Arm und reich
Die Verteilung des Wohlstands
Den Wohlstand einer Gesellschaft kann man sich wie einen Kuchen vorstellen, von dem jede und jeder ein Stück bekommt. Manche Kuchenstücke sind größer als andere. So besitzen die reichsten zehn Prozent der Österreicher über 54 Prozent des Geldvermögens.
8. April 2017, 21:58
Durchschnittlich verdient man in Österreich 2.291 Euro im Monat - brutto. Das oberste Viertel der männlichen Angestellten verdient über 4.400 Euro brutto, 14 Mal im Jahr. Das unterste Viertel der Arbeiterinnen, verdient weniger als 940 Euro brutto. Die Armutsgrenze liegt bei 951 Euro - netto. 12 Mal im Jahr. Armut kann man definieren. Ab welchem Einkommen man als reich gilt, lässt sich nicht so leicht beantworten.
Fest steht, dass die Einkommensunterschiede in den letzten 100 Jahren geringer wurden, erklärt Sir Anthony Atkinson. Der britische Einkommensverteilungsexperte lehrte in Cambridge, an der London School of Economics und am Bostoner MIT, er berät politische Institutionen, unter anderem die EU. Durch den Wohlfahrtsstaat wurde die krasse Kluft zwischen Arm und Reich kleiner.
Die Einkommensschere
In Österreich gibt es seit 1909 ein Pensionssystem, in den USA seit den 1930er Jahren. Der Wohlfahrtsstaat hat zu einer Annäherung der Einkommen geführt. Die Einkommen der Reichsten sind gesunken, die der Ärmeren sind gestiegen. Doch trotz der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen ist die Verteilung der Einkommen in den letzten 30 Jahren wieder ungleicher geworden. Seit den 1980er Jahren hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in Europa und den USA stark aufgetan, erklärt Sir Anthony Atkinson.
Vor der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren waren die Einkommen sehr ungleich verteilt. Bis in die 1980er Jahre haben sich die Einkommen angenähert, die Schere zwischen Arm und Reich wurde kleiner. Seit den frühen 1980er Jahren hat sich die Einkommensverteilung in Europa und den USA, aber auch in Japan wieder stark auseinander entwickelt. Im Jahr 2006 lagen die Spitzengehälter in den USA 77-mal höher als die Durchschnittseinkommen. Die Einkommen sind, so das Ergebnis einer Studie von Sir Anthony Atkinson und Thomas Picketty, heute wieder so ungleich verteilt wie vor der Weltwirtschaftskrise 1929.
Was Vermögen vermögen
Die wahre Kenngröße für Reichtum ist nicht das Einkommen. Denn das Einkommen ist flexibel, es kann wegfallen - etwa durch Jobverlust. Die wahre Kenngröße für Reichtum ist das Vermögen.
Die jüngsten Studienergebnisse von der Österreichischen Nationalbank ergeben, dass die reichsten zehn Prozent der Österreicher über 54 Prozent des Geldvermögens besitzen. Und den reichsten fünf Prozent gehören fast so viel an Immobilienvermögen wie dem gesamten Rest der Bevölkerung, berichtet Studienautor Martin Schürz.
Ebenfalls eine Studie der Österreichischen Nationalbank hat den Unternehmensbesitz in Österreich unter die Lupe genommen. So gehören etwa die Top 10 Prozent der Besitzer rund 92 Prozent der GmbHs in Österreich.
Die Konzentration des Vermögens bei den Reichsten ist in den USA noch viel stärker: ein Prozent der privaten Haushalte in Amerika besitzt ein Drittel des gesamten Vermögens.
In den 1930er Jahren bemühte sich Präsident Franklin D. Roosevelt um die Einführung einer Erbanfallsteuer, zusätzlich zur damals bereits existierenden Nachlasssteuer. Der Steuersatz lag bei Nachlässen von über 50 Millionen Dollar bei heute kaum vorstellbaren 70 Prozent, da Roosevelt in einer dynastischen Vermögenskonzentration eine Gefahr sah.
Ist die Kluft zwischen Arm und Reich schuld an der Krise?
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist heute so groß wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Manche Stimmen behaupten, dass die große Ungleichheit zwischen den Obersten und den Untersten schuld an der Wirtschaftskrise sei. Denn wenn die Bevölkerung eines Landes zu wenig Geld hat, wird auch zu wenig konsumiert. Der Wirtschaftskreislauf gerät somit ins Stocken. Es sei denn das Wirtschaftswachstum wird mit Exporten am Leben gehalten. Dann konsumiert die Bevölkerung eines anderen Landes anstatt der inländischen. Genau das ist in Deutschland passiert: Die Löhne wurden so niedrig gehalten, dass der Konsum in Deutschland stockte.
Nicht zufällig ist die Bundesrepublik Exportweltmeister. Das andere Land, das importierende, muss aber Schulden aufnehmen, um seinen übermäßigen Konsum bezahlen zu können. So entstehen große Ungleichgewichte in der Welt. Die USA sind verschuldet, vor allem bei China. Dafür hat China zu hohe Dollar-Reserven. Deutschland hat zu viel exportiert und die Deutschen haben zu wenig konsumiert. Und jetzt, wo die Rezession eingesetzt hat, liegt die Frage nahe, wer den Schlamassel zu bezahlen hat - auch in Österreich.
Große Ungleichheit gefährdet die Demokratie
Die Verteilung des Wohlstands ist nicht gerecht, ist Martin Schenk überzeugt. Es wäre daher die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich geringer wird.
Warum vernachlässigen Politiker diese Aufgabe? Warum stellen die Angleichung der Einkommen und die Umverteilung des Wohlstands nicht Prioritäten für Politiker dar?
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hatte schon vor ein paar Jahren zwei Erklärungsansätze für die Abkehr vom Ziel der Verteilungsgerechtigkeit formuliert: "Politiker wollen sich weder dem Verdacht einer Klassenkampfprogrammatik ausgesetzt sehen, noch mit Neid in Verbindung gebracht werden. Politiker neigen daher immer stärker dazu, die Interessen der Wohlhabenden zu bedienen."
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 1. März bis Donnerstag, 4. März 2010, 9:05 Uhr
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Buch-Tipp
Christoph Butterwegge, "Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird", Campus Verlag
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