Boccaccio auf tschechisch

"Geschichten über Ehe und Sex", Teil VIII

In "Geschichten über Sex und Ehe" befasst sich der tschechische Bestsellerautor Michal Viewegh mit viel Humor mit den, wie er meint, zwei wichtigsten Themen der Menschheit: dem Sex und der Ehe. Die 21 Erzählungen, die durch den Protagonisten Oskar miteinander verbunden sind, zeichnen den häufigen Verlauf von Liebes- und Lebensbeziehungen nach und fügen sich in ihrer Gesamtheit zu einem Roman mit starken autobiografischen Zügen.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Verlag Deuticke publiziert oe1.ORF.at exklusiv für die Abonnenten und Abonnentinnen des einmal wöchentlich erscheinenden Newsletters die ersten Kapitel des im Frühjahr erscheinenden Buchs "Geschichten von Ehe und Sex".

Kapitel VIII: Pfeif auf seine Augen

"Ich bitte dich, kommt er nun, oder kommt er nicht?" flüsterte Oskar, um das Kind nicht aufzuwecken, das gerade eingeschlafen war. Noch gestern hatte Jirina am Telefon behauptet, ihr Mann wäre nicht zu Hause, aber jetzt schien das nicht mehr so sicher zu sein.

Als er sich am Nachmittag zu ihr aufgemacht hatte, war er in bester Laune gewesen - nach zwanzig Tagen hatte er endlich Ausgang bekommen. Er hatte keine Lust auf die Maulwurfatmosphäre der U-Bahn, darum nahm er die Straßenbahn, obwohl es länger dauerte; er saß auf einem gewärmten Sitz und sah, wie in der eiskalten Luft über der Moldau die Möwen kreisten und sich die schwache Januarsonne an die verstaubten Häuserfassaden am Kai anlehnte, deren Fenster ihm nahezu ununterbrochen blendende Lichtstrahlen zuwarfen. Noch am Weg von der Straßenbahn war er in gehobener Stimmung und freute sich aufrichtig auf Jirina und sogar auf ihren sechs Monate alten Sohn (der Duft von Kamillenbad, der bei seinen früheren Besuchen in der kleinen Garconnière jedes Mal dominiert hatte, stellte auch einen willkommenen Gegenpol zu all den üblen Gerüchen in der Kaserne dar), aber jetzt, nach drei Stunden in dem kleinen, überheizten und unaufgeräumten Zimmer, war seine ganze Euphorie dahin.

Die ganze Zeit mußte er in einer ziemlich unbequemen Position auf dem aufgeschlagenen Ehebett sitzend verbringen und die mörderische Kombination aus Kindergeplärr und der Geräuschkulisse aus dem Fernseher ertragen.

"Ich habe dir doch gesagt, daß ich es nicht weiß!" fauchte Jirina gereizt, ohne dabei aufzuhören, das schwarzweiße Bild des nun schon leise gestellten Fernsehers zu verfolgen. "Wie soll ich das, verdammt noch mal, wissen?"

Oskar schüttelte den Kopf. Ab und zu konnte er ihre vulgäre Ausdrucksweise nicht mehr ertragen - in solchen Momenten schwor er sich, sofort mit ihr Schluß zu machen, aber beim nächsten Ausgang kam er dann doch wieder. Er blickte sie kurz an. Der Ausschnitt ihres zerknitterten und, offen gesagt, nicht besonders sauberen Nachthemdes war an der Spitze zerrissen - Oskar hatte sich schon zuvor gefragt, ob das vom Stillen oder von Ruda kam.

"Ich versteh nicht, warum du mich ständig danach fragst?" sagte sie.

"Weil ich einfach nicht will, daß er uns eventuell hier so vorfindet", antwortete Oskar möglichst leise und umschrieb mit einer Handbewegung zuerst das zerwühlte Doppelbett, auf dem beide saßen, und dann sein etwas ungewöhnliches Besuchergewand - die grüne Militärunterhose und das weiße Unterhemd. Seine Ausgangsuniform hing auf einem Kleiderbügel auf dem Griff des einzigen Fensters, wohin er sie gleich nach seinem Kommen gehängt hatte, um so das Risiko, daß Jirina ihn wie üblich mit Rotwein, Nagellackentferner oder Karottensaft bekleckere, möglichst gering zu halten. "Ist das so schwer zu verstehen?" fügte er hinzu.

