Rückkehr nach Somalia

Netze

Wie Nuruddin Farahs früheren Romane zeichnet sich auch "Netze" vor allem durch eine geradezu provokante Eigenschaft aus: die Darstellung einer unumwunden positiven Frauengestalt. Farah erzählt ihre Rückkehr aus dem Exil nach Somalia.

An Grenzen und Beschränkungen hat sich der 65-jährige somalische Autor Nuruddin Farah nie gehalten - in eine einfache Schublade hätte er auch gar nicht gepasst; das beginnt gleich am Anfang. Farah wächst mit vier Sprachen auf: mit dem Italienischen, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren, mit Somali, der Muttersprache, die in der Nachkriegszeit noch keine eigene Schrift besaß, mit Englisch und dem Arabischen.

Wichtig sei für ihn auch gewesen, dass er sich literarisch nicht sofort nur an europäischen Vorbildern orientierte. Farah ging zum Studium nach Indien. Als er schließlich selbst zu schreiben beginnt, gibt es da schon die erste Generation erfolgreicher postkolonialer Autoren. Leopold Senghor hatte das Konzept der Negritude entwickelt, Soyinka, Ousmane Sembene oder Ahmadou Kourouma hatten schon internationale Bekanntheit errungen.

Farahs erster Roman - "From a crooked Rib" (aus 1970), der ihm internationale Anerkennung einträgt, bedeutet für dessen Verfasser gravierende Probleme. Somalias ursprünglich sozialistische Revolution war im Zug des Kalten Krieges zur künftigen Langzeitdiktatur mutiert: Für "A Naked Needle" (dt. 1976) wird Nuruddin Farah vom Diktator Siad Barre höchstpersönlich zum Tod verurteilt. Es folgt langjähriges Exil.

"Ich saß also Mitte der 1970er Jahre in einer kleinen Wohnung in Triest und fragte mich: Ist das, was ich da schreibe, den ganzen Wirbel eigentlich wert? Dass ich dafür zum Tod verurteilt werde?" erinnert sich Farah. "Ich bin damals erst aufgewacht und sagte mir: Jetzt muss ich mein Schreiben ernst nehmen. Ein Diktator verurteilt ja nicht jeden zum Tod. Wenn dich ein anderer derart ernst nimmt, musst du dich selbst auch ernst nehmen."

Rückkehr aus dem Exil

Auf dieses Weise sich selbst ernst genommen hat Farah vor allem mit bislang mehr als einem Dutzend Romanen: Auf die Äthiopien-Kriegs-Trilogie "Variations on the Theme of An African Dictatorship" folgte "Blood in the Sun" - Bücher, die vor dem Hintergrund des mittlerweile 20 Jahre dauernden somalischen Bürgerkriegs spielen.

In seinem jüngsten Romanzyklus kehren die diversen Protagonisten aus ihrem Exil in die zerrissene Heimat zurück - eine Erfahrung, die sie mit ihrem Verfasser (zumindest teilweise) gemeinsame haben.

Nuruddin Farah schätzt die traditionellen Verfahren von Rückblende und auktorialem Erzählen: Die Stimme des Erzählers wird dabei von verschlungenen, oft nicht mehr identifizierbaren Beschreibungssträngen, die tief in die Innenwelt seiner Heldin führen, überlagert.

Warlords in Mogadischu

Die Schauspielerin Cambara bricht aus Toronto, wo sie "Dreiviertel ihres bisherigen Lebens" verbracht hat, in ihre Heimatstadt Mogadischu auf. Ehemann Wardi hat während des Ehebruchs mit seiner Sekretärin den Tod des gemeinsamen Sohnes Dalmar verschuldet; es folgen Cambaras Trauerarbeit und ein neues Leben am Rande des Abgrunds.

Ich will mein Haus zurück, und ich möchte mein Leben, so gut ich kann, wieder zusammenfügen, zu meinen Bedingungen und aus eigener Kraft.

