Ausgegrenzt und langsam akzeptiert

Die Burgenland-Roma

In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar jährt sich der Anschlag von Oberwart, bei dem vier junge Burgenland-Roma getötet worden sind, zum 15. Mal. Vielen wurde erst zu diesem Zeitpunkt die Existenz der burgenländischen Roma-Volksgruppe bewusst.

Mit dem Anschlag in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 in Oberwart verlor die Volksgruppe der Burgenland-Roma nicht nur vier Mitglieder, sondern auch etwas von der Zuversicht, die in den Jahren davor zu keimen begonnen hatte.

Nur 14 Monate vor dem Attentat, im Dezember 1993, war man offiziell als österreichische Volksgruppe anerkannt worden - ein rechtlicher Schutz, um den man sich lange bemühen musste.

Minderheiten in Österreich

Staatsgrenzen umfassen kaum jemals ein ethnisch homogenes Gebiet - auch nicht die österreichischen. Bedingt durch die abwechslungsvolle Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Ersten Republik und der NS-Zeit, sind heute in Österreich sechs Volksgruppen rechtlich anerkannt, die sich hauptsächlich über die gemeinsame Sprache und Geschichte definieren: die Slowenen in Kärnten und der Steiermark, die Burgenland-Kroaten, die Ungarn, Tschechen und Slowaken, und die Gruppe der Roma und Sinti, zu denen auch die Burgenland-Roma zählen.

Vergleicht man die heutige Situation der Burgenland-Roma mit den Lebensbedingungen der Roma in den neuen EU-Ländern, geht es der jüngsten österreichischen Volksgruppe wohl recht gut. Verglichen mit den Lebensbedingungen anderer in Österreich anerkannter Volksgruppen, fällt das Urteil dazu schon etwas anders aus: Bis in die 1990er Jahre hinein ähnelten die Formen der Diskriminierung von Burgenland-Roma nach 1945 lange Zeit jenen vor 1938, sagen Historiker und nennen als Beispiel die Diskriminierung am Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich.

Langfristige Folgen des Holocaust

Rückblende ins erste Nachkriegsjahrzehnt: Von den rund 9.000 vor Kriegsbeginn im Burgenland heimischen Roma sind 90 Prozent dem Holocaust zum Opfer gefallen. Als die wenigen Überlebenden nach Hause zurückkehren, stehen sie nicht nur materiell vor dem Nichts. Auch deren Sprache und Kultur haben den Krieg nicht unbeschadet überstanden. Der Grund: "Als wichtigster Träger von Kultur und Sprache einer ethnischen Gruppe gilt gemeinhin die Großeltern-Generation, und diese war bis auf wenige Ausnahmen dem Holocaust zum Opfer gefallen", erklärt der Historiker Gerhard Baumgartner, der seit Jahren zur Geschichte der Roma forscht und zahlreiche Publikationen darüber veröffentlicht hat.

Dazu kommt: Den jungen überlebenden Burgenland-Roma fehlt oft auch jegliche Schulbildung. Als Zwangsarbeiter und KZ-Internierte hatten sie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs keinerlei Möglichkeit, sich zu bilden. Wer nicht gleich nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland ins Lager musste, durfte wegen des 1938 verhängten Schulverbots für Roma nicht mehr in seine Klasse zurück - vorausgesetzt, er hatte zuvor überhaupt das Glück gehabt, in eine solche aufgenommen worden zu sein, sagt Gerhard Baumgartner:

"Die Burgenland-Roma gehören sicher zu jener österreichischen Bevölkerungsgruppe, die als letzte alphabetisiert wurde. Warum sie nicht zur Schule gegangen sind, hat damit zu tun, dass es, als das Burgenland 1921 zu Österreich gekommen ist, dort fast nur konfessionelle Schulen und kaum öffentliche Schulen gegeben hat. Die kosteten Geld und das hatten die Burgenland-Roma nicht. Die Gemeinden haben die Kosten nicht allzu oft übernommen." All diese Faktoren führen dazu, dass nach 1945 die meisten der Überlebenden Analphabeten sind, beziehungsweise gerade noch ein bisschen lesen und den eigenen Namen schreiben können.