"Als würdest du ihn nicht kennen!" flüsterte Jirina und machte eine verächtliche Kopfbewegung. Ihr Blick schweifte kurz zu ihrer Seite des Bettes, wo statt eines Nachttisches ein rot gestrichenes, ziemlich abgeblättertes Gitterbett stand, in dem ihr Sohn schlief. Sie wandte sich Oskar zu: "Falls er kommt - was ich stark bezweifle - dann in einem Zustand, in dem er dich überhaupt nicht wahrnimmt ..."

Oskar liebte Jirina nicht (auch sie liebte ihn nicht), aber irgendwie hatte er sie ganz gern und fühlte ihr gegenüber ab und zu - wie gerade jetzt - so etwas wie eine verständnisvolle Zärtlichkeit. Ein ähnliches Gefühl verspürte er, als er jene ungespielte Begeisterung beobachtete, mit der sie ihrem Söhnchen all die primitiven Kinderreime in einem Bilderbuch aus hartem Hochglanzkarton vorlas, das er zusammen mit den zur Tradition gewordenen Pistazien und zwei Sieben-Zehntel-Flaschen Rotwein auf dem Wege gekauft hatte. In solchen Momenten mußte er daran denken, daß das Leben sie nicht mit Samthandschuhen angefaßt hatte. Sie hatte in Ústí nad Labem eine Verkäuferinnenlehre abgeschlossen, aber kaum hatte sie ihre Arbeit angetreten, wurde sie hinausgeworfen, weil sie angeblich nicht mit dem Chef schlafen wollte - nicht so sehr aus Prinzip, wie sie zugab, sondern eher weil sie sich körperlich vor ihm ekelte (Oskar glaubte ihr diese Geschichte sogar). Eine andere Arbeit konnte sie nicht finden, weshalb sie eine Zeitlang von der Sozialhilfe lebte. Tagsüber kümmerte sie sich um ihre Mutter, die an multipler Sklerose litt (sie war voriges Jahr im Sommer gestorben), und am Abend besuchte sie die Diskotheken von Ústí, um sich ein wenig abzureagieren - aber wenn sie in der Nacht nach Hause zurückkam, wurde sie fast jedes Mal von ihrem Vater verprügelt. Als ihr Ruda deshalb vorschlug, sie solle ihn doch heiraten und mit ihm nach Prag ziehen, willigte sie ein; sie wußte zwar, daß Ruda trank, aber das wahre Ausmaß ahnte sie nicht. Ebenso konnte sie sich auch nicht vorstellen, daß es sich bei jener Garçonnière im Tiefparterre, von der Ruda als ihrem künftigen Prager Nest gesprochen hatte, in Wirklichkeit um diese düstere Kellerräumlichkeit handelte.

Er legte ihr die Handfläche in den Nacken und streichelte ihr über die Haare. Sie schob seine Hand weg, doch nach einer Weile setzte sie sich näher an ihn heran und stützte ihr Gesicht auf seiner Schulter ab. Dabei sah sie sich aber immer noch den Film an.

"Willst du noch einen Polster?" fragte er leise.
Ohne etwas zu sagen, beugte sie sich nach vor und wartete, daß Oskar die Polster hinter ihrem Rücken richten würde.

"Besser?"
Sie nickte.
"Schenkst du mir nach?" ersuchte sie ihn.

Während er sich nach der Flasche ausstreckte, rückte und rutschte sie noch einmal hin und her, um die bequemste Position zu finden; dabei glitt ihr Nachthemd nach oben, und sie begann, gedankenverloren mit den Schamhaaren zu spielen.

