Begegnungen mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier

Der Mann, der zu viel kann

Michael Köhlmeier ist einer der produktivsten österreichischen Autoren. Er wisse nicht, hat Köhlmeier einmal gesagt, wozu er Urlaub machen solle. Wenn er andere Welten betreten wolle, setze er sich an den Schreibtisch und erfinde welche.

Als ich Michael Köhlmeier am Vormittag des 9. Dezember 1980 im Plattenarchiv des Landesstudios Vorarlberg traf, war er blass und sprach mit gedämpfter Stimme. Tags zuvor hatte der irregeleitete amerikanische Idealist Mark David Chapman in der Einfahrt zum Dakota-Building in New York John Lennon erschossen. Ein Tod, der nicht vorgesehen war. Und ein Tod, der verbindend wirkte.

Damals, Anfang der 1980er Jahre, verdiente sich Michael Köhlmeier sein Brot noch als Radiomacher, als Literatur- und Theaterkritiker, als Hörspiellektor und als emsiger Autor ebensolcher. Man kannte ihn freilich auch als Songwriter, der - gemeinsam mit Reinhold Bilgeri und eher aus Versehen - mit der Vorarlberg-Satire "Oho Vorarlberg" den Talentewettbewerb "Showchance" gewonnen hatte.

Niemals versiegende Ideenquelle

Michael Köhlmeier war immer schon ein Mann ohne Berührungsängste. Und ein Mann mit unbegrenzten Interessen. Auf unseren täglichen Spaziergängen vom Landesstudio die Ufer der Dornbirner Ache entlang zum Selbstbedienungsrestaurant des Familia-Marktes, wo wir unser Mittagessen zu nehmen pflegten, war kein Thema zu gering oder zu entlegen, um nicht mit Schweißperlen auf der Stirn diskutiert zu werden. Egal ob es sich um das neue Teufelszeug Computer handelte - das wir damals natürlich bekämpften -, um die Philosophie Hans Blumenbergs, um das Verhältnis Thomas Manns zu Bert Brecht im amerikanischen Exil, um mathematische Fragestellungen, um die Qualitäten Bob Dylans als Lyriker oder um die Frage, welche Dübel man am besten für Hohlwände verwendet: Der quirlige Mann aus Hohenems war immer bei der Sache.

Später, als wir begannen gemeinsam mit unseren Freunden Hubert Dragaschnig, Christian Mähr und anderen in Eigenregie Hörspiele zu produzieren (zum Beispiel "March Movie"), wurde diese niemals versiegende Ideenquelle mitunter zur bedrohlichen Flut. Michael Köhlmeier konnte hunderte Ideen am Tag produzieren, maschinenpistolenartig. Aber selbst wenn man neunundneunzig davon wieder verwarf: Die eine, die blieb, war tatsächlich bleibend. Wobei es natürlich selbstverständlich war, dass er in der Filmsprache Sergio Leones ebenso beheimatet war wie in der Billy Wilders, dass er aus der Hochkultur ebenso schöpfen konnte wie aus der Subkultur.

Andere Welten betreten

Michael Köhlmeier ist ein sehr gebildeter Mann. Und als 1982 nach vielen Hörspielen, Songs und einem Theaterstück (bezeichnenderweise: "Like Bob Dylan") 1982 sein erster Roman "Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf" erschien, wünschte man sich noch viele Romane, Stücke, Dramatisierungen, Gedichte und Essays vom Autor aus Vorarlberg. Denn was sich da auf vielen hundert Seiten präsentierte war ohne Frage zuviel für ein Buch. Ein überbordendes Kompendium mit Sonettenkränzen, Lautgedichten, Erzählungen und allen Ingredienzien, die der literarische Formenkanon anzubieten hat. Der Autor zeigte, dass er zu viel kann. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Michael Köhlmeier reimt und dichtet in freien Rhythmen, macht Musik, schreibt formstrenge, klassische Novellen ("Die Figur"), gewaltige Romane ("Abendland"), Fabeln ("Wie das Schwein zu Tanze ging"), Glossen und Kolumnen, Filmdrehbücher ("Der Unfisch"), Opernlibretti ("Die Welt der Mongolen") und immer wieder Hörspiele. Er wisse nicht, hat Köhlmeier einmal gesagt, wozu er Urlaub machen solle. Wenn er andere Welten betreten wolle setze er sich an den Schreibtisch und erfinde welche. Das schier unglaubliche Ergebnis: Vierzig Bücher, siebzig Hörspiele, ein halbes Dutzend Theaterstücke und knapp sechzig CDs. Was ihn freilich nicht daran hindert einzukaufen, die Kinder zu bekochen und weltmaschinenartige Lampen und anderes Gerät zu konstruieren.

Massenmedium und Solitär

Michael Köhlmeier - und das macht ihn so außerordentlich produktiv - ist ein Arbeiter. Das Warten auf den einen, endgültigen Satz, das Warten auf den Kuss der Muse, ist seine Sache nicht. Er hat ein Verhältnis zum literarischen Schaffensprozess wie ein Tischler zum Holz. Nur wenn ganz Holland malt, heißt es, wird es einen Rembrandt geben. Michael Köhlmeier ist in sich beides zugleich: Ganz Holland und Rembrandt. Breitensport und Spitzensport, Massenmedium und Solitär. Einer, der durch seine mündliche wie durch seine schriftliche Erzählkunst ein Massenpublikum zu binden und zu bilden vermochte. Einer, der die "Klassischen Sagen des Altertums" und die Bibel wie einen Krimi zu erzählen weiß. Der Deutschlehrer meiner Tochter mochte den Autor Köhlmeier deshalb wohl nicht besonders. Es war ihm ein Dorn im Auge, dass die Schüler sich ihre Kenntnisse lieber aus den Köhlmeier-CDs holten als der Odyssee im Unterricht zu folgen.

Michael Köhlmeier erfüllt einen Bildungsauftrag. Was ihn - wie kaum einen anderen Autor - an den öffentlich-rechtlichen Auftrag unseres Hauses bindet. Unlängst, als ich ihn zu einem Frühstück traf, haben wir uns über den Mythos Elvis Presley unterhalten. Und über das Verhältnis von Schönheit und Moral. Von Literatur war nur am Rande die Rede. Vielleicht das nächste Mal.

Post Skriptum: Am 15. Oktober wird Michael Köhlmeier 60 Jahre alt. Glücklicherweise hat er die Begriffe "Pension" und "Pensionsantrittsalter" nicht im Repertoire. Wir dürfen uns also noch auf viele weitere Köhlmeiers freuen - und gratulieren herzlich.

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Hör-Tipps
Tonspuren, Freitag, 9. Oktober 2009, 22:15 Uhr

Hörspiel-Galerie, Samstag, 10. Oktober 2009, 14:00 Uhr

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