Shanghai Passage - Emigration ins Ghetto
Wien 1939. Eine jüdische Familie muss fliehen. Getrennt. Der 16-jährige Sohn gelangt mit einem Kindertransport nach England, die Eltern verschlägt es nach China. Otto Tausig las aus den Erinnerungen seiner Mutter Franziska Tausig.
21. August 2018, 21:46
Als der vierjährige Otto Tausig von Josephine Baker aus dem Publikum auf die Bühne getragen wird - übrigens in jenem Johann Strauß Theater, das Tausig später unter dem Namen "Scala" mitleiten sollte - ist die Welt noch in Ordnung und Hitler ein "unbedeutender Radaubruder irgendwo in Deutschland". Vater Aladar Tausig, vor dem 1. Weltkrieg im noch ungarischen Temesvár Rechtsanwalt, nun eher erfolgloser Geschäftsmann in Wien, und Mutter Franziska, praktisch und lebenstüchtig, lieben und fördern ihren Sohn, wie gute Eltern das tun.
Otto besucht die Volksschule Favoriten - einer seiner Mitschüler und Freunde ist Gerhard Bronner - und bleibt auch im Gymnasium Klassenkasperl und Leseratte. Viele Lehrer sind bereits Nazis, der Unterricht langweilig. "Es kam vor, dass ich während des Physikunterrichts unter der Bank heimlich ein Buch über Physik las." Die Übergriffe auf jüdische Schüler nehmen zu.
1938 wird das Leben der Tausigs zerstört. Otto muss die Schule verlassen, die Wohnung wird "arisiert", der Vater von der Gestapo verhört. Man sucht verzweifelt und vergeblich nach einer gemeinsamen Ausreisemöglichkeit. Um wenigstens das Kind zu retten, schickt man den 16jährigen mit einem Kindertransport im Jänner 1939 nach Großbritannien.
Ein Jahr später gelingt es den Eltern mit ihrem letzten Geld Schiffskarten nach Shanghai zu kaufen, der einzige Ort, an den man ohne Visum gelangen kann. Mit der "Usaramo", einem Schiff, das einst Franco Kriegsgerät und Soldaten nach Spanien geliefert hat, und mit dem die Nazis vor seiner Verschrottung in Asien noch an den Flüchtlingen verdienen können, erreicht das Ehepaar Tausig das überfüllte Shanghai. Die Großeltern bleiben in Wien und sterben in Treblinka.
Franziska Tausig bringt sich und ihren gesundheitlich angeschlagenen Mann als Köchin und Bäckerin über die Runden. Mit ihrem Sohn ist sie nur noch über seltene Postkarten verbunden, in denen man sich gegenseitig zu beruhigen versucht.
Der Teenager Otto wird einstweilen in England schnell erwachsen, lernt den Hunger und die Liebe kennen, arbeitet auf einer Hühnerfarm, wird vorübergehend zum Quäker und - als Frankreich an Hitler fällt und eine deutsche Invasion nach Großbritannien droht -¬ wie alle "enemy aliens" interniert. Im Lager trifft er auf den Verleger und Galeristen Bruno Cassirer und den Dadaisten Kurt Schwitters, lernt Schuhmacherei, spielt Theater auf einer improvisierten Bühne und lernt zahlreiche Kommunisten kennen, die ihn für ihre Sache begeistern.
Nach der Enthaftung setzt er sich von seiner Arbeit als Gärtnergehilfe in Wales nach London ab und schließt sich den "Young Austrians" - ¬zu denen u.a. Erich Fried gehört - an, die für ein unabhängiges Österreich werben. Im "Austrian Center" spielt und inszeniert Tausig Nestroy, Raimund, Soyfer - später wird er die erste Soyfer-Gesamtausgabe herausgeben - sowie politisches Kabarett. Untertags arbeitet er als Schlosser in einer Fabrik, wo er eine Gewerkschaft gründet.
1946 kehrt er ins zerstörte Wien zurück. Kurz darauf trifft dort auch Franziska Tausig ein, allein. Otto erfährt erst jetzt, dass sein Vater in Shanghai an Tuberkulose gestorben ist. Franziska Tausig tut nun das, was sie in den letzten Jahren immer tun musste, sie nimmt das Heft in die Hand: Sohn Otto soll eine Stelle als Bankangestellter annehmen und den Kommunismus sein lassen.
"Irgendwie hatten wir es nicht leicht miteinander... Eine Frau, die meine Mutter gut kannte, sagte von ihr: Sie ist so gütig, sie würde einen Fisch abtrocknen. Der Fisch, das war ich. Meine Mutter wollte mein Leben lenken bis ins kleinste Detail. Sie konnte nicht loslassen, nicht abnabeln. Das fällt fast jeder Mutter schwer. Und wie erst einer, die ihr Kind weggegeben, es allein in die Fremde schicken musste..."
1948 wird "Das neue Theater in der Scala", das im Besitz der sowjetischen Besatzungsmacht ist, gegründet. Otto Tausig wird sein Chefdramaturg. Als der von Weigel und Torberg bekämpfte Bert Brecht sein Stück "Die Mutter" dort inszeniert, steht Tausig u.a. mit Helene Weigel auf der Bühne. 1956 wird die politisch ungeliebte "Kommunistenbühne" geschlossen und Otto Tausig erhält 14 Jahre lang keine Engagements mehr in Wien.
Er arbeitet in der DDR an Fritz Wistens Berliner Volksbühne und an Wolfgang Langhoffs Deutschem Theater unter guten Arbeitsbedingungen aber ständiger Einmischung der SED-Kulturpolitik, was den kritischen Linken wieder in den Westen führt. Er spielt und inszeniert an zahlreichen großen Theatern des deutschsprachigen Raums, bevor ihn Gerhard Klingenberg 1970 ans Burgtheater holt, wo er vor allem als Nestroy-Darsteller Erfolge feiert.
Otto Tausig engagiert sich für die Freilassung von aus politischen Gründen gefangenen Theaterleuten - u.a. Vaclav Havel - und bis heute in zahlreichen humanitären Projekten. 1983 verlässt er die Burg, spielt u.a. an der Volksbühne Berlin unter Peter Zadek und dreht Filme ¬- u.a. Jan Schüttes "Auf Wiedersehen Amerika".
Während der Dreharbeiten zu Alain Corneaus "Nocturne Indienne" 1989 stirbt Franziska Tausig in Wien, zwei Jahre nach Erscheinen ihres Buches über die Emigrationszeit in Shanghai. 2007 hat der Milena Verlag diese präzise und lebendig geschilderten Erinnerungen unter dem Titel "Shanghai Passage. Emigration ins Ghetto" wiederaufgelegt.
Text: Gudrun Hamböck
Eine Veranstaltung mit Unterstützung der PRIVAT BANK der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich.
"Shanghai Passage - Emigration ins Ghetto" - Lesung Otto Tausig
Dienstag, 6. Mai 2008
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
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