Gerade ihre Unfähigkeit oder vielleicht Unwilligkeit, sich auch nur ein bißchen zu schämen, war wohl das, was Oskar an ihr überhaupt am meisten anzog. Beim ersten Mal war es ein Schock, aber mit der Zeit verlor er seine Hemmungen und faßte schließlich auch ihren Sex ebenso auf: wie eine Art fahrbaren Einkaufswagen, in den sie nach Belieben gratis und fast jederzeit alles legen konnten, worauf sie gerade Lust hatten. Wegen dieser sozusagen absoluten sexuellen Freiheit, die er nie zuvor erfahren hatte, ertrug er auch geduldig ihre schlimmeren Charaktereigenschaften (zum Beispiel ihre gelegentliche Raffgier - die um so jämmerlicher war, je geringer die Beträge waren, die sie sich von ihm “borgte").

Er reichte ihr das Glas und fuhr mit zwei Fingern auf der Innenseite ihrer Oberschenkel bis zum Schritt. Sie legte ihm seine Hand in seinen eigenen Schoß und drückte ihm dabei schmerzhaft die Hoden. Er jaulte auf.

"Ich will mir das bis zum Ende anschauen, klar?" teilte sie ihm mit, den Mund voll zerkauter Pistazien.

So war es immer: In einem Moment empfand er ihr gegenüber fast Liebe - die gleich kurz darauf in eine Art Ekel umschlug. Angewidert beobachtete er sie, wie sie mit dem Nagel in den Zähnen herumstocherte, ohne dabei die Augen vom Bildschirm abzuwenden. Um elf mußte er zurück in der Kaserne sein, außerdem konnte ihr Ruda daherkommen, aber sie mußte sich unbedingt diesen seichten, unrealistischen amerikanischen Schwachsinn zu Ende anschauen, dachte er sauer. Vorsichtig öffnete er die zweite Flasche, und sie streckte ihm sofort das leere Glas hin.

"Schenk mir nach, damit ich gefügiger werde", sagte sie.
Er wußte sehr wohl, daß dies eine versöhnliche Bemerkung war, aber der Schmerz in den Hoden war noch nicht ganz vergangen.

"Stillst du nicht noch zufällig?" bemerkte er bissig.
"Und soll ich mich deswegen kasteien?" fragte sie. "Wenigstens schläft er besser, schau nur!" deutete sie auf das Gitterbett.

Oskar wollte das lieber nicht kommentieren; ebenso sagte er nichts, wenn sie manchmal das weinende Kind wütend rüttelte - er wandte nur den Blick ab.

Gerade als er nachgoß, trat jemand mit Wucht mehrmals gegen die Tür - Oskar zuckte vor Schreck zusammen, so daß etwas Wein auf dem Bettbezug landete.
"Was führt er wieder auf?!" kreischte Jirina, schnellte aus dem Bett empor und stürmte zur Tür.
Das Kind wachte erwartungsgemäß auf und begann zu weinen. Oskar wendete panisch die begossene Bettdecke, stand auf und stellte sein Glas auf das Fensterbrett. Schnell setzte er sich wieder hin, diesmal jedoch nur auf den Rand des Bettes, und gab vor fernzusehen. Er versuchte, ironisch zu lächeln, aber in der Magengegend spürte er einen höchst unangenehmen, beklemmenden Druck und in den beiden Oberarmen wiederum eine eigenartige Schwäche. Verwirrt dachte er darüber nach, ob er von dem Schreck nicht eine Fieberblase auf der Lippe bekommen würde und ob Ruda nicht zufällig in aggressiver Stimmung auftauchen würde - Oskar war zwar um einen Kopf größer als er, aber einen eventuellen physischen Konflikt wollte er auf keinen Fall riskieren.

Ruda lächelte glücklicherweise - doch es war ein seltsames Lächeln. Durch den schmalen Spalt zwischen den geschwollenen Lidern blinzelte er in den Raum. Auf beiden Armen hatte er abgeschürfte Ellbogen und auf der Winterjacke mehrere große Flecken.

"Hallo, Ruda", lächelte Oskar. Er kam sich vor wie ein Idiot. "Wie gehts denn immer so?"
"Sprichst du mit ihm?" fragte Jirina böse. "Glaubst du vielleicht, daß dir die Sau antwortet?"

