"Geschichten über Ehe und Sex", Teil IV

In "Geschichten über Sex und Ehe" befasst sich der tschechische Bestsellerautor Michal Viewegh mit viel Humor mit den, wie er meint, zwei wichtigsten Themen der Menschheit: dem Sex und der Ehe. Die 21 Erzählungen, die durch den Protagonisten Oskar miteinander verbunden sind, zeichnen den häufigen Verlauf von Liebes- und Lebensbeziehungen nach und fügen sich in ihrer Gesamtheit zu einem Roman mit starken autobiografischen Zügen.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Verlag Deuticke publiziert oe1.ORF.at exklusiv für die Abonnenten und Abonnentinnen des einmal wöchentlich erscheinenden Newsletters die ersten Kapitel des im Frühjahr erscheinenden Buchs "Geschichten von Ehe und Sex".

Kapitel III: Einer der letzten schönen Tage

Der Sommer war praktisch zu Ende. Oskar und Zuzana waren ganz alleine am Wehr. Zuzana lag auf dem Rücken; die Augen hatte sie geschlossen. Das Wasser am Wehr brauste.

Oskar drehte sich auf den Bauch, faltete die Hände unter dem Kinn und wartete, wann in der Biegung des Flusses eines der letzten Schiffe der Saison auftauchen würde. Die Oberfläche glänzte silbern, so daß er die Augen zusammenkneifen mußte. Die Sonne verlor schon an Kraft, obgleich sie immer noch stark genug war, um Oskars Kajak den Duft von Harz zu entlocken.
„Cremst du mich ein?" fragte Zuzana, ohne die Augen zu öffnen.

Er stand auf und ließ den Kajak aufs Wasser. Mit den Händen stützte er sich am rechten und linken Rand ab und schlüpfte geschickt hinein. Der Kajak gelangte unter seinem Gewicht ins Schlingern, und ein paar kleine Wellen klatschten an die Betonkante des Wehrs. Während er die Spritzdecke zuzog, wurde das Boot vom Strom gedreht und in den tosenden Durchbruch fortgetragen. Er wartete, und als er fühlte, daß das Heck auf der ersten langen Welle schaukelte, beugte er sich vor und führte es mit einigen kräftigen Paddelschlägen ins ruhige Wasser oberhalb des Wehrs. Der Kajak drehte sich mehrmals rasch um die eigene Achse, und dann ließ er sich am Ufer nur dahintreiben und glitt ins lichte Schilf; das trockene Rascheln gefiel ihm. Aus den nassen Haaren rann ihm immer noch Wasser ins Gesicht. Er bemerkte, daß sich Zuzana aufgesetzt hatte und ihn beobachtete, ihrem Blick aber wich er aus. Er hatte das Gefühl, er würde ihn nicht ertragen.

In den fünf Jahren ihrer Ehe war es das erste Mal, das sie ihn betrogen hatte. Er hatte einige mehr oder weniger bedeutungslose Affären hinter sich, aber Zuzana hatte ihn bei keiner ertappt - sie gab sich mit jeder raffinierteren Ausrede zufrieden. Oskar nicht - er wollte der Sache auf den Grund gehen. Zuzana fehlte offenbar Oskars geduldige, zielbewußte Konsequenz, dank derer er sie gestern am Abend zu einem reumütigen Geständnis gebracht hatte. Nun wußte er es also mit Gewißheit, aber das nicht nachlassende beklemmende Gefühl in der Magengegend, das er verspürte, wann auch immer er sich gewisse konkrete Details ihres Verrates vor Augen führte, war überraschenderweise viel stärker als jenes der Gekränktheit und moralischen Überlegenheit, um dessentwillen er das ganze einstündige Verhör geführt hatte. Wenn ihm nun jedoch jemand ein paar ähnlich konsequente Fragen stellen würde, so würde Oskar bald zugeben, daß er die Einzelheiten, von denen er sich gestern noch mit einer solchen Dringlichkeit überzeugen hatte wollen, heute lieber überhaupt nicht wüßte.

Er kehrte zum Wehr zurück und zog den Kajak aus dem Wasser heraus; Zuzana wollte ihm dabei behilflich sein, aber er kam ihr mit einer heftigen Bewegung zuvor. Der Boden des Kajaks war mit nassem, klebrigem Laub bedeckt; der Fluß war schon ganz voll damit. In Kürze würde der Herbst beginnen, wurde Oskar bewußt. Es schien alles in Brüche gegangen zu sein.

In der Flußbiegung tauchte ein Boot auf. Er ging über die Betoninsel, auf der sie lagen, und setzte sich ganz an den Rand des Durchbruchs, mit dem Rücken zu Zuzana. Das Wehr verfiel schon seit Jahren, und das Wasser hatte den ehemaligen Durchlaß schon längst ausgehöhlt und breiter gemacht. Der schwarzgrüne Strom wälzte sich in mehreren langen, nur leicht schäumenden Wellen dahin, aus denen ungefähr in der Mitte ein großer Fels oder eher Steinblock herausragte; das Wasser spaltete sich daran in zwei Richtungen: nach links entlang des Felsens und nach rechts zwischen zwei kleineren Steinen.

Das Boot kam näher. Es war ein khakifarbenes Militärschlauchboot; es sah irgendwie dick und fett aus. Darin saßen zwei Paare mittleren Alters; alle vier hatten weiße T-Shirts mit dem gleichen Aufdruck.

„Ahoi!" rief - wie im Wassersport üblich - einer der Männer, mit Bart, braungebrannt und mit einem roten Piratentuch auf dem Kopf.
Oskar antwortete nicht.
„Ahoi!" rief Zuzana etwas zaghaft.

