Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 21:01 Uhr
Der Wille zum Schein
29. September 2010, 00:35
Achtes Philosophicum in Lech
Unter dem Titel: "Der Wille zum Schein - Über Wahrheit und Lüge" widmete sich heuer das 8. Philosophicum Lech einer - schon seit der Antike aktuellen - philosophische Fragestellungen: Ist die Lüge moralisch vertretbar? Die Thematisierung der unterschiedlichen Facetten der Lüge und des Scheins.
Ist die Lüge moralisch erlaubt?
Der wissenschaftliche Leiter des Philosophicums, Konrad Paul Liessmann, skizziert den Themenkreis der Diskussionsveranstaltung: "Ist die Lüge moralisch erlaubt? Wann ist sie vielleicht sogar geboten? Wo ist der Wille zur Täuschung stärker als der Trieb zur Wahrheit?"
In der modernen Welt sei der Wille zum Schein zur akzeptierten sozialen Technik geworden. Das Spiel der Fiktionen, Falschmeldungen und Fälschungen floriere, raffinierte Täuschungen und virtuelle Welten inszenierten die Illusion als Wirklichkeit, so Liessmann.
Freude an der Täuschung
Da also der Wille zum Schein eine akzeptiere soziale Technik ist, wird sie in der Politik ebenso gern angewandt wie in den Medien, der Wissenschaft und der Kunst - oder auch im privaten Leben.
Der Mensch lügt laut Liessmann demnach nicht nur aus Not und Eigennutz, sondern aus der Freude an der Täuschung, der Verstellung, der Unwahrheit. Das habe bereits Friedrich Nietzsche gewusst, der sich lange vor Sigmund Freud mit der tiefenpsychologischen Bedeutung der Lüge beschäftigte.
Die Lüge in der Wissenschaft
Ulrike Felt ist Wissenschaftsforscherin an der Universität Wien. Sie hat sich fürs diesjährige Philosophicum Lech die vielschichtigen Beziehungen und Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften angeschaut.
Die Naturwissenschaften stellen ja, wenn man den Bereich der Religion ausklammert, den umfassendsten Anspruch auf Wahrheit. Doch was ist Wahrheit. Wahrheit, so schreibt der britische Historiker Steven Shapin, besitzt eine "soziale Geschichte", erfährt an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten eine immer neue Bedeutung.
"Das derzeit best mögliche"
Demzufolge entsteht Wahrheit als Ergebnis einer Verhandlung mit bestimmten Verhandlungsregeln und wird zu einem bestimmten Zeitpunkt von der Scientific-Community für wahr gehalten. Ein pragmatischer Wahrheitsanspruch ist demnach: "Das derzeit best mögliche". Doch wer gehört zu den Verhandlern, die über Wahrheit und Täuschung entscheiden, und wer nicht?
Grauzonen der Täuschung
Simone Dietz, Professorin für Philosophie an der Universität Düsseldorf, erörterte die moralische Dimension des Diskussionsthemas mitsamt der Grauzone von Täuschung, Floskeln, Heuchelei und dergleichen. Sie fragt, warum Lügen als etwas schlechtes gelten, obwohl sie zu unserer alltäglichen Paxis gehören.
"Das Lügen ist nicht grundsätzlich schlecht, sondern moralisch eine neutrale Fähigkeit", sagt Dietz. Demnach kann die Lüge, wie viele andere Fähigkeiten, schlechten Absichten ebenso dienen wie in guter und gerechtfertigter Absicht stehen.
Dennoch: Niemand bezeichnet sich gerne als Lügner und eines der zehn Gebote des christlichen Gottes lautet: Du sollst nicht lügen.
Kreativität und Lügen
Man lügt ja nicht nur, um andere zu täuschen, sondern man lügt auch, um mit dieser Täuschung etwas Bestimmtes zu erreichen. Das erfordert Kreativität.
Und: ein gutes Gedächtnis um jenen Widersprüchen zu entgehen, an denen der schlechte Lügner zu scheitern pflegt. Die vermeintlich hochgeschätzte Fähigkeit, die Welt auf die harten Fakten zu reduzieren, ist so Konrad Paul Liessmann nur allzu oft eine eklatante Unfähigkeit.