Völkerrechtler Manfred Nowak recherchierte
Die Suche nach Verschwundenen und Gefolterten
Die Regierung Bush erlaubte Folter als Verhörmethode, in den geheimen Haftzentren der CIA wurden nach heute vorliegenden Informationen brutale Methoden eingesetzt. Der Völkerrechtler Manfred Nowak hat den aktuellen Wissenstand erkundet und zusammengetragen.
8. April 2017, 21:58
Manfred Nowak über die Langzeitfolgen von Folter
Als am 11. Jänner 2002 der erste Gefangenentransport auf der US-amerikanischen Militärbasis Guantánamo auf Kuba eintraf, ahnte niemand, dass dieses Gefängnis zum Mittelpunkt eines Netzwerks geheimer Haftzentren in zahlreichen Ländern der Welt mutieren wird.
Vor dem Abtransport wurden die meisten Gefangenen rasiert und nackt fotografiert, bevor sie mit übergestülpten Kapuzen und gefesselt im Laderaum eines Transportflugzeugs in das Gefangenenlager geschafft wurden. Dort wurden die Männer in kleine Maschendrahtkäfige gesperrt, dem so genannten "Camp X-Ray". Einige von ihnen wurden misshandelt und gefoltert, ihr Status war der von Rechtlosen.
Folter als Verhörmethode
Schon am fünften Jahrestag der Guantánamo-"Eröffnung" mutmaßte die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International, das Lager sei nur "die Spitze eines Eisberges". Das sollte sich bewahrheiten. Denn schon im ersten Halbjahr 2003 begannen die USA in mehreren osteuropäischen Staaten geheime Haftzentren aufzubauen. Eine Tarnfirma der CIA, "Prescott Support" - ein "Bedarfsflugunternehmen" - übernahm es, die Häftlinge in die Haftzentren zu bringen, häufig über das Flugdrehkreuz Frankfurt am Main.
Die Regierung Bush erlaubte damals Folter als Verhörmethode. Nach heute vorliegenden Informationen von ehemaligen Inhaftierten und anderen Zeugen wurde in den geheimen Haftzentren, den so genannten "black jails", brutaler Folter eingesetzt: Zudrücken der Halsschlagader, Scheinhinrichtungen, simuliertes Ertränken, Bedrohung mit einer Bohrmaschine. Weiters wurden Gefangene wurden daran gehindert zu schlafen oder sie wurden in enge Kisten gesperrt.
Späte Reue?
Den gegenwärtigen Wissenstand hat der österreichische Völkerrechtler Dr. Manfred Nowak vom Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte mithilfe internationaler Experten, die das Verschwinden von Gefangenen und das Phänomen der "willkürliche Verhaftung" erkunden und aufklären, zusammengetragen.
In einem internen CIA-Bericht stand zu lesen: "Ein Offizier äußerte die Sorge, dass CIA-Mitarbeiter aufgrund der Aktivitäten von Internationalen Gerichtshöfen wegen Kriegsverbrechen verfolgt würden. Und ein anderer meinte: 'In 10 Jahren wird uns leid tun, was wir machen, aber es muss getan werden.'"
Tauziehen um Berichtveröffentlichung
Das, was Manfred Nowak befürchtet hat, dass sein Bericht über die geheimen Haftzentren Anfang kommender Woche nicht öffentlich in Genf präsentiert und debattiert wird, ist nicht eingetreten. Der Bericht wurde auf die Juni-Session verschoben, weil Martin Scheinin, dem Berichterstatter über Menschenrechte und Bekämpfung von Terrorismus, vorgeworfen wurde, einen Bericht über positive Maßnahmen bei der Bekämpfung von Terrorismus nicht geschrieben zu haben. Dieser Bericht müsse verfasst und im Rat als erster behandelt werden.
Faktum ist, dass mit diesem Kompromiss verhindert wurde, dass der Bericht über die geheimen Gefängnisse de facto schubladisiert wird. Zumindest vorläufig. Die Verzögerungstaktik, hinter der Pakistan, China, Algerien, Ägypten, Iran und Russland vermutet werden dürfen, kann aber ohnedies nicht mehr verhindern, dass der Report einer breiten internationalen Öffentlichkeit bekannt wird.
Es wird übrigens ganz wesentlich an den USA liegen, deren geheime Haftzentren der CIA im Reports breiten Raum gewidmet wird, den Bericht öffentlich und rückhaltlos zu diskutieren. Nur dann wird der öffentliche Druck so groß werden, dass die Gruppe der Verhinderer es sich nicht leisten kann, den Report im Juni in Genf von der Tagesordnung zu streichen.
Die UNO muss sich angesichts der jüngsten Ereignisse in Genf fragen, welche Niederlage nicht nur der Institution des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, sondern generell der Glaubwürdigkeit der Menschenrechtsarbeit und dem Universalitätsanspruch der Menschenrechte droht.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 4. März 2010, 21:00 Uhr und da capo Freitag, 5. März 2010, 16:00 Uhr
Buch-Tipps
Murat Kurnaz, "Fünf Jahre meines Lebens: Ein Bericht aus Guantanamo", Rowohlt Verlag
Alexander Bahar, "Folter im 21. Jahrhundert: Auf dem Weg in ein neues Mittelalter?", dtv
Jan Philipp Reemtsma, "Folter im Rechtsstaat?", Hamburger Edition
Links
Human Rights Council der UNO- Bericht über "Geheime Haftzentren im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terror" (PDF)
Atlas of Torture
Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte
Amnesty International Österreich