Sonderschule als Normalfall

Der schlechte Bildungsstand, die Traumatisierung der Eltern durch die Verfolgung in der NS-Zeit und die Zerstörung der sozialen Strukturen der Burgenland-Roma zu dieser Zeit wirken sich auch auf die nachfolgende Generation aus: Viele der in den Nachkriegsjahrzehnten körperlich und geistig völlig unbeeinträchtigten Kinder der Burgenland-Roma werden gezwungen, die Sonderschule zu besuchen - als Grund werden von den Schulen und Behörden "Sprachschwierigkeiten" angegeben.

Erst ab den 1990er Jahren besuchen mehr Roma-Kinder die Volksschule als in den Jahrzehnten zuvor. "Und dennoch verlaufen auch die Schulkarrieren dieser Kinder wesentlich schlechter, als die der burgenländischen Mehrheitsbevölkerung; es passiert immer wieder, dass sie bereits in der Volksschule ein oder zwei Mal die Klasse wiederholen müssen", so Baumgartner. Die wenigsten schaffen es, die Hauptschule abzuschließen.

"Erst als nach dem Roma-Attentat die außerschulische Lernbetreuung eingeführt wird, 1995, sehen wir plötzlich, dass sich die Schulkarrieren innerhalb weniger Jahre völlig an das Muster der restlichen Bevölkerung angleichen und seitdem haben quasi alle Leute aus dieser Bevölkerungsgruppe einen Schulabschluss, seitdem haben etliche Leute maturiert, seitdem haben etliche Leute studiert. Das wären Dinge gewesen, die man schon viel früher mit relativ wenig Aufwand relativ einfach beheben hätte können", sagt Baumgartner.

Erste Vereinsgründungen ab 1989

Mit den ersten Vereinsgründungen gab es erstmals organisierte Vertretungen, die sich für die Rechte und Anliegen der Volksgruppe einsetzten. "Was eigentlich bereits in den ersten Nachkriegsjahrzehnten bitter nötig gewesen wäre", sagt Emmerich Gärtner Horvath vom Verein Roma Service im südburgenländischen Kleinbachselten: "Im Arbeitsmarkt war die Problematik in dieser Zeit, dass sogar im Computer niedergeschrieben war: Bitte keine Zigeuner vermitteln! Da haben wir - man kann sagen 20 Jahre danach - schon sehr viel erreicht. Es gibt da sehr viel Aufklärungsarbeit, es gibt auch sehr viel Kontakt mit den Unternehmen und es gibt Teile von Unternehmen, die zugänglicher sind und Gott sei Dank keine Vorurteile haben, sondern eben sich die Qualifikation anschauen."

Die Schwerpunkte der Vereinsarbeit in den vergangenen Jahre lagen im Bildungs- und Sprachbereich: In Zusammenarbeit mit dem Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz konnte das Burgenland-Romani kodifiziert, also verschriftlicht und systematisiert werden.

Das hat wiederum die Publikation von Zeitschriften und Büchern in Burgenland-Romani ermöglicht. Und mit der "Charly-und-Pepi-Show" liegt seit wenigen Jahren die weltweit erste Roma-Sitcom vor. Aus der Volksgruppe heißt es, man habe durch das Sichtbarmachen eines wichtigen Teils der eigenen Kultur an Selbstvertrauen gewonnen.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 1. Februar bis Donnerstag, 4. Februar 2010, 9:30 Uhr

Links
Rombase - Umfangreiche Datenbank über Roma, erstellt von der Universität Graz. Einer der Schwerpunkte: Die Volksgruppe der Burgenland-Roma.
Roma-Service - Berührendes Zeitzeugenprojekt des südburgenländischen Vereins Roma Service.
Online-Lexikon der Romanes-Varietäten