Oscar-Preisträger inszeniert "Freischütz"

Stefan Ruzowitzkys Operndebüt

Es ist eine doppelte Premiere: Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky inszeniert im Theater an der Wien Carl Maria von Webers "Der Freischütz". Premiere ist am 19. April. Ö1 überträgt live. Für den Regisseur ist der "Freischütz" eine "klassische Junkie-Geschichte".

Eine Laufbahn mit ungewöhnlichen Stationen: Von den oscarprämierten "Fälschern" über den Kinder-Kinofilm "Hexe Lilli" hat es Stefan Ruzowitzky nun auf die Opernbühne verschlagen. Am 19. April feiert im Theater an der Wien seine Inszenierung des "Freischütz" von Carl Maria von Weber Premiere. Es spielt das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Bertrand de Billy.

Im Interview mit der APA sprach Ruzowitzky über Freikugeln und Heroin, "deutschen" Wald und den schmerzhaften Machtverlust des Opernregisseurs am Premierenabend.

Ö1 überträgt live ab 19:00 Uhr. Am 18. April 2010 ist Ruzowitzky zu Gast "Im Künstlerzimmer", am 22. April ist in den "Tonspuren" ein Feature über den Entstehungsprozess dieser Opernaufführung zu hören.

Wie verlief Ihre persönliche Geschichte mit dem Genre der Oper? Haben Sie sich je als Opernregisseur gesehen?
Stefan Ruzowitzky: Ich habe mich immer als Regisseur gesehen. Die prägenden, sozusagen frühkindlichen Erlebnisse waren aber schon eindeutig Kino. Theater und Oper, da ist man eher mal mit den Eltern hingegangen. Aber die Erfahrung, die ich auch jetzt mache, ist: Der Beruf ist Regie. So eine ganz andere Welt ist das dann auch wieder nicht. Vor allem, weil Film und Oper beide sehr über Bauch und Herz laufen und weniger über den Kopf wie beim Schauspiel. Es geht darum, Emotion zu maximieren, optisch und dramaturgisch effektvoll zu arbeiten. Film und Oper ist mehr verwandt als Film und Schauspiel.

Werden Kenner Ihrer Filme eine typische Ruzowitzky-Handschrift auf der Bühne wiederfinden?
Ich sehe mich, auch als Filmemacher, in erster Linie als Geschichtenerzähler. Einschränkungen gibt es überall, vom Budget über Technik - aber das ist auch kreativ anspornend. Um in Filmsprache zu reden: Hier habe ich halt durchgehend eine Totale. Das ist eine Voraussetzung, aus der man viel machen kann.

Dem "Freischütz" haftet die Bezeichnung als "deutsche Nationaloper" und eine problematische Wirkungsgeschichte an. Wie gehen Sie damit um?
Also wenn das die "deutscheste der deutschen Opern" ist, dann geht's den Deutschen eh ganz gut. Das, was man so negativ unter deutschtümelnd versteht, das ist da gar nicht drinnen. Da geht es um einen, der Angst hat und zweifelt, wenn das typisch deutsch ist - bitte. Natürlich ist es beim "Freischütz" immer eine Grundsatzentscheidung: Will ich die Oper inszenieren, oder will ich die Wirkungsgeschichte inszenieren? Und da sage ich hundertprozentig: Ich will der Geschichte und der Musik gerecht werden.

Also keine Oper im "Deutschen Wald"?
Das Setting des Waldes ist großartig. Als Metapher geht das vom Urquell des Lebens über das Schwammerl Suchen bis zum Triebhaften, furchterregend Dunklen. Ist er ein "deutscher Wald", nur weil Weber Deutscher war? Das hatte ja auch zu seinen Zeiten einen völlig anderen Kontext als heute. Das war revolutionär, antiautoritär, intellektuell, das kann man nicht mit heutigen deutsch-nationalen Dumpfgummis gleichsetzen.

Wie bringt man heute eine Figur wie Samiel, dieses Böse schlechthin, auf die Bühne?
Für mich ist das eine klassische Junkie-Geschichte. Das bedeutet nicht, dass ich es inszeniere, als ob es im Bahnhof Zoo spielt. Aber es hilft bei jeder Szene, wenn ich den Schauspielern sage: Denkt euch statt Freikugeln Heroin. Wenn man es so betrachtet, dann gibt es ganz klassische Szenen, etwa mit Kaspar und Samiel. Ein Süchtiger, der seinem Dealer sagt, ich kann nicht zahlen, aber ich bring dir einen neuen Kunden. Samiel ist eine Mischung aus der Personifikation der Droge und dem Dealer. Deswegen darf er auch nicht zu gruselig ausschauen, da muss es immer etwas Verführerisches geben.

Wie sehr wird man diesen gedanklichen Ansatz auch sehen?
Es würde keinen Sinn machen, das eins zu eins in die heutige Zeit zu verlegen. Es geht eher um den psychologischen Gehalt: Ein junger Mann, der einer Partygesellschaft angehört, soll nun einen fixen Job annehmen, heiraten, Familie gründen. Und dann ist das auch noch mit einer Prüfung verbunden. Er ist gestresst, plötzlich gelingt ihm nichts mehr und er greift zu Drogen. Meine Aufgabe als Regisseur ist es da nicht, krampfhaft irgendwelche provozierenden Symbole auf die Bühne zu bringen, sondern zu zeigen, dass die Geschichte noch Relevanz hat. Das passiert im Hinterkopf und nicht auf der Bühne.

Ganz haben Sie sich vom Film-Genre ja auch hier nicht verabschiedet. Der Abend beginnt mit einem Kurzfilm...
Im Libretto gibt es am Anfang eine sehr lange, zu lange Dialogpassage, wo die Vorgeschichte des Probeschuss-Rituals erzählt wird. Das haben wir in einen Kurzfilm gepackt und gleich in einem Aufwasch auch den Eremiten eingeführt. Und zwar hat er bei so einem Probeschuss mit Freikugeln seine Geliebte verloren und wurde deshalb zum Eremiten. Damit ist er nicht mehr der Deus-ex-machina, sondern jemand, der durch seine persönliche Erfahrung mit einer ganz anderen Autorität sprechen kann. Das Filmchen hat den Stil eines expressionistischen Stummfilms und wird parallel zur Ouvertüre gezeigt.

Wie viele Freiheiten haben Sie sich insgesamt vom Libretto genommen?
Ich sehe es schon als meine Aufgabe, eine gute Show zu liefern. Wenn ich als Vorlage etwas habe, das über Jahrhunderte erfolgreich war, wäre ich blöd, das alles wegzuschmeißen. Aber dass man ein bisschen zurechtmodelliert, das finde ich legitim und richtig. Und das haben wir gemacht, mit prinzipiellem Respekt und Vertrauen in das Original.

Wie steht es um das Vertrauen in die Musik? Es muss für Sie ja ungewohnt sein, sich an die Musik anzupassen und nicht umgekehrt.
Ich empfinde das als etwas sehr Reizvolles. Normalerweise drehe ich zuerst und dann versuche ich dem Material durch die Musik eine andere Stimmung oder ein anderes Tempo zu geben. Hier fange ich mit der Musik an. Schön ist es, wenn man sie dabei auch immer mehr versteht. Die Musik hat tatsächlich etwas sehr Filmisches, sie ist auf Bewegungen und Aktionen zugeschnitten. Das Paradebeispiel ist ein Terzett mit Agathe, Max und Ännchen: Zunächst singen sich Max und Agathe hochdramatisch an, dann kommen plötzlich fröhliche Takte hinein und man spürt, jetzt muss das Ännchen etwas machen, auch wenn sie erst später zu singen beginnt. Da setzt sie Max nur den Hut auf und klopft ihm auf die Schulter - und schon macht es Sinn.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Bertrand de Billy?
Das beginnt so richtig erst jetzt, wo wir gemeinsam auf der Bühne arbeiten. Bisher (klopft auf den Tisch) funktioniert das sehr friktionsfrei. Für mich ist die größere Umstellung, dass ich als Filmemacher im kreativen Prozess das letzte Wort habe - nämlich im Schneideraum. Hier bin ich abhängig von den anderen und was sie letztlich machen auf der Bühne, von Zufällen und Unabwägbarkeiten. Dieser Machtverlust schmerzt.

Verraten Sie Ihre kommenden filmischen Pläne?
Ach, das ist immer diese blöde Frage am Schluss. Ich weiß es nicht, und ich würde es auch erst sagen, wenn ich anderntags zu drehen beginnen würde. Der Anspruch und die Ambition wäre ja jetzt, dass man etwas Internationales macht. Und das ist so eine hysterische und unberechenbare Welt, da sage ich lieber nichts.

Interview: Maria Handler/APA

Service

Veranstaltung, Carl Maria von Weber, "Der Freischütz" Regie: Stefan Ruzowitzky, RSO Wien, Musikalische Leitung: Bertrand de Billy, Premiere: 19. April 2010, 19:00 Uhr

TV, "Kulturmontag: Treffsicher - Stefan Ruzowitzkys 'Freischütz' im Theater an der Wien ", 19. April 2010, ORF 2

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