Nachdenken über die Rituale des Alltags

"Die Heimatlosigkeit ist meine Heimat"

Vor 80 Jahren wurde er im rumänischen Galati geboren, Berühmtheit erlangte er als Erfinder der "Fallenbilder" und der so genannten "Eat-Art": Doch Daniel Spoerri als Objektkünstler zu beschreiben, würde das breite Spektrum seiner Tätigkeiten ignorieren.

Daniel Spoerri im Gespräch mit Michael Kerbler

"Der Wert eines Kunstwerkes ist eigentlich unbezahlbar."

"Die Heimatlosigkeit ist meine Heimat", sagt Daniel Spoerri und unterstreicht den Satz mit einer weitausholenden Geste. Die Entwurzelung, die dem Jungen widerfahren ist, wurde zu seinem größten Kapital. In Jasch, nahe Galati, wo Daniel Feinstein geboren wurde, haben die Faschisten damals 13.000 Juden umgebracht. Auch seinen jüdischen Vater, der 1941 von den rumänischen Faschisten abgeholt und ermordet wurde. Dass der Vater zum Protestantismus konvertierte und Missionar geworden war, interessierte die Machthaber nicht.

Daniel hat großes Glück, er - ein schlanker, blonder Bub - entgeht dem Tod, obwohl er schon älter als zehn Jahre war. Alle jüdischen Buben, die diese Altersgrenze überschritten hatten, wurden in jenen Tagen von Zuhause abgeholt. Die Mutter, die aus der Schweiz stammte, schaffte die Ausreise mit all ihren Kindern zurück in die alte Heimat.

Unbeständigkeit als Antriebskraft

In der Schweiz wurde aus Daniel Feinstein Daniel Spoerri. Der Onkel adoptierte ihn, weil er befürchtete, dass das NS-Regime eines Tages auch die Schweiz überfallen werde und dann der junge Daniel erneut in Gefahr wäre.

"Mein Unbeständigkeit, meine Sehnsucht und zugleich meine Unfähigkeit, Wurzeln zu schlagen, waren meine Antriebskräfte." Daniel Spoerri war kein Rumäne, kein Jude, kein Deutscher, aber auch kein Schweizer. Er löschte zwar seine Erinnerungen an Rumänien und an die Sprache des Landes, in dem er geboren wurde. Aber die Schweiz wurde ihm dennoch nicht zur Heimat.

Tanz, Kunst, Essen und Avantgarde

Die Orientierungslosigkeit des jungen Spoerri hatte ein Ende, als er seine Passion für das Tanzen entdeckt. Am Beginn einer Solotänzerkarriere steht - wie Spoerri selbst sagt - eine Art Veitstanz in einem Basler "Existentialistenkeller", einem dunklen Lokal, in dem auch getanzt wurde. Ein berühmter deutscher Choreograph sieht Spoerri und sorgt für seine Ausbildung. Ein Stipendium führt ihn nach Paris.

Es ist die große Zeit der Avantgarde - Ionesco, Beckett, Picasso. Schon lange ist Spoerri mit Jean Tinguely, dem Künstler, und seiner Freundin Eva Aeppli befreundet, als er für sich die faszinierende Welt der bildenden Kunst entdeckt. Die ersten "Fallenbilder" entstehen. Spoerri als Objektkünstler zu beschreiben würde das breite Spektrum seiner künstlerischen Tätigkeiten ignorieren, denn er wirkt und wirkte auch als Dichter, Tänzer, Regisseur, als Verleger, Koch, Filmemacher und Akademieprofessor.

Richtig ist, dass er als Objektkünstler nicht nur zu den führenden Vertretern des von ihm im Jahr 1960 in Paris mitbegründeten Nouveau Réalisme, sondern auch zu den originellsten Protagonisten der Kunst- und Aktionspraxis zählt.

Spoerri ist der Begründer der "Eat-Art", also einer Kunst, die man essen kann. In Düsseldorf eröffnete er vor vierzig Jahren das "Spoerri", in dem Exotisches - wie zum Beispiel Tigerfilet - serviert wurde. Im Mittelpunkt seines Interesses, sagt Spoerri, stehe das Phänomen des Sich-Ernährens. Und die Untrennbarkeit von Geruch und Geschmack.

Objekte, Gärten und Wasser

Bis heute arbeitet Spoerri mit unerschöpflicher Phantasie an seinen Objekten. So ist er auch als Gartenkünstler tätig: Der Garten seines Landsitzes in der Toskana ist ein Gesamtkunstwerk mit monumentalen Skulpturen und Assemblagen aus Stein, Bronze und Holz.

Nahe Wien, in Hadersdorf am Kamp haben Besucher die Möglichkeit Spoerris neuere Werke, aber auch afrikanische Kunst zu besichtigen. Spoerri hat dort ein Museum eingerichtet und vis-à-vis in einem Restaurant hat man vielleicht einmal die Chance, ein legendäres "Eat-Art"-Bankett mitzuerleben.

Spoerri interessieren auch die unangenehmen, die verdrängten Seiten des Lebens - bis hin zum Tod. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk bietet daher Gelegenheit, über die Rituale unseres Alltags nachzudenken, das heißt über alltägliches wie Essen, wie das feiern von Festen, Sammeln von Dingen, Erinnern und Vergessen wollen.

Ganz ist es dem Künstler übrigens nicht gelungen, Rumänien und Galatz/Galati, das an der Donau liegt, zu verdrängen. Vor langer Zeit in Klosterneuburg - Spoerri ging mit Arnulf Rainer am Fluss spazieren - hatte er plötzlich den Geruch des Wassers in der Nase: "Der Geruch war wie der in meiner Kindheit damals in Galatz."

Und manchmal an der Donau bei Hadersdorf meldet sich diese Erinnerung zurück. Seither hat der Geruchsinn Spoerri keine Ruhe mehr gelassen. In wenigen Wochen wird der Künstler das erste Mal seit 1942 rumänischen Boden betreten und in seinen Geburtsort zurückkehren.

Service

Daniel Spoerri
Daniel Spoerri - Eat-Art