Auf der Suche nach dem Daheim-Gefühl
Was ist eigentlich "Integration"?
Von Wanne-Eickel gen Süden, nach Laa an der Thaya: Meine Mutter hatte Sprachprobleme beim Einkaufen, wir Kinder in der Schule. Kleidung und familiäre Bräuche waren irgendwie fehl am Platz. Doch dann das erste Aha-Erlebnis, am Tag der rot-weiß-roten Fahnen.
8. April 2017, 21:58
Kenan Güngör: Integration als Prozess und Perspektive
Meine Eltern waren Gastarbeiter. Eigentlich mein Vater, denn meine Mutter war die Gastarbeiter-Hausfrau. Als ich fünf Jahre alt war, packten die Eltern unser Hab und Gut in Kartons der Firma Schenker, uns Kinder in einen VW-Käfer, Baujahr 1961 (er blieb uns noch lange erhalten), und reisten gen Süden, nach Österreich. Aus dem tiefsten, hochmodernen und hochindustrialisierten Ruhrpott kommend, landeten wir in Laa an der Thaya in Niederösterreich.
Die Integration in die österreichische Gesellschaft dauerte ein bisschen. Meine Mutter hatte Sprachprobleme beim Einkaufen, wir in der Schule. Unsere Kleidung und unsere familiären Bräuche waren hier irgendwie fehl am Platz. Unsere Lieder kannten die anderen Kinder nicht, und unsere Spiele auch nicht. Uns ging es mit ihren Liedern und Spielen ebenso.
Einige Monate später hatte ich mein erstes Aha-Erlebnis. Das war am 26. Oktober 1970. Rot-weiß-rote Fahnen an allen Häusern der Staatsbahnstraße (weiter reichte mein Radius damals noch nicht). Das fand ich - wie man bei uns zuhause gesagt hätte - echt klasse! So etwas hatte ich in Wanne-Eickel noch nicht zu Gesicht bekommen. Und dann die Geschichte vom letzten "ausländischen Soldaten", der Österreich verlassen hatte. Und die vom Staatsvertrag und dem Balkon, irgendwo in einer großen Stadt, der Hauptstadt. Das hat mich alles sehr beeindruckt. Da wollte ich auch dazu gehören!
Ich lernte die Bundeshymne auswendig und trug sie - immer - mit stolz geschwellter Brust vor. Ich weigerte mich, auch nur ein hochdeutsches Wort über meine Lippen kommen zu lassen und wetteiferte mit meinen Freundinnen im Dialekt. Später zogen wir nach Oberösterreich. Dort lernte ich die schöne Landeshymne: "Hoamatlond, Hoamatlond, di han i so gern..." War klarerweise meine! Und ich kann sie bis heute auswendig.
Das "Wunder von Cordoba" von 1978 feierten meine Geschwister und ich - zum Leidwesen unseres Vaters - freihändig auf unseren Fahrrädern durch Marchtrenk fahrend, und schrien: "Immer wieder, immer wieder, immer wieder Österreich!" Na, wenn das nicht Integration ist! Als wir nach Kärnten zogen, sang ich im Schulchor inbrünstig Kärntner Lieder, liebte es, im Dirndl aufzutanzen und Berge zu besteigen. Da war ich daheim. Und so ging es noch einige Jahre und zu vielen Gelegenheiten weiter.
1986 - im Waldheim-Jahr - sollte ich in den legendären "Club 2" eingeladen werden, als Studentin, die aus tiefster nachfaschistischer österreichischer Überzeugung gegen den braunen Sumpf demonstrierte. Einen Tag später kam die Ausladung. Mit der Begründung, ich sei ja Deutsche. Ups. Ach so ist das, dachte ich. Auch das wiederholte sich in den letzten Jahren nicht nur einmal.
Heute moderiere ich selbst den "Club 2". Letztes Jahr zum Beispiel zum Thema Sozialstaat. Woraufhin ein freundlicher Zuschauer ein böses E-Mail an die Redaktion schrieb: Was die "Teutonin" im österreichischen Rundfunk verloren hätte und warum sie - die Deutsche - überhaupt kompetent sei, sich über Fragen der österreichischen Innenpolitik zu äußern? Na, das fand ich nett. Ich, die Teutonin, habe den Herrn darüber aufgeklärt, dass ich in meinem Land Österreich nicht nur Kindergarten, Volksschule und Gymnasium, sondern auch die Universität besucht habe, seit 20 Jahren Steuern zahle - gerne übrigens, denn schließlich krieg ich auch was dafür - und ganz nebenbei damit auch noch seine Pension finanziere. Ich muss gestehen: der Herr hatte Format und entschuldigte sich.
So, und nun sagen Sie mir bitte: Was ist eigentlich Integration?