Unterdrückt, vernichtet, versteckt

Musikwissenschaft mit NS-Vergangenheit

Wie geht unser Musikleben mit NS-Vergangenheit um? Es gibt eine Wilhelm-Backhaus-Strasse, es gibt ein Wobisch-Gedenkkonzert, es gibt einen Erich-Schenk-Preis. Was soll man davon halten? Soll man wie beim Dr.-Karl-Lueger-Ring eine Aktion beginnen, die die Umbenennung fordert?

"Es gibt noch Schlimmeres", sagt Hartmut Krones, Professor an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, und als Leiter des Arnold Schönberg Instituts Initiator und Betreuer zahlreicher Forschungen zu NS-Zeit und Musikexil. "Es gibt einen Karajan-Platz und angeblich gibt es einen Mozartstil, den wesentlich der Karl Böhm mitgeprägt hat, und die waren genau so große Nazis wie die Namen, die sie da genannt haben, wie mein Lehrer Erich Schenk zum Beispiel. Während man auf diesen relativ öffentlich und oft hinhaut, hab ich das beim Karajan eigentlich noch nicht sehr oft gehört."

Es gibt noch immer einen Karajan-Platz, und angesichts der Erkenntnis aus der biographischen Forschung über Helmut Wobisch, den Gründer des Carinthischen Sommers, wundert sich Krones über die unreflektierte Ehrung. "Es wird mein Buch mit dem Titel "Geächtet, verboten, vertrieben - Österreichische Musiker 1934, 1938, 1945" erscheine. Da wird Wobisch in einem Artikel eine ziemlich große Rolle spielen, nämlich die, als Vertrauensmann der AKM bei der Identifizierung von Juden 1938. Ich glaube nicht, dass seine Verdienste die Nichtverdienste aufwiegen."

Verdienste und Unverdienste

Irene Suchy: Ohne die Verdienste in Abrede zu stellen: wie gehe ich um mit den Unverdiensten?
Hartmut Krones: Man muss sie nennen. Das Wichtigste ist, dass man sie nennt und dann kann man natürlich, jeder und jede für sich, entscheiden, ob man das für sehr schlimm oder weniger schlimm erachtet, aber: Die Quellen müssen auf den Tisch, das völlig klar.

Wie ist denn der Stand der Dinge der Aufarbeitung? Tatsächlich haben wir natürlich in Österreich viel Exilforschung gemacht und doch sind da relativ viele Lücken: die AKM, die Verlage; die Forschung des Orpheus Trust ist unveröffentlicht, also unzugänglich. Was wäre da der nächste Schritt, den Österreich machen muss?
Hartmut Krones: Ich sag's einmal ganz pragmatisch: dafür Geld zur Verfügung stellen. Denn man kann nicht erwarten, dass Leute, die Monate-, jahrelang in Archiven herumkrebsen, die womöglich Dinge ans Tageslicht bringen, die womöglich bewusst versteckt worden sind, dass die das umsonst machen. Dass einfach nicht genug Geld da ist, auch nicht für Kurzzeitforschung, hängt natürlich damit zusammen, dass die Naturwissenschaften meistens viel mehr Geld bekommen und viel mehr Geld beanspruchen als die Geisteswissenschaften. Und Aufarbeitung der Geschichte ist Geisteswissenschaft."

Ein Anlass für dieses Gespräch war jetzt auch die Entdeckung von Hans Heinrich Eggebrecht, dem großen Musikgeschichte und Musikgeschichtenschreiber, als Mitglied der 2. Kompanie der Feldgendarmerieabteilung 683. "Die Zeit" hat sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem, was er geschrieben hat und dem, was er getan haben soll, gezogen. Uns, die wir in den 1980er Jahren studiert haben, sind niemals die Biographien der Autoren der Werke, die uns ans Herz gelegt wurden, erläutert worden. Die Biographie dieses Menschen Eggebrecht war eigentlich kein Thema.
Es liegt vielleicht daran, dass das Thema der Musikwissenschaftler nicht so politisch ist. Wenn ein Musikwissenschaftler über Musik spricht, kann nicht soviel passieren, als wenn ein Germanist über Literatur spricht. Man kommt nicht so schnell in politisches Fahrwasser. Wenn einer über Imitationsfugen spricht, ist keine Gefahr, dass er auch über 1945 oder danach politische Themen anschneidet. Er muss sie nicht anschneiden, er kann drum herum. Wenn einer nur über Fugen forscht, kommt man nicht so schnell drauf: Wie kam denn der von der NS zur Fuge.

Als ich noch jünger war, dann wurde mir immer gesagt: Sie dürfen nicht beurteilen oder verurteilen. Ich glaube nicht, dass die Musikwissenschaft ein Gerichtsaal ist. Was ich immer mehr bemerke - und was auch die differenziertere Forschung hervorbringt - ist, dass mit dieser NS-Geschichte sehr viel anderes einhergeht: ein Antifeminismus in der Philosophie der Neuen Musik, oder andere unsinnige, absurde Assoziationen, die mit dem NS-Denken einhergehen. Henze hat unlängst gesagt, sein Vater hätte ihn beschimpft als Linkshändigen Schwulen.
Natürlich ist in der NS-Ideologie sozusagen "die natürliche Mutterrolle der Frau" höher bewertet worden als die berufstätige Frau - natürlich, das war ja bei uns so bis vor ganz kurzer Zeit.

Wie überblicken sie die letzten 30 Jahre, als Schüler von Erich Schenk, der Verdienste hat und Unverdienste, wobei die Abstufung sehr wichtig ist, die Sie genannt haben. Welchen Bewusstseinswandel erleben sie?
Erstens wird alles tatsächlich auf den Tisch gelegt, zweitens gibt es eine ganz große Summe von Exilforschern und -forscherinnen in der Musikwissenschaft, es gibt keine wirklichen Tabus mehr. Aber doch: Es gibt makabrer Weise viel mehr Tabus in Bereichen, die gar nicht als so brisant gelten, zum Beispiel welche Musiker mussten zwischen 1934 und 1938 mehr oder weniger verhungern oder mussten emigrieren? Da sind viele Quellen vernichtet worden. Und man muss natürlich auch sehr viel über die Zeit nach 1945 forschen: Was ist alles unterdrückt worden beziehungsweise welche Leute waren sofort wieder ganz oben?

Service

Buch, Hartmut Krones, "Arnold Schönberg", Edition Steinbauer

Buch, Hartmut Krones (Hg.), "Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik", Böhlau

Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg
Die Zeit - Erdrückende Quellenlage