Backhendl als Zeitweiser

Verlust des Zeitgefühls

"Das Backhendl oder vom Verlust des Zeitgefühls" nennt Claus Guth, Regisseur der "Cosi", seine Kolumne in "Daily", der täglich erscheinenden Zeitung der Salzburger Festspiele. Als Phänomene der Salzburger Probenzeit nennt er: "Jemanden fragen, ob es außerhalb des beleuchteten Proberaums schon dunkel ist - in die Sonne blinzeln wie nach dem Auftauchen aus dem Bergwerk - die immer wiederkehrende Frage, ob es draußen gerade regnet - der völlige Verlust des Wissens um den Wochentag."

Wir Mitarbeiter der Dramaturgie können uns dem, zuckenden Augenlids und mit vom Korrekturlesen offenen Ellenbogen, nur anschließen.

Die Kritiker meinten es ja nicht allzu gut mit Guth und seiner "Cosi". Was übrigens der Begeisterung des Publikums keinen Abbruch tut. Nun gut. Nichts Neues. Zurück zu Guths Salzburg-Beobachtungen: "Die einzige wohltuende Rettung im völligen Verlust des Zeit- und Raumgefühls ist die Verlässlichkeit des legendären Backhendls, das pünktlich jeden Samstag in der Philharmoniker Gasse vorfährt und einem in Erinnerung ruft, dass wieder einmal eine Woche vergangen ist. Familie Gurtner sei Dank."

Wir hatten auch Hendl und wussten: Es ist Samstag, und das ist gut. Nur geruht wird am folgenden siebenten Tage nicht. "Wann wird denn das Wetter wieder schlecht?", fragt der unter der Hitze leidende Kollege mit den Pflastern an den Ellenbogen. Es wird. Die schwarzen Wolken stehen schon am Himmel.

Letzterer hängt übrigens in Salzburg voller Klaviere: Daran schuld sind die mehr als guten Pianistinnen und Pianisten, die hier in diesem Jahr auftreten: Martha Argerich, Nelson Freire, Grigory Sokolov, Lang Lang, Maurizio Pollini, Alexander Lonquich, David Fray, Arcadi Volodos, Pierre-Laurent Aimard, Fazil Say, Boris Berezovsky, Nicolas Hodges, Valery Afanassiev und Marc-André Hamelin.

A propos Berezovsky. Verlust des Zeitgefühls auch beim Publikum Dank seiner und seinen Oktavgewittern im Rahmen des Zyklus "Liszt-Szenen“. Was für ein cooler Hund. Berezovsky kam auf die Bühne, die Hände leger baumelnd, kickte einmal mit der Fußspitze den Klavierhocker zurecht, setzte sich ans Klavier und entfachte mit Riesenpranken und Franz Liszts "Totentanz" ein virtuoses Feuerwerk.

Und weiter gewerkt. Welcher Wochentag ist morgen? Es regnet. Alles wird gut.

Link
Salzburger Festspiele - Daily Nr. 7 (PDF)