Essays von Kulturschaffenden
Wir sind gekommen, um zu bleiben
Nicht alle der in Österreich lebenden Deutschen sind in der Kulturbranche tätig. Aber ziemlich viele. Einige davon haben Beiträge für Eva Steffens Sammelband über gebürtige Deutsche in Österreich verfasst - von Brigitte Fassbaender bis Dirk Stermann.
8. April 2017, 21:58
"Wir sind gekommen, um zu bleiben". Eine Anthologie über Migrationserfahrungen. Fremde Blicke auf Österreich in 28 Variationen. Die Herausgeberin, Eva Steffen, mit ihrem Vorwort eingeschlossen und ihrer Erkenntnis: "Je ähnlicher ein Land dem anderen ist, desto schleichender ist der Kulturschock". Auf "Deutsche in Österreich" verweist der Untertitel. Und lässt damit wohl eher Nachdenken über das subtile Andere im kulturellen und sprachlichen Zwischenraum verfreundeter Nachbargesellschaften erwarten als aufrührend-empörende Zuwanderer-Schicksale in einer stigmatisierten, von den Alteingessenen argwöhnisch beäugten Parallelgesellschaft.
Wo eine Aussage wie "Wir sind gekommen, um zu bleiben", nicht nur in Österreich, als bedrohliche Kampfansage an die Mehrheitsbevölkerung aufgefasst werden könnte. Nein, in diesem Buch geht es um eine Spezies von Zugereisten, die durchweg nicht nur das Privileg hat, gut ausgebildet und im Gastland sozial gut situiert zu sein, sondern die auch jederzeit lässig kommen und wieder gehen kann. Die in Österreich nicht ums Überleben kämpfen muss, sondern eher das sucht, was sie in Deutschland vermisst, was ihr dort, im Herkunftsland, womöglich zum Überdruss geworden ist, was sie in Österreich als Bereicherung oder auch als finanzielle Erleichterung empfindet - wie neuerdings die Studierenden - ohne sich der Mühe des Erlernens einer fremden Sprache unterziehen zu müssen. Was folglich auch auf die Auswahl der Autorinnen und Autoren dieses Buches zutrifft. Sie ließen sich von der ebenfalls aus Deutschland zugewanderten Herausgeberin, Lektorin des Czernin-Verlages, anregen, eben diese Erfahrungen mit dem Selbstbewussten, produktiv umgesetzten Anderssein in kurzweiligen Milieustudien zu schildern.
Der kleine Unterschied
Lebensabschnittsgeschichten vom Narzissmus der kleinen Differenz. Sei dies die Erfahrung einer tiefen Verhaltenskluft beim Warten an roten Ampeln im Wiener Stadtverkehr, wie sie die aus Bochum stammende Theaterschauspielerin Gundula Rapsch als anekdotische Miniatur zum Besten gibt oder die des Evangelisch-Seins in Österreich, wie sie der Theologe Ulrich Körtner als "produktive Herausforderung" in Österreich hervorhebt.
Anschlussgedanken wenige Seiten weiter in Thomas Askan Vierichs Notaten über aushaltbares und nicht auszuhaltendes Leben im Kulturvergleich und die Erlösung im Beisl: "Sind Katholiken (etwa) die entspannteren Menschen?" Weitere Wirtshauserkenntnisse des aus Hannover zugewanderten "Falter"-Redakteurs:
Der Österreicher hasst die Piefkes nicht wirklich. Braucht er auch nicht. Die hassen sich selbst genug. Man kann als Deutscher dem Österreicher keinen größeren Gefallen tun, als über die Piefkes herzuziehen. Dann gerät er sogar in Versuchung, diese zu verteidigen.
Zehn Mal so viele
Erzähltes Leben, in der zunehmend vertrauten Fremde, mit verschmitztem Humor genossen: "Weißt du, was das Problem ist?", lässt der Kabarettist Dirk Stermann, gebürtiger Duisburger, einen einheimischen Protagonisten über abgründige mentale bikulturelle Verwerfungen beim Alkoholkonsum sinnieren:
Auf uns liegt zu viel Last. Wir wenigen tragen die Last eines ganzen Landes auf den Schultern. Ihr gschissenen Deutschen seid 80 Millionen und habt eine Kanzlerin, Theater, Zeitungen, Fernsehen, Hitparaden, Fleischhauer, Bäcker und wir sind nur acht Millionen und müssen auch Kanzler haben und Maler und Theater und Musik und Lebensmittel und Tschikverkäufer, verstehst du? Zi-ga-rettenverkäufer. Obwohl wir so wenige sind. Wie soll man das aushalten? Von mir gibt's in Deutschland zehn und ich muss hier alles alleine machen.
