Die nonverbale Kommunikation der Hände

Daumen hoch!

Wenn Kinder mit Hunden oder anderen Haustieren aufgewachsen sind, tun sich leichter im sozialen Umgang, weil sie besser gelernt haben, mit Körpersprache umzugehen. Doch welche kulturell unterschiedliche Bedeutungen kann manuelle Kommunikation vermitteln?

Judith Reker über den "digitus impudicus"

Wenn Worte nicht mehr reichen, wenn Worte nicht vorhanden sind, wenn Distanzen überwunden und Emotionen auf sichere Entfernung transportiert werden müssen - dann sind Gesten mit der Hand von weitreichender Bedeutung.

Gesten muss man lernen. Normalerweise geht das automatisch, aber bei Reisen in andere Kulturkreise zahlt es sich aus, sich die Unterschiede genauer anzusehen. Zum Beispiel beim Daumen nach oben. OK, super, alles in Ordnung. In Südamerika inflationär und mit großer Bedeutung eingesetzt, ist gerade dieses Symbol in Afghanistan und Iran ein Äquivalent für den "Stinkefinger".

Von Bogenschützen zu Wissenschaftlern

Überhaupt: der Stinkefinger, lateinisch "digitus impudicus", der unverschämte Finger. Der ausgestreckte Mittelfinger ist ein Zeichen für männliche Aggressionsbereitschaft. Eine andere Erklärung stammt aus dem Mittelalter, als englischen Bogenschützen, die von den Franzosen gefangengenommen wurden, der Mittelfinger abgeschnitten wurde. Als sich Engländer und Franzosen wieder einmal bei einer Schlacht gegenüberstanden, streckten jene, die den Mittelfinger noch hatten, diesen drohend in den Himmel.

Wer den Stinkefinger noch gerne etwas verschärfen möchte, könnte die dem Mittelfinger benachbarten Ring- und Zeigefinger etwas in die Höhe strecken. So entsteht ein Zeichen für Penis mit Hoden, und die Sache wird noch wirkungsvoller den Adressaten erreichen.

Üblicherweise nehmen wir an, dass im kühlen Norden Menschen weniger mit Gesten sprechen, als in südlicheren Gegenden. Wissenschaftler bestreite das aber, und sagen, die Art der Geste ist anders. Im Süden wird mehr mit der gesamten Hand aus der Schulter heraus gestikuliert. Japaner wiederum gestikulieren fast gar nicht, in diesem Kulturkreis werden Gesten wirklich sehr zurückhaltend eingesetzt.

Formen der Beschwichtigung

Gesten sind archaisch, waren oft notwendig, zur Beschwichtigung des Nachbarn, wenn dieser eine andere Sprache sprach. Gestik war wichtig für Deeskalation, und das ist auch heute noch so.

Für Kommunikationswissenschaftler stellen sich viele spannende Fragen um die Verwendung der Gestik als nonverbale Kommunikation. Welche Unterschiede gibt es in den Kulturen, wie wird die Bedeutung vereinbart? Psychologen studieren die beteiligten Emotionen: In der Verbindung mit Körpersprache etwa gibt es eine Untersuchung, dass sich Kinder, die mit Hunden oder anderen Haustieren aufgewachsen sind, sich im sozialen Umgang leichter tun, weil sie besser gelernt haben, mit Körpersprache umzugehen.

Pantomimen beschäftigen sich in besonderer Weise mit den Gesten. Sie sind Spezialisten für die Bedeutung von Gesten - im Bereich zwischen völlig wortlosen Tanz und wortreichem Theater. Der österreichische Pantomime Samy Molcho bestätigt die Bedeutung von Gesten für die Vermittlung emotionaler Inhalte in der Distanz: Für Emotionen auf geringe Nähe ist die Körpersprache notwendig, die im Allgemeinen im Gegensatz zu Gesten nicht erlernt werden muss, die eine Funktion des Körpers ist.

Gesten sind lokal fein abgestimmt. Man muss sie lernen, sie bedeuten immer etwas ganz Bestimmtes. Die spannende Frage ist dabei immer wieder: Was lösen sie aus?

Hör-Tipp
Mittwoch, Mittwoch, 24. Februar 2010, 14:40 Uhr

Buch-Tipps
Judith Reker und Julia Gosse "Versteh mich nicht falsch. Gesten weltweit. Das Handbuch", Bierke Verlag

Samy Molcho, "Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Körpersprache der Beziehungen von Nähe und Distanz", Ariston Verlag