Oskar stellte sich vor, wie Zuzana mit diesem Mann schlief. Das Boot kreuzte eine Weile unentschlossen oberhalb des Wehrs und stieß dann schwerfällig zur Kante. Der Mann mit dem Tuch stieg in das seichte Wasser und kletterte auf den nassen Beton, um sich die Schleuse aus der Nähe anzusehen. Zuzana öffnete kurz die Augen, und der Mann lächelte sie an. Dann ging er zu Oskar hinüber und lehnte sich über den Durchbruch.

„Sie kennen sich hier offenbar aus", bemerkte er und nickte mit dem Kinn in Richtung Oskars Kajak. “Wie fährt man hier am besten?"
Oskar räusperte sich, als könnte er seine Stimme nicht finden.
„Rechts. Rund um den großen Block rechts", sagte er.
„Zwischen diesen beiden Steinen?" fragte der Mann etwas zweifelnd.
„Da müssen Sie durch. Links würde es Sie an den Felsen werfen."
„Also, danke."

Mit der linken Seite streiften sie leicht, aber ansonsten kamen sie ganz gut durch. Der Mann mit dem Tuch winkte ihnen zum Abschied zu, und Zuzana erwiderte seinen Gruß.

„Mit dem würde es dir passen, was?" bemerkte Oskar.
Sofort wendete er den Kopf ab, aber trotzdem fühlte er ihren Blick. Es ärgerte ihn, daß er ihr durch diese dumme Bemerkung unnötigerweise Überlegenheit gab.
„Ich gehe nach Hause", teilte sie ihm trocken mit.
„Geh, wohin du willst, du Flittchen", antwortete er.
Sie warf ihre Sachen in die Korbtasche und lief zornig weg.

Etwa eine halbe Stunde später landete ein blaues Kanu beim Wehr; das auf dem Platz des Bugmanns sitzende Mädchen trug kein Oberteil. Es stieg aus dem Boot und streckte sich. Der Hintermann, ein kaum zwanzigjähriger magerer, blonder Bursche, zog das Boot aus dem Wasser und ging sich die tosenden Stromschnellen ansehen. Das Mädchen cremte in der Zwischenzeit ihre hübschen Beine mit Sonnenmilch ein.

„Wir werden es tragen müssen", teilte ihr der Bursche mit.
„Das meinst du wohl nicht im Ernst, Bob!"
Sie verdrehte die Augen und blickte kurz Oskar an, der immer noch am Rand des Durchbruchs saß. Sie legte die Sonnenmilch zur Seite und stellte sich - ihrer Nacktheit bewußt - genau neben ihn.

„Da kann man doch durchfahren, nicht wahr?" fragte sie.
Mit den Fingern massierte sie die wund gedrückten roten Streifen auf den Schenkeln.
„Sicher doch", meinte Oskar.
Er hatte eine merklich bessere Figur als der blasse und hagere Bob.
„Also, siehst du?" sagte das Mädchen zu Bob.
„Ja? Und wie bitte?" fragte Bob gereizt. „Ich sage dir, wir dürfen das Boot nicht ruinieren, denn es gehört nicht uns."

Was er sagte, war zweifellos für Oskar bestimmt, aber trotzdem blickte er ihn nicht an.

„Sie haben auf dem Bein noch nicht die ganze Sonnenmilch verteilt", teilte Oskar dem Mädchen mit.

Das Mädchen machte ein zweifelndes und zugleich herausforderndes Gesicht.
„Ja? ... Und wo?" Sie musterte ihre Beine.
„Hier", sagte Oskar und strich dem Mädchen mit zwei Fingern langsam über die Rückseite der Wade. „Ist schon in Ordnung."
Ihre Haut fühlte sich heiß an.
„Also was?" fragte Bob nervös. „Werden wir es tragen oder was?"
Oskar hatte nur Verachtung für ihn übrig - und zugleich tat er ihm irgendwie leid.
„Nein. Wir paddeln", sagte das Mädchen mit einem Lächeln und wandte sich an Oskar. „Wie fahren wir da am besten?"
Mit ihrem Bein berührte sie fast seinen Arm.
„Sie haben auf der Brust noch nicht verriebene Sonnenmilch", sagte Oskar ernst.

Das Mädchen hüpfte lachend zur Seite.
„Sagen Sie mir lieber, wie wir fahren sollen ..."
Oskar blickte ihr in die Augen, bis sie seinem Blick nicht mehr standhielt.
„Links", sagte er gewissermaßen ohne Interesse. „Links rund um den Block."
Er stand auf, nahm den Kajak und ließ ihn zu Wasser - die Muskeln an den Oberarmen spannte er dabei mehr als nötig an.
„Links?" fragte Bob. „Und wirft uns das nicht an den Felsen?"
„Nein", sagte Oskar. „Wenn Sie rechts fahren, zerschellt das Boot an den zwei Steinen."
„Hast du gehört?" fragte das Mädchen Bob. „Also los!"
Als sie sich ins Kanu setzte, blickte sie Oskar noch einmal an und zuckte lächelnd mit den Schultern. Bob stieß das Boot vom Ufer ab und führte es mit einem unnötig großen Bogen an die linke Seite der Schleuse. Noch bevor sie der Strom an den Felsen schlug, drehte sich das Mädchen um, um Oskar ein letztes Mal zuzuwinken, aber Oskar erwiderte ihren Gruß auch diesmal nicht. Er stieß sich mit dem Paddel vom steinigen Boden ab und begab sich mit langsamen Schlägen gegen den Strom auf den Weg nach Hause.

Es war einer der letzten schönen Tage.