Musik und Öffentlichkeit

Clara Schumann

In der Reihe "Europäische Komponistinnen" ist ein umfangreiches Buch über Clara Schumann erschienen. Die Autorin Janina Klassen schrieb keine gewöhnliche Biographie, kein "Heldenleben", in dem Ruhm und Leid der porträtierten Person nacherzählt werden.

Im Prestissimo beginnt Janina Klassen ihr umfangreiches Buch über Clara Schumann: Wir erfahren etwas über das Verhältnis zwischen dem einflussreichen Kritiker Ludwig Rellstab und Clara, wir erfahren dass Niccolo Paganini ihm das 10-jährige Wunderkind Clara vorgestellt hat, wir erfahren etwas über die Garderobe der jungen Solistin, über das Himmelblau ihres Seidenkleides, die romantische Farbe der Sehnsucht, wie die Autorin einwirft, und schon sind wir bei zwei Frauenbildern der Zeit, nämlich der preußischen Königin Louise, ein Idealbild von Anmut und Natürlichkeit für die Frühromantiker, und der englischen Königin Victoria, Prototyp der neuen schlichten Bürgerlichkeit - zwei Frauenfiguren, Idealbilder, in deren Spannungsfeld Clara Wieck, spätere Schumann sich präsentierte, fühlte und gesehen wurde.

Ausatmen - wir sind erst auf Seite 13 von 536. Gott sei Dank hält Janina Klassen (Professorin der Musikwissenschaft aus Freiburg) dieses Tempo nicht bei. Ein Furioso zu Beginn, das so viele Fragen aufwirft, die ein einziges Buch unmöglich beantworten kann. Aber ein bisschen symptomatisch ist dieser Beginn schon: das in sieben Kapiteln gegliederte Buch liefert ein äußerst dichtes Gewebe an Fakten, Anekdoten, Interpretationen, Spekulationen, Hintergründen, Querverweisen. Neben natürlich vielen Informationen aus dem Privatleben - gut belegt in Tagebüchern und Briefen - legt die Autorin einen Schwerpunkt auf die öffentliche Clara Schumann: Wunderkind, Frau, Mutter, umjubelte Pianistin, und, ja auch: Strategin - einerseits, andererseits heißt Öffentlichkeit auch Frauenbilder, Industrialisierung, Politik, Gesellschaft, Schönheits- und Kunstideale der Zeit.

Qualitäten und Probleme

Sowohl die Qualität, als auch das Problem dieses Buches liegen in der Mischung von Methoden und Fragestellungen. Da mischen sich Musiksoziologisches und Gesellschaftspolitisches, wo es etwa über das Spannungsfeld von Adel und bürgerlicher Musikkultur geht - Gender Studies, zum Beispiel die beliebten Theorien über die besondere Eignung von Frauen als Musikerinnen (nicht aber als Komponistinnen) -, Diskurs- und Ästhetikgeschichtliches, etwa wo es um die Werbestrategien rund um den Jungstar Clara Wieck ging, und Psychologisches, zum Beispiel die Kindheit Claras betreffend und die Scheidung der Eltern.

In dieser Mischung der Fragestellungen liegt das Spannende, aber auch Problematische dieses Buches. Die Vielfalt ist so groß, das Tempo so hoch, dass manches nur phrasenhaft abgehandelt wird: da wird in einer tour de force etwa die damalige Gegenüberstellung der Geschlechter mit Schlegel zurückgehend auf Platon erklärt. Es entstand im populären Verständnis ein Modell von Leib-Seele oder Körper-Verstand, das auf die Polarität zwischen dem Weiblichen und Männlichen angewendet wurde. Alles das geschwind auf zwei, drei Seiten ohne die hierzu maßgeblichen Theorien Humboldts anzuführen. Die Sache ist nicht falsch dargestellt, aber sie ist komplizierter und braucht mehr Zeit, möchte man der Autorin immer wieder zurufen. Aber die ist schon beim nächsten Thema.

Höchst interessant ihre Beschreibung eines Porträts (im Buch neben etlichen anderen auch abgedruckt), das die 12-järigen Clara Wieck zeigt und zu Werbezwecken in Paris anlässlich der Auftritte Claras ebendort angefertigt wurde:

Das Bild zeigt kein Kind mehr, sondern einen sehr jungen und noch zierlichen Teenager, in gelassener Haltung sitzend, in einem weißen Kleid, dessen topmodischer Schnitt diskret Modernität dokumentiert. Der geraffte und mit Tüll verkleidete Ausschnitt, Wespentaille, breiter Gürtel und weiter Rock sowie die damals beliebten voluminösen Gigot-Ärmel ("Keulenärmel") bildeten eine fantasievolle zeitgenössische Umsetzung einer romantischen Mittelaltermode ab, die sich an Rittern und Feen aus Märchen und Sagen orientierte und in den 1830er Jahren en vogue war.

Beschreibung der Kindheit

Höchst interessant - für mich ein Höhepunkt des Buches - die Beschreibung der Kindheit Claras, in der die Autorin das Verhältnis zum mächtigen Vater vor dem Hintergrund der Scheidung der Eltern beschreibt. Clara war viereinhalb Jahre alt, als sich ihre Mutter die Pianistin Mariane Wieck, geborene Tromlitz, von Friedrich Wieck trennte. Ein Gezerre um die Tochter begann. Ein halbes Jahr später, als Clara fünf Jahre alt war, konnte der Vater gerichtlich die Rückkehr seiner Tochter erzwingen. Beide Eltern heirateten wieder. Die Wirkung dieser familiären Verhältnisse auf Clara lasse sich nicht wirklich rekonstruieren, so Janina Klassen, aber sie hält fest: „Nach der Scheidung richtete sich Wiecks volle Konzentration auf die kleine Clara. Er hievte sie in das leere Passepartout, das ihre Mutter zurück gelassen hatte."

Ein Auftritt Clara Schumanns im Londoner Crystal Palace vor sage und schreibe 4.000 Zuhörern nimmt Janina Klassen zum Anlass für ein Kapitel über Industrialisierung und Kunstimperialismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Londoner Architektur, die 1. Weltausstellung in London 1851, eine Industrie-Ausstellung und dergleichen werden angeführt, um das Ineinander von Industrie und Ästhetik zu beschreiben.

Versuch einer Kontextualisierung

Auch wenn Janina Klassen in solchen Passagen Clara Schumann ein wenig aus den Augen verliert, kann man den Versuch einer Kontextualisierung dieser Art nicht hoch genug bewerten: wie viele Biografien über Künstler und Künstlerinnen gibt es, die die so genannte Außenwelt wie eine Silhouette um einen genialen, autonomen, scheinbar nach eigenen gesetzten wirkenden Helden beschreibt. Ganz anders dieses Buch über Clara Schumann - das nach 480 Seiten nun auch noch die Rezeption von Clara Schumann in Wissenschaft und Kunst beschreibt.

Neben der etwas geschwinden Aufzählung von Büchern, Notenausgaben und Filmen widmet sich die Autorin ausführlich der über hundert Jahre alten dreibändigen Clara-Schumann-Biografie Berthold Litzmanns, auf die sie zuvor immer wieder verweist. Die aus dem Kreis feministisch-wissenschaftlicher Publikationen stammende Biografie Eva Weissweilers hingegen, Herausgeberin des Briefwechsels zwischen Clara und Robert Schumanns, erwähnt Janina Klassen nur en passant. Vielleicht ist die Ursache dafür in einer Bemerkung zu finden, die die Autorin in einem biografisch reflektierenden Schlusswort macht.

Statt der Reliquien zog mich etwas anderes in Bann. Clara Schumann hatte versucht, ihre Wünsche zwischen Beruf und Familie in einer Gesellschaftsordnung auszuleben, die das nicht vorsah, sondern ein derartiges Lebenskonzept als unnatürlich und unmöglich bewertete. Ein großer Teil der Clara Schumann Forschung übernahm diese Einschätzung. Während die private Dimension mit allen positiven wie negativen Facetten ihrer Persönlichkeit gut ausgeleuchtet sind, ist über ihre Öffentlichkeitsarbeit viel weniger bekannt. Daraus entsprang der Ansatz eine öffentliche Perspektive einzunehmen und die Künstlerin als handlungsmächtiges Subjekt mit einem strategisch produktiven Machteinsatz zu beschreiben.

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