Dresdner Rundfunkaufnahmen nach 1945
Die Stunde Null
Unter dem Motto "Die Stunde Null - Dresdner Opernszenen in ersten Rundfunkaufnahmen nach 1945" ist die erste CD-Box der Edition Semperoper erschienen. Sie enthält Aufnahmen aus den Jahren 1945 bis 1950, die in Ausweichquartieren entstanden sind.
8. April 2017, 21:58
Das Dresdner Geschichtsbewusstsein spiegelt sich in den letzten Jahren auch in CD-Editionen des MDR auf dem Hänssler-Label. Das galt bis vor kurzem vor allem für historische Aufnahmen der Staatskapelle. Jetzt ist die Sächsische Staatsoper Dresden an der Reihe, deren Nachkriegsgeschichte nicht in den Ruinen des Semperbaus begonnen hat, sondern teilweise in behelfsmäßig adaptieren Ausweichquartieren: im Steinsaal des Deutschen Hygienemuseums Dresden, im Kursaal Bühlau, in der Kongresshalle des Leipzigers Zoos, aber auch im Sendesaal des Leipziger Funkhauses.
Meist spielte die Staatskapelle Dresden, gelegentlich aber auch das Rundfunkorchester und die prominentesten Dirigenten dieser CD-Box sind Rudolf Kempe und Joseph Keilberth. Einige dieser Aufnahmen sind alte Bekannte (etwa Elfriede Trötschel als Rusalka), schließlich bedienen sich ja schon seit Jahrzehnten diverse Piratenlabels aus den Archiven der Rundfunkanstalten.
Elfriede Trötschel als Butterfly
Aus dem Kuriositätenkabinett
Andere wieder sind ungewöhnliche Kuriositäten, wie die vom ganz jungen Gottlob Frick deutsch gesungene Aufnahme von Verdis "O tu Palermo" aus der "Sizilianischen Vesper". Dafür wurde angesichts des zerbombten Elbflorenz, wie man Dresden bis dahin genannt hatte, neu übersetzt, ja teilweise gänzlich frei getextet, der "teuren Heimat" ein Schwur mit dem Bekenntnis zur Freiheit und zum Frieden geleistet, es wird nicht mehr zu Kampf und Sieg aufgerufen, sondern zur Selbsthilfe, damit die alte Pracht neu erstehe, erst dann könne man Hilfe von anderen erwarten. All das serviert Frick mit seinem saftig orgelnden Bass souverän und mit überzeugendem Nachdruck.
Gottlob Frick als Procida
Imponierendes Ensemble
Auch Hans Hopf als Florestan, Manrico, Cavaradossi und André Chenier, Christel Goltz nicht nur als Salome, sondern im auch italienischen Fach ("Aida", "Don Carlos", "Maskenball"), Elfriede Trötschel als Puccini-Interpretin ("Bohème" und "Butterfly") und viele andere, weniger prominente Dresdner Lieblinge von damals überzeugen - jeder auf seine Weise.
Lisa Otto, Elfriede Trötschel, Arno Schellenberg und Gottlob Frick erweisen sich hier als stilsichere Mozart-Interpreten (in "Figaro" und "Zauberflöte"), wodurch man erinnert wird, dass vor 1933 Fritz Busch das Dresdner Ensemble mit seinen Mozart-Dirigaten geprägt hat, die später durch seine legendären Glydebourne-Aufnahmen der da Ponte-Opern sogar den Mozart-Stil von Nicolaus Harnoncourt beeinflusst haben.
Hans Hopf als Canio
Aufwendige Dokumentation
All das ist auf drei CDs verteilt, die durch eine vierte Scheibe ergänzt werden, eine DVD mit diversen Interviews und interessantem Fotomaterial, die aber vor allem durch einen Film sowohl über das barocke und über das zerstörte Dresden beeindruckt.
Für die Produktion verantwortlich ist Steffen Lieberwirth vom MDR, der zusätzlich noch ein außerordentlich liebevoll gestaltetes Booklet zusammengestellt hat, das mit 240 Seiten den Umfang eines veritables Bildbandes über das Dresdner Musikleben zwischen den Trümmern angenommen hat.
Service
CD, "Die Stunde Null - Dresdner Opernszenen in ersten Rundfunkaufnahmen nach 1945", Profil Edition Günter Hänssler PH10007
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