Die Welt der Frauen

Erinnerungen an die Großmutter

Ein Marillenbaum im Garten, an der warmen Westwand, mit seinen Ästen bis in den ersten Stock zur dreiseitig freien Terrasse, mit sommerlicher und menschlicher Wärme hat die Mutter dem Baby die Marillen zubereitet, zerdrückt, den Mund gelb verschmiert, glücklich, satt, zufrieden, voller Ruhe, im Garten nur das Summen der Insekten. Den ganzen Sommer über war die Mutter zu Hause und wir lebten gemeinsam mit der Großmutter im und mit den Früchten des Gartens, der Vater - der Familienernährer - nicht anwesend, und auch als Ernährer nicht präsent, der Sommer gehörte uns Frauen und dem Garten alleine.

Ernten, einkochen, Müßiggang. An Großmutter erinnere ich mich mit großem Strohhut im Garten, mit braunen Armen, oft Unkraut jätend, selten lachend und vom Leben mitgenommen. Sie, die immer an Konventionen festgehalten hatte, hat sich durch die von ihr immer mehr Besitz ergreifende Alzheimererkrankung davon befreit. Das grün-schwarz karierte Kleid wurde zum Unkrautjäten auf zehn Zentimeter über den Knien gekürzt, und die darunter erscheinende lange Unterhose betrachteten wir Kinder wie ein gelüftetes, bis jetzt gut gehütetes, aber lustiges Geheimnis. Die Tragik kam erst durch die Reaktionen der Erwachsenen ins Spiel.

Die Errinnerung an das Haus gehört besser in den Herbst und Winter.

Die Großmutter wohnte im Erdgeschoß, meine Eltern und ich im ersten Stock. Die Küche mit dem großen hellblauen Holzherd und daneben die große Speis mit unseren ganzen eingekochten Schätzen des vergangenen Sommers. Eingewecktes in allen Varianten, das streng über den Winter aufgeteilt wurde. Das Bad, winzig, nur mit Sitzbadewanne und weiß-schwarzem Terrazzoboden. Die Böden der Räume sind am besten in der Erinnerung verankert, im Vorraum schachbrettartig verlegter Korkboden in zwei Brauntönen, anfangs schön, im Lauf der Zeit geprägt von sämtlichen Bleistiftabsätzen, die darüber trippelten und damals so beliebt waren, versiegelte Holzspanplatten, im Wohnzimmer in rot und im Esszimmer in gelb.

Zum Winter gehörte auch das Vorlesen. Grimms Märchen mit wunderschönen Illustrationen, ein Buch, das ich noch heute hüte und als greifbaren Beweis aus der Vergangenheit gerettet habe. Meinem Jüngsten lese ich heute Harry Potter vor, das Einkochen und die geruhsamen Sommer sind verdrängt von dem stets vorhandenen Frischobstangebot im Supermarkt und von actionreichen Computerspielen und Eventbesuchen. Wenn es manchmal still ist im Garten und ich unter meinem Marillenbaum stehe und die ersten Früchte versuche, dann streift mich eine Ahnung meiner Kindheit, beim ersten Biss in die saftigen Früchte hat mich die Gegenwart wieder.

Text: Eva Hölbling, Literaturklasse

Mehr zu den Angeboten des Ö1 Clubs in oe1.ORF.at

Link
Das Schloss an der Eisenstraße