlerweile, so Peter Collingridges Einschätzung, haben auch die skeptischsten Verlage verstanden, dass sie sich digital und online neu erfinden und aufstellen müssen, wollen sie auch in Zukunft eine Daseinsberechtigung als Mittler zwischen Lesern - und vor allem auch jungen Lesern- und Autoren haben.

Allerdings glaubt Collingridge nicht, dass gedruckte Bücher nach und nach verschwinden und durch Applikationen fürs iPhone oder andere digitale Trägermedien ersetzt werden. Aber, so Collingridge, die Kunst des Geschichtenerzählens und der Akt des Lesens, die so zentral für unsere Kultur sind, benötigen gerade ein bisschen digitale Unterstützung, um auch in Zukunft ihren Stellenwert zu behalten.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 31. Jänner 2010, 22:30 Uhr

Links
Enhanced Editions
The Death of Bunny Munro

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