Wenn Perspektiven und Aufgaben wechseln
Plötzlich Chef
Jahrelange zur allgemeinen Zufriedenheit in einem Unternehmen zu arbeiten, dann schlagartig Chef zu werden, erfordert ein Umdenken: Die Beziehungen zu den Kollegen müssen neu definiert werden und bisher gewohnte Strategien können unwirksam geworden sein.
8. April 2017, 21:58
Erfahrungswerte von Bernhard Vorich, Vertriebsleiter
Wer jahrelang in einem Unternehmen zur Zufriedenheit aller gearbeitet hat, kann sich plötzlich über Nacht in der Rolle des Chefs wiederfinden. Eine Unzahl an neuen Aufgaben erwartet einen. Damit hat man vielleicht gerechnet. Dass aber auch die Beziehungen zu den Kollegen neu definiert werden müssen, gewohnte Strategien in der neuen Funktion oft nicht mehr wirksam sind und auch die eigene Familie betroffen sein kann, kommt manchmal überraschend.
Die Archetypen von Führungskräften sind wahrscheinlich jedem bekannt: da gibt es den Meister, der alles am besten kann, oder die Führungskraft als guter Vater, der für jeden ein Ohr hat, gerecht sein will, und allen zuhören. Ein schönes Ideal für eine Familie, aber als Führungsideal ist dieses Modell nur bedingt geeignet, weil es meist in Überforderung mündet. Auch der Chef als General ist gut bekannt, er ordnet an, auf ihn kann man sich hundertprozentig verlassen, sein Wort zählt.
Gesamtbild statt Selbstporträt
Wir leben heute in einer Wissensgesellschaft, in der Mitarbeiter oft mehr wissen als ihr Chef. Es müssen daher die Vorstellungen, was "Chef werden" bedeutet, an die heutigen Erfordernisse angepasst werden. Auch in diesem früher durch autoritäre Strukturen und Gesetze geprägten Bereich des Lebens hat Demokratie Einzug gehalten.
Viele Chefs sind heute "primus inter pares" - Erster unter Gleichen. Man "steigt um". Mit den neuen Aufgaben ändern sich die Anforderungen. Es gilt nun das Gesamtbild zu sehen, die Firma auch nach außen hin zu vertreten, Ziele zu definieren, statt ihnen selbst zu folgen.
Konfliktstabilität und Rollensicherheit
Wird man Chef im selben Unternehmen, in dem man bisher als Mitarbeiter gearbeitet hat, ist es wichtig, sich abgrenzen zu lernen, eine Rollensicherheit zu entwickeln, zu trennen zwischen "Hier spreche ich privat", und "Hier bin ich Chef". Gestern war man ein Freund unter Kollegen, heute sind das die Leute, denen man sagt, in welche Richtung gegangen wird, und in welchem Tempo. Leichter ist es im Allgemeinen, wenn man in ein neues Umfeld als Chef einsteigt, weil bestehende Beziehungen nicht umgestaltet werden müssen.
Neue Chefs konzentrieren sich oft zu sehr auf die Fachinhalte ihrer Aufgaben. Es wird dabei unterschätzt, wie viele Gespräche notwendig sind, die nichts mit diesen Aufgaben zu tun haben. Zuhause mit seinem Partner, in der Firma mit den bisherigen Vorgesetzten und natürlich mit den Mitarbeitern. Die Beziehungsstrukturen sind neu zu überdenken. Ein Einführungsritual hilft dabei, die neuen Rollen klar zu definieren. Der nächste Schritt ist das Lösen vom bisherigen Arbeitsstil. Als Leiter verliert man als Tiefe, gewinnt jedoch an Breite.
Authentisch bleiben
Wird man Chef, findet man sich plötzlich in einer Sandwichfunktion wieder. Auf der einen Seite befinden sich die Mitarbeiter, auf der anderen Seite die Vorgesetzten. Nicht immer kann und soll man es dann allen recht machen. Weder ist man unter allen Umständen Freund der Mitarbeiter, noch ein einfacher Erfüllungsgehilfe der Geschäftsleitung.
Von Coaches, die mit den Problemen "neuer Chefs" arbeiten, wird dabei immer die Notwendigkeit der Authentizität betont. Es ist nicht notwendig, in jeder Entscheidung einen Konsens herzustellen, aus Angst vor Konflikten, sondern es ist notwendig, Klarheit zu schaffen. Die Konflikte bleiben dann - oft überraschend - aus.
Immer wieder gibt es Mitarbeiter, die Weisungen nicht einfach ausführen, die sie empfangen, sondern eine Eigendynamik entwickeln und bestehende Umstände weiterentwickeln. Das sind die Kandidaten für Chefpositionen. Die Belohnung der neuen Tätigkeit ist die Eigenständigkeit, die Befriedigung mit seinem Streben etwas erreichen zu können, was man selbst mitgestalten und definieren kann.
Chef sein kann man zum großen Teil auch lernen, betonen Coaches. Der eine tut sich dabei schwerer, ein anderer ist dabei vielleicht Naturtalent.
Hör-Tipp
Moment, Dienstag, 16. März 2010, 14:40 Uhr
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Robert Waldl (Psychotherapeut und Coach)