Ruda antwortete wirklich nicht, hörte aber nicht auf, seltsam zu lächeln. Plump, aber im großen und ganzen aufrecht schritt er durch den Raum zum Bett und setzte sich mit dem Rücken zu Oskar hin. Das Kind, das Jirina in der Zwischenzeit beruhigt hatte, begann wieder zu weinen. Jirina bückte sich wütend und zog mit zwei heftigen Bewegungen die unglaublich schmutzigen Halbschuhe von Rudas Füßen. Ruda geriet dabei so gefährlich ins Wanken, daß Oskar ihn wohl oder übel mit den Schultern stützen mußte, damit er nicht umfiel. Auf dem Kragen von Rudas gestreiftem Hemd bemerkte er getrocknetes Blut.

"Du Schwein, du besoffenes, verludertes!" sagte Jirina und hob die Beine ihres Mannes aufs Bett. Ruda fiel rücklings auf den Polster, und Jirina warf die Bettdecke über ihn. Schließlich brachte sie einen Emailblech-Eimer, den sie absichtlich laut neben das Bett stellte - doch da schlief Ruda, wie es schien, schon fest.

Oskar hatte so etwas zum ersten Mal in seinem Leben gesehen.
"Nimm ihn in den Arm!" befahl Jirina Oskar und deutete auf das weinende Kind.

Oskar schob seine Hände unter das schmächtige Körperchen und hob es vorsichtig hoch.

"Schschsch", summte er verlegen.

Das Kind wurde nach einer Weile wirklich still, was auf dem Gesicht Jirinas nach langer Zeit ein Lächeln hervorrief. Für einen Moment sah sie sehr jung aus, fast kindlich. Oskar lächelte auch. Jirina setzte sich neben ihn, übernahm das Kind, holte aus dem zerrissenen Ausschnitt eine Brust hervor und steckte dem Baby die dunkle Brustwarze in den Mund. Das Kind begann, ganz selig zu saugen.

"Du verluderter Bock!" sagte sie schon etwas leiser.
Sie ergriff die Hand, mit der Oskar bis jetzt dem Kind das Köpfchen gehalten hatte und legte sie auf ihre freie Brust. Oskar warf einen Blick auf den schlafenden Ruda.

"Ich muß gehen", sagte er entschuldigend. “Ich habe heute nur bis zehn Ausgang. Und der diensthabende Offizier ist ein Schweinehund ..."

"Drück mir den Nippel", sagte Jirina .
Matt gehorchte er ihr, aber sein Blick gehörte dabei Ruda.
"Mehr. Und streck deinen Indianer aus der entzückenden Unterhose - ich will ihn sehen."

Das Kind schlief während des Stillens wieder ein, und Jirina legte es ins Gitterbett zurück.

"Ich kann nicht", flüsterte Oskar heiser. "So direkt vor ihm ..."
"Mach schon."

Ihre Brust war noch immer entblößt. Sie kniete sich zu Oskar hin und zog ihm seine Unterhose aus. Dann streifte sie sich das Hemd über den Kopf und warf es auf den übervollen Wäscheständer, der die einzige freie Ecke des Raumes einnahm.

"Aber was ist, wenn er aufwacht?!" flüsterte Oskar erschrocken, doch mit dem Handrücken streichelte er schon ihren Schoß. Von Rudas Gesicht trennten ihn etwas sechzig Zentimeter.

"Er wacht nicht auf", versicherte sie ihm.
Er hörte das vertraute Klappern ihres "Einkaufswagens“ und spürte, wie sie nacheinander seine Schenkel, seinen Bauch und seinen Penis hineinlegte. Das erregte ihn.

Ruda öffnete die Augen.

Oskars Schreck war so groß wie zuvor. Er versuchte, Jirina wegzustoßen, aber sie ließ es nicht zu.

"Er hat die Augen offen", flüsterte Oskar verzweifelt, nahezu weinerlich. "Er hat die Augen offen!"
"Pfeif auf seine Augen", sagte Jirina gleichgültig, ohne den Kopf zu heben. "Er sieht dich nicht."

Sie leckte sich die Lippen und setzte sich mit gespreizten Beinen auf den Bettrand.

"Nimm mich, Soldat", befahl sie Oskar laut.