Ein "Klingendes Universum"

Mahler und das RSO Wien

In Gustav Mahlers vorletzter Symphonie beginnt nach den Worten des Komponisten "das Universum zu tönen und zu klingen". Ö1 sendet die Achte und Neunte von Mahler in aktuellen Interpretationen durch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Bertrand de Billy.

Beginn von Mahlers "Achter"

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Bertrand de Billy; Wiener Singakademie; Slowakischer Philharmonischer Chor; Wiener Sängerknaben

Von der "Achten" zur "Neunten"

Der symphonische Schritt von der "Achten" zur "Neunten" - seit Beethoven ist es ein gewaltiger, offenbar einer zu etwas Letztem, oder zumindest zu etwas Anderem. Neben Beethoven bestätigen auch Bruckner und Dvorák diesen Eindruck. Und damit kein Missverständnis oder der Eindruck eines falschen Mystizismus entsteht: Es ist Arnold Schönberg, der diesem Gedanken nachhängt, um in denselben auch noch - respektive gerade - Gustav Mahler einzubeziehen.

"Es scheint, die Neunte ist eine Grenze", meint er. "Wer darüber hinaus will, muss fort." Um in die Grenzlage einer "Neunten" zu kommen, ist es aber auch nötig, den Boden einer "Achten" zu verlassen. So wird zwangsläufig ein Bruch offenbar - denn anders kann es nicht sein, weil es sich dabei um ein Zurücklassen handelt, also eigentlich schon hier um ein "Fortmüssen".

Beginn des letzten Satzes der neunten Symphonie

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Bertrand de Billy

Das Universum tönt

Wenn in Mahlers vorletzter Symphonie nach des Komponisten eigenen Worten "das Universum zu tönen und zu klingen beginnt" - was soll denn dann noch kommen? "Den Tod in der Rüstung" hat Alban Berg in den ganz anderen Klängen der Mahler'schen Neunten gehört und lapidar dazu vermerkt: "Dagegen gibt's kein Auflehnen mehr."

Mahler war selbst davon überzeugt, