Mit dem Bleistift gegen das Vergessen

Schneller schreiben als reden

Die Kurzschrift ist oft schon totgesagt worden, aus den Lehrplänen ist sie sukzessive verschwunden. Im öffentlichen Dienst hat sie sich aber ein Nischendasein erhalten, und eine eingeschworene Fangemeinde misst sich regelmäßig in Schnellschreib-Wettbewerben.

Bettina Brixa über Stenografie im Berufsalltag

"Immer werden wir gefragt, warum es uns denn noch gibt." Bettina Brixa ärgert sich ein bisschen, wenn Journalisten sie als letzte Bastion einer aussterbenden Kulturtechnik darstellen wollen: "Die Antwort ist, es hat uns in der Form nie gegeben."

Bettina Brixa ist Parlamentsstenografin. Nur mit Bleistift und Papier bewaffnet, sitzt sie direkt vor dem Rednerpult im Sitzungssaal des Nationalrates und hält fest, was sich dort an flüchtigen Bemerkungen, Zwischenrufen und Ereignissen zuträgt. Was für Nichteingeweihte aussieht wie einzelne Punkte, Bögen und Linien, ist eine wortgetreue Aufzeichnung des Gesprochenen, die später in das offizielle Protokoll einfließen werden. Die 35-Jährige beherrscht die deutsche Einheitskurzschrift (DEK), gelernt hat sie sie in den 1980er Jahren noch im Gymnasium. Aber das ist eben nicht alles, was ihr Berufsbild ausmacht.

Was kein Mikrofon erfassen kann

Der Stenografische Dienst der Parlamentsdirektion ist letztverantwortlich für die Sitzungsprotokolle. Die Hauptaufgabe der zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, den Text zu redigieren und die gesprochene Debatte druckreif zu machen. Kurzschrift ist nur ein kleiner Teil dieser Arbeit: Den Großteil der Aufzeichnung erledigt ein digitales Audiosystem. In Steno wird notiert, was nachträglich ergänzt werden muss: Von Wortgefechten über hochgehaltenen Tafeln bis zu Unruhe auf der Galerie passiert im Parlament so einiges, was kein Diktiergerät deutlich genug erfassen könnte.

Alle 20 Minuten ist Schichtwechsel am Stenografiepult - jede Sekunde dieser Zeit muss die Stenografin mit voller Aufmerksamkeit auch die speziellsten Details einer Fachdebatte verfolgen können. Eine breite Allgemeinbildung sei daher auch das wichtigste Kriterium für diesen Beruf, sagt Bettina Brixa: Die Kurzschrift könne man immer noch nebenbei lernen, aber wo lernt man sie heute überhaupt noch?

Stenografie auf dem Rückzug

Edith Vartok ist Vorstandsmitglied des Österreichischen Verbandes für Stenografie und Textverarbeitung (OSTV). Die pensionierte Lehrerin hat die deutschsprachige Kurzschrift jahrelang an österreichischen Schulen unterrichtet. Bis vor etwa 20 Jahren das Rückzugsgefecht begann. Stenografie verschwand nach und nach aus den Lehrplänen. Bei den Verantwortlichen hatte sich die Meinung durchgesetzt, die man sich als Kurzschrift-Unkundiger tatsächlich kaum verkneifen kann: Wer schreibt schon noch mit der Hand, und warum sollte man ein ganz neues Zeichensystem erlernen, nur um es vielleicht irgendwann etwas schneller zu können?

Edith Vartok hält die Kurzschrift für ein wertvolles Kulturgut, das nach wie vor unersetzlich sei. Sie selbst hält jede Telefonnotiz und jeden Einkaufszettel in Steno fest- nicht der flüchtigste Gedanke kann ihr entgehen. Die deutschsprachige Kurzschrift sei überhaupt eines der besten Systeme weltweit, sagt sie. Während etwa die Engländer eine recht geometrisch wirkende Kurzschrift schreiben, ist die DEK eine Kursivschrift. Man kann fließend schreiben, ohne oft absetzen zu müssen.

Training und Wettkampf

Notiert wird strikt, was man hört: stume oder dopelte konsonanten werden wegelasen, gramatik spilt keine role. Die Maßzahl für die Schnelligkeit wird in Silben pro Minute angegeben: mit 240 Silben schreibt man so schnell, wie ein Mensch durchschnittlich im Alltag sprechen würde. Die besten Stenografen erreichen die doppelte Geschwindigkeit.

Mit anderen Stenografie-Fans trifft sich Edith Vartok einmal pro Woche, um das Schnellschreiben zu trainieren. Einschlägige Fachzeitschriften veröffentlichen Texte mit einer festgelegten Silbenzahl, an denen Ehrgeizige sich messen können. Für die Besten unter ihnen gibt es alle zwei Jahre eine Weltmeisterschaft: 2011 das nächste Mal in Paris. In praktisch allen Sprachen wird dort diktiert und mitgeschrieben, sogar Latein und Esperanto fehlen nicht. Ein Problem für die Organisatoren: Die Rekordhalter stenografieren inzwischen schneller, als die meisten Menschen fehlerfrei vorlesen können.

Hör-Tipp
Moment, Mittwoch, 17. Februar 2010, 14:40 Uhr

Links
Österreichischer Verband für Stenografie und Textverarbeitung
Österreichisches Parlament - Stenographische Protokolle