Hörspiel von Max Ophüls
Arme Berta, großer Wurf
Arthur Schnitzlers Geschichte einer Klavierlehrerin in der österreichischen Provinz wird in der zeitlosen Hörspielfassung von Max Ophüls zu einem ergreifenden wie pathosfreien "Hörfilm". Mit Käthe Gold als Berta Garlan und Gert Westphal als Erzähler.
8. April 2017, 21:58
Eigentlich ist es ja niederschmetternd. Zumindest für Menschen, die an so etwas wie den Fortschritt glauben. Die also tatsächlich der Ansicht sind, dass - grosso modo - gegenwärtige Produkte besser sind als die der Vergangenheit. Allein schon deshalb, weil die Mittel, die Methoden und die Techniken sich entwickeln und weil uns die Gegenwart erlaubt, auf den Erfahrungen der Vergangenheit aufzubauen. Unsereins ist daher auch der Ansicht - wofür auch tatsächlich eine Menge spricht -, dass heutige Radioprogramme besser, aufregender und interessanter sind als die aus Dampfradiozeiten. Und dann das. Dann stößt man auf eine Produktion aus dem Jahr 1956 - und die ganze schöne Fortschrittsthese ist für die Fisch.
Kein Radiomacher
Max Ophüls Hörspielfassung von Arthur Schnitzlers Erzählung "Berta Garlan – Roman einer Klavierlehrerin", gilt als "innovativ", "bahnbrechend" und "meisterhaft". Besonders gerühmt wird seine Kunst, Erzähltes und Erlebtes, Innenwelt und Außenwelt, Monolog und Dialog, Musik und Geräusche zu einem einzigen mitreißenden, dramatischen Strom zu verbinden. Max Ophüls, 1902 als Max Oppenheimer im Saarland geboren, war - und das ist in diesem Fall unüberhörbar von Vorteil - kein Radiomann. Er war Schauspieler, Regisseur und Filmemacher. Heute noch trägt einer der bedeutendsten Filmpreise seinen Namen. Wohl hatte Ophüls 1953 mit einer Radiofassung von Goethes "Novelle" mit Oskar Werner als "Vorleser" neue Maßstäbe gesetzt, dennoch blieben Arbeiten fürs Radio die Ausnahme.
1956, ein Jahr vor seinem Tod, inszenierte er für den Südwestfunk in Baden-Baden die "Berta Garlan", die Geschichte einer Klavierlehrerin in der österreichischen Provinz, die der Enge ihres Daseins durch eine Liebesaffäre mit einem berühmten Violinvirtuosen zu entfliehen sucht. Es kommt wie es kommen muss. Der Maestro benutzt die arme Berta nur, die verlogene Gesellschaft gestattet Männern, was sie Frauen verweigert: Sexuelle Ausschweifung, Selbstbestimmung, Glück.
Ein Meilenstein der Hörspielgeschichte
Max Ophüls, der sich in Filmen und Theaterarbeiten zuvor schon mit Schnitzler beschäftigt hatte, verschränkt in der 151-minütigen Hörspielarbeit sein Können kongenial mit dem des Wiener Arztes und Frauenkenners. In Zeitaufbau, Schnittfolgen und Rhythmuswechsel formuliert er einen ergreifenden wie pathosfreien feministischen Hörfilm, der noch heute, 54 Jahre danach, nicht aktueller und zeitgenössischer realisiert werden könnte. Wesentlichen Anteil daran hat freilich das Starensemble, das Ophüls dirigiert. Käthe Gold, nobel und zerbrechlich, gibt die Berta Garlan, Kurt Meisel den ebenso aalglatten wie verführerischen Violinvirtuosen und der junge Gert Westphal führt als Erzähler mit jener zurückhaltenden Eindringlichkeit durch die Geschichte, wie wir dies später nur von Axel Corti kannten. Ö1 sendet diesen Meilenstein der Hörspielgeschichte zu Ostern in drei Teilen.
Fortschrittsgläubige müssen, wie gesagt, mit Frustrationen rechnen. Aber es schadet ja nicht, gelegentlich sein Weltbild zu korrigieren.
Hör-Tipps
Hörspiel-Galerie, Berta Garlan - Teil 1, Samstag, 3. April 2010, 14:00 Uhr
Hörspiel-Galerie, Berta Garlan - Teil 2, Sonntag, 4. April 2010, 16:00 Uhr
Hörspiel-Galerie, Berta Garlan - Teil 3, Montag, 5. April 2010, 16:00 Uhr
Buch-Tipps
Arthur Schnitzler, "Frau Berta Garlan. Erzählungen 1889-1900", Fischer Verlag
Arthur Schnitzler, "Frau Berta Garlan", herausgegeben von Konstanze Fliedl, Reclam 2006