Ist Italiens sozialer Zusammenhalt bedroht?

Korruption und kein Ende

Ist Guido Bertolaso, der heißgeliebte Chef des Zivilschutzes und Berlusconis sauberes Aushängeschild, in eine Schmiergeldaffäre samt Rotlicht-Tangente involviert? Viele Italiener waren bestürzt, als sie davon erfuhren, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Die Verteidigung von Guido Bertolaso

Kaum eine Woche vergeht seit einem Jahr in Italien ohne großen Skandal. Bestechung, Korruption, Postenschacher, Sexaffären. Zuviel für die skandalgebeutelten Italiener, die angesichts täglich neuer Schlagzeilen schon müde abwinkten. Doch was die Staatsanwaltschaft in Florenz Anfang Februar 2010 aufdeckte, ließ niemanden kalt. Ausgerechtet der Zivilschutz, eine der letzten als vertrauenswürdig angesehenen Bastionen im Italien Berlusconis, soll vom Gift der Korruption befallen sein.

Viele reagierten ungläubig, doch die Akten der Ermittler wogen schwer. Vier Verhaftungen waren die Folge. Hohe Beamte und Unternehmer wanderten hinter Gitter. Doch noch schlimmer in der öffentlichen Meinung wiegen die Verdachtsmomente gegen Guido Bertolaso, dem allseits beliebten Chef des Zivilschutzes. Der smarte Tropenarzt, der Neapel vom Müll befreit und den Erdbebeneinsatz in den Abruzzen geleitet hat, soll großzügig Aufträge vergeben haben. Öffentliche Aufträge. Und zwar an Freunde und Bekannte. Das kommt dem Sturz eines Halbgottes gleich.

Große Ereignisse, viele Aufträge

Im Visier der Ermittler sind Großereignisse wie die Schwimmweltmeisterschaften 2009 in Rom und der G8-Gipfel in der vom Erdbeben zerstörten Stadt L'Aquila. Der teuerste der Geschichte, so die Conclusio von drei Tagen großem Welttheater. Kostenpunkt: 514 Millionen Euro.

Allein die kulinarische Versorgung der Staats- und Regierungschefs schlug mit mehr als einer Million Euro zu Buche. Die 60 exklusiven Füllhalter für eine Unterschrift kosten die italienischen Steuerzahler hingegen fast nur lächerliche 26.000 Euro. Alles im Zeichen der ausgerufenen "Austerity". Alles fein säuberlich vergeben. Rigoros in den eigenen Reihen. An Freunde und Verwandte.

Schon wird von einem zweiten Schmiergeldskandal gesprochen. Ähnlich Tangentopoli, jenem Skandal, der Anfang der 1990er zum Ende der Ersten Republik und zum Aufstieg Berlusconis führte. Der Regierungschef selbst spricht von Einzelfällen, von kleinen Gaunern, die etwas Geld in ihre Tasche stecken. Andere - Staatsanwälte und Antimafia-Behörden - sehen hingegen den sozialen Zusammenhalt des Landes bedroht. Und sie wissen wovon sie sprechen. 28.000 Seiten umfassen allein die Akten der Staatsanwaltschaft in Florenz.

Historische Parallelen?

Jetzt beschäftigen sich auch die öffentlichen Ankläger in Perugia mit dem Fall, der immer größere Dimensionen annimmt. Aus den Mitschnitten der abgehörten Telefonate ergibt sich ein düsteres Bild Italiens. So wird es wohl im zu Ende gehenden römischen Reich gewesen sein, denkt man da. Nepotismus pur, Bereicherung großen Stils, Drogen und Prostituierte zur Stimulierung der Geschäfte. Weiblich, männlich, trans - je nach Bedarf.

Ein wahres Erdbeben. Eines, das vergangene Woche dann kurz aus den Schlagzeilen geriet. Aber nur, um einem anderen Skandal Platz zu machen. Dem größten Geldwäscheskandal, den Italien bis jetzt erlebt haben soll. Mit einem Volumen von mehr als zwei Milliarden Euro. Und der bangen Erkenntnis, dass alte Bande ewig halten.

Mafia und Politik scheinen enger verstrickt denn je. Da ist ein mit den gekauften Stimmen der N'drangheta gewählter Senator wohl nur die Spitze des Eisbergs. Und seine Auslieferung durch das Parlament an die Justiz wohl nur ein Akt der unumgänglichen Selbstreinigung.

"Du bist und bleibst mein Sklave", hat ein zorniger N'drangheta-Boss dem willfährigen Senator am Telefon angeherrscht. Darüber denkt der Senator jetzt im Gefängnis nach. Die Ermittler haben noch viel Arbeit vor sich.