Zaak, der erste Ehemann, bei dem sie nach ihrer Rückkehr vorerst unterkommt, kaut ständig Kath; Zaak ist ein Symbol der Herabgekommenheit von Mogadischu - schlechte Zähne und schlechter Körpergeruch. In Mogadischus Straßen treiben Jugendbanden ihr Unwesen, es regieren Terror und Warlords. "Was sind das für Männer, diese Warlords?", heißt es einmal. Die plakativ prägnante Antwort: "Der letzte Abschaum". Einen Überfall, den Cambara gleich beim ersten Versuch, zu ihrem Haus zu gelangen, erlebt, wehrt sie effektvoll ab. Sie ist in Selbstverteidigung geübt. Der depressive und ein wenig ominöse Intellektuellen Bile, auf den Cambara zufällig trifft, wird ihr weiterer Begleiter durch die Geschichte, die nach dem Modell von Dantes Gang durch das "Inferno" seiner "Göttlichen Komödie" aufgebaut ist.

"Männer sind nutzlos"

Die Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing bezeichnete Nuruddin Farah einmal als einen "der wenigen afrikanischen Männer, der wunderbar über Frauen zu schreiben" verstünde. Wie seine früheren Romane zeichnet sich auch "Netze" vor allem durch eine geradezu provokante Eigenschaft aus: die Darstellung einer unumwunden, fast einschränkungslos positiven Frauengestalt.

"Männer sind nutzlos", meint Farah. "Frauen sind wichtiger, sie sind das Rückgrat der Gesellschaft, nicht nur in Somalia. Der Grund dafür: Männer hatten die Macht allzu lange inne; sie glauben von Geburt an, sie wären unabkömmlich, und sie seien für alles zuständig. Dabei schaffen sie aber immer nur Chaos. Der somalische Bürgerkrieg wurde von Männern begonnen und sie führen ihn auch fort. Die größte Anzahl von Opfern sind hingegen Frauen und Kinder. Ich bin ein Mann - ich darf das sagen. (...) Ich gehöre aber nicht zu jenen, die immer die ganze Welt für alles verantwortlich machen. Somalische Männer sind in den seltensten Fällen imstande, den Alltag zu bewältigen, viele können nicht einmal kochen. Töten ist ja leichter als ein schönes Essen kochen!"

Die Augen niederschlagen

Welche Rolle die somalischen Frauen in dieser Welt des Chaos, rivalisierender Clans und islamischer Fundis spielen sollen, wird in "Netze" unmissverständlich ausgesprochen: "Meinst du, ich soll einen Schleier anlegen?" - "Wenn du einen mitgebracht hast ja, auf alle Fälle." Und: "Mit niedergeschlagenen Augen - das wird heute in Mogadischu (von den Frauen) erwartet."

Eine Frauenorganisation hilft Cambara schließlich bei der Inszenierung eines Theaterstücks, an dem außerdem ein irischer Maskenschnitzer beteiligt ist. Das Ganze endet mit einer aus Kanada nachgereisten Mutter und einer Art Happy End. Cambara nimmt den Bürgerkriegswaisen "Seidenhaar" bei sich auf. Am Schluss wird über die Heldin emphatisch konstatiert: "Mogadischu ist ihre Heimat, nicht Toronto."

Die Mühe lohnt

Nuruddin Farahs "Netze" liest sich stellenweise wie ein detailgenaues Drehbuch, die dabei zu Tage tretende, fast holzschnittartige Figurenzeichnung mutet manchmal allzu "positiv" an; nach dem existenziellen und gesellschaftspolitischen Pathos, wie es anhand dieser Protagonistin demonstriert wird, würde man in anderen zeitgenössischen Romanen allerdings vergeblich suchen.

Aber was - so möchte man sogleich einwenden - was heißt eigentlich zeitgenössischer Roman? Nuruddin Farahs "Netze" ist keine leichte Kost, sondern ist jene Mühe, der sich lesend zu unterziehen, lohnt! Schließlich steht ja auch nirgendwo geschrieben, dass kluges Erzählen immer mit Witzigkeit protzen muss.

Service

Nuruddin Farah, "Netze", aus dem Englischen übersetzt von Reinhild und Gunter Böhnke, Suhrkamp

Suhrkamp - Nuruddin Farah