Wo die Vertriebenen eine neue Heimat fanden

Migration von der Donau an den Rio de la Plata

Das Schicksal jener Österreicher, die aufgrund der "Nürnberger Rassengesetze" nach Argentinien und Uruguay geflüchtet sind, war bis dato wenig erforscht. Ein Oral-History-Projekt brachte unverzichtbare Einblicke in unzählige Lebensgeschichten.

Argentinien und Uruguay waren keine Wunschdestinationen jener Menschen, die aufgrund der so genannten "Nürnberger Rassengesetze" aus Österreich fliehen mussten. Auch der jüdische Glaube, Grund ihrer Verfolgung, spielte vor der Flucht eine untergeordnete Rolle. Das sind zwei wichtige Ergebnisse der Oral-History-Studien, welche die Historiker Philipp Mettauer und Oliver Kühschelm mit noch lebenden Migranten in den La-Plata-Staaten durchgeführt haben.

Eva Hacker, Tochter eines Textilfabrikbesitzers in Oedt bei Linz, erzählt etwa, ihre Mutter habe vom werkseigenen Tischler eine Menora anfertigen lassen, die man mit Tannenzweigen schmücken konnte, weil sie der Überzeugung war, jedes Kind - egal welcher Konfession - solle einen Christbaum haben.

Diese geringe Bedeutung der Religion erklärt sich auch damit, dass die meisten der Flüchtlinge aus dem bürgerlichen Mittelstand stammten. Denn zur Organisation der Flucht brauchte es internationale Kontakte, ein gewisses Bildungsniveau und vor allem finanzielle Mittel. Die Migrationsbewegung fand daher auch fast ausschließlich im urbanen Bereich; von Wien nach Buenos Aires oder Montevideo statt.

"llamada", der "Ruf"

Argentinien war seit jeher ein Einwanderungsland: "Gobernar es poblar" - "Zu Regieren heißt, das Land zu bevölkern", schrieb schon die Verfassung von 1853 fest. Nicht umsonst überlegte Theodor Herzl in seinem Werk von 1896 daher, ob es seinen "Judenstaat" in Argentinien errichten sollte. Die Jewish Colonization Association siedelte bereits Ende des 19. Jahrhunderts osteuropäische Juden in Südamerika an, um sie vor Pogromen zu schützen.

Eine Einwanderungswelle in den 1920er Jahren bildete die Grundlage für die Flucht nach Argentinien in den 1930er Jahren. Wichtigster Grund für eine Flucht in das Andenland war die sogenannte "llamada", der "Ruf", welcher es in Argentinien lebenden Österreichern erlaubte, ihre engsten Familienangehörigen nachzuholen.

Flucht über viele Umwege

Diese Familienzusammenführung hatte im benachbarten Uruguay weniger Bedeutung. Nach Uruguay verschlug es die Menschen oft über Geschäftsbeziehungen. In beiden Ländern war die Fluchtroute oft keine direkte, sondern über viele Umwege wie etwa über das bolivische La Paz. Beiden Ländern war auch gemeinsam, dass eine Einreise oft noch möglich war, wo andere Länder die Grenzen gegen den Flüchtlingsstrom bereits dicht gemacht hatten, weil die Korruption blühte.

So mancher europäischer Konsul verdiente sich gerne ein Zubrot durch den Verkauf von Visa, viele stiegen aber auch einfach mit einem Transitvisum aus oder überquerten mit einem Ruderboot den Rio de la Plata.

Trotz Antisemitismus freundlich aufgenommen

Das ursprünglich unfreiwillig angesteuerte Fluchtland entwickelte sich bald zu einer attraktiven neuen Heimat. Jüdische Hilfsorganisationen wie die "Asociación Filantrópica Israelita", der deutsche Hilfsverein, waren gut organisiert und halfen über die ersten Schwierigkeiten hinweg.

Trotz durchaus vorhandenem Antisemitismus wurden die neuen Bewohner von der Bevölkerung freundlich aufgenommen. Im Gegenzug erfreuten sich die gutbürgerlichen Wiener über ein reges kulturelles Leben in den Städten. Das Teatro Colón von Buenos Aires wurde zum adäquaten Ersatz für die Wiener Staatsoper.

Argentinien und Uruguay erlebten schließlich eine Zeit des Wirtschaftsaufschwungs, der es auch den österreichisch-jüdischen Immigranten ermöglichte, ein Leben in bescheidenem Wohlstand aufzubauen. Dies war einer von vielen Gründen, warum die wenigsten von ihnen in das kriegszerstörte Wien zurückkehrten.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 9. März 2010, 19:06 Uhr

Buch-Tipp
Philipp Mettauer, "Erzwungene Emigration nach Argentinien. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten." , Verlag Aschendorff, Erscheint in Kürze.