Deutsch-österreichisches Spiegelbild
Eine Prise Kulturphilosophie hier, kleine Nachhilfelektionen in gemeinsamer Geschichte da, zuweilen ein wenig angestaubt oder gepudert mit einem Hauch persönlicher Eitelkeit. Heimat- und Identitätssuche im deutsch-österreichischen Spiegelbild - keineswegs immer entschieden.
Zum Beispiel die Historikerin und Publizistin Rubina Möhring:
In meiner Wiener Anfangszeit beschließe ich, grundlegend an mir zu arbeiten, um deutsche Eigentümlichkeiten wie Gründlichkeit, Ordentlichkeit, nicht enden wollender Wissensdurst und mangelnde Sensibilität für Grauzonen für den Rest des Lebens aus meinem Wesen zu entfernen. Nun kann ich sie mit gutem Grund abstreifen, mein Leben dadurch erleichtern und mich mir selbst angenehm näher bringen. (...) Es ist diese besondere Spielart, die österreichische Schule der Geläufigkeit, die hier vieles um so viel leichter von der Hand gehen lässt als dort, woher ich komme. (...) Es geht sich aus. Passt.
Die österreichische Seele und ihre Zukunft
Und auch dieses: Österreich auf der Couch: Bohrende Blicke auf die Klassengesellschaft und in die österreichische Seele, die ihr innewohnt von der Psychoanalytikerin Bettina Reiter.
Niemand hier meint ernsthaft, dass alle Menschen gleich sind, wie wir naiven Post-Faschismus-Gutmeiner von "draußen" annehmen und auch erwarten. Niemand ist so seltsam, zu glauben, dass Argumente mehr zählen als Persönliches oder zumindest gleichviel.
Ethnographische Exkurse über Kunstsinnigkeit, Heurige, Titelverliebtheit, auch über die eigene Fremdheit, die gebrochene Identität, über Piefke als Mangelwesen im Altreich der Schlawiener. Abgerundet durch fantasievolles Perspektivisches: Wien im Jahr 2019. Das Land regiert von Bundeskanzler HC Strache, mit "Kronenzeitung" und Schilling als Zahlungsmittel, weisgesagt vom Radio- und Fernsehmoderator Fred Schreiber.
Mia san mia von A bis Z
Von der Gastlandgesellschaft abgehörte "Mia-san-mia-Selbstgerechtigkeiten" von A bis Z liefert der Schriftsteller und Kulturkorrespondent Peter Roos, gebürtiger Ludwigshafener:
Mia san Dirndln, Dudeln, beim Demel. (...) Vor allem samma ned draußen. (...) Mia san Gfraster. Mir san gschpiebnes Apfelkoch. Mir san Gschnas. Mir san Gschisti-Gschasti. Mir san Grüßdi. Mir san Greißler beim Grindbeisl im Grätzel. Mir san Gackerl auf der gmahtn Wiesn.
Jetzt spätestens hat die Rezensentin ihre themagetreue Herkunft verraten.
Zum Abschluss umgekehrt
Das Finale als Finesse. Keineswegs als Retourkutsche. Im letzten Beitrag dieses kleinen feinen Bandes reflektiert die Wiener Schriftstellerin Eva Menasse ihre Erfahrungen "unter Piefkes", als Wahl-Berlinerin. Konsequent konzentriert sich diese Autorin auf den direkten Vergleich der "Wir"- und der "Sie"-Gruppe in ihrer jeweiligen Mentalität, ihrem Verhalten, ihren Gewohnheiten. Wir in Wien - "man ist schon dort, weiter geht und denkt man nicht", dagegen Sie, selbst wenn "JottWeDee" – für "Janz weit draußen" - die Weltläufigeren, Schnörkellosen, Transparenten, Mobilen und Flexiblen, die politisch Sensibilisierteren.
Was dieser Autorin nach ihren Wiener Heimatbesuchen die Rückkehr in das "langweilige, vernünftige, in das psychodynamisch und geografisch viel flachere Deutschland", in das "potthässliche" Berlin leicht macht. "'Urschiarch' wäre etwas anderes."
Service
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Eva Steffen (Hg.): "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich", Czernin-Verlag
Czernin Verlag - Wir sind gekommen, um zu bleiben