Eine "musikalische Durchquerung"

Elfriede Jelinek "Über Tiere"

Wenn Elfriede Jelinek, die Literaturnobelpreisträgerin, über das Verhältnis von Mann und Frau spricht, kommt sie im Regelfall ohne Umschweife zur Sache. In ihrem Stück "Über Tiere" lässt sie keinen Zweifel daran, wer die Täter und wer die Opfer sind.

Es war einer der wundersamsten Theaterabende der letzten Jahre. Auf der Bühne: zwölf Klaviere, eine Frau, ein Text. "Es ist dies in seiner Verwundbarkeit der schönste Text, den Elfriede Jelinek in letzter Zeit für das Theater geschrieben hat", schwärmte die "Süddeutsche Zeitung". Die "FAZ" sprach von einem "zauberischen Theaterabend", die "Wiener Zeitung" von einem "eindringlichen Abend", an dem Sylvie Rohrer "künstlerisch, gedanklich und sprechtechnisch eine unvergleichliche, eine bravouröse Leistung" erbrachte.

Basis des 2007 im Kasino des Wiener Burgtheaters uraufgeführten Stücks ist ein zweiteiliger Text von Elfriede Jelinek. Eine alternde Frau, ein "bis zur Resignation verwundetes weibliches Ich", räsoniert über die Liebe, die Männer und das Leben. Im zweiten Teil des eineinhalbstündigen Abends geht es dann direkt zur Sache: "Checken, schicken, ficken".

Skandal um Escort-Agentur

Elfriede Jelinek verwendet darin polizeilich aufgezeichnete Verkaufsgespräche einer noblen Wiener Escort-Agentur, die junge, zum Teil noch minderjährige Mädchen aus Osteuropa an betuchte Kunden vermittelt. Der Fall geriet 2005 zum Skandal, weil sich, wie die Wiener Stadtzeitung "Falter" enthüllte, auch Parlamentsangehörige und Staranwälte unter der Klientel befanden.

Atemlos, als ob sie dem Grauen entfliehen wollte, jagt die Schweizer Schauspielerin Sylvie Rohrer durch den Text. 2007 wurde sie unter anderem dafür als beste Schauspielerin mit dem "Nestroy" ausgezeichnet.

Zärtliche Klangwelt als Kontrast

Im Gegensatz zur gängigen Theaterpraxis, in der Jelineks Inhalte im Regelfall verstärkt, illustriert und überzeichnet werden, wählte der Regisseur, Musiker und Klangkünstler Ruedi Häusermann ein völlig anderes Konzept. Dem "monströsen Text" ("Kurier") setzt er eine allenfalls korrespondierende, zärtlich wehende Klangwelt entgegen. Häusermann variiert Mozarts bekannte d-Moll-Fantasie.

Metronome ticken, die zwölf Pianisten und Pianistinnen singen und summen, die klagenden Klaviere erzeugen einen Sehnsuchtsraum, der Jelineks Text gleichzeitig widerspricht und umfängt. Eine "musikalische Durchquerung" nennt der Schweizer Theatermann und Komponist seine Inszenierung.

Radioversion in modernster Technik

In Kooperation mit dem Wiener Burgtheater hat die Hörspielredaktion von Ö1 nun eine Radioversion dieses "artifiziellen Hochamts der Sprache" ("Wiener Zeitung") hergestellt. In modernster Aufnahmetechnik (5.1-Dolby-Surround) entstand ein Genre-überschreitendes Stück Radiokunst, das vor allem die klanglichen Feinheiten dieses "zauberhaft spukhaften Umzuges" ("Süddeutsche Zeitung") betont.

Regie führte abermals Ruedi Häusermann, und Sylvie Rohrer ließ es sich nicht nehmen, auch im Aufnahmestudio ohne Manuskript und Textvorlage auswendig und atemlos die Jelinek'schen "Protokolle der Prostitution" ("Die Furche") zu durchpflügen.

Organisatorische Hürden
Bis es soweit war, mussten allerdings noch einige praktische und organisatorische Hürden genommen werden. Da das ORF-Funkhaus nicht über zwölf Klaviere verfügt, mussten diese erst an- und zwei Tage später wieder zurückgeliefert werden. Dass sie dadurch etwas verstimmt und verschnupft klangen, störte den Regisseur wenig. Irritationen, meinte er, seien ohnehin Teil des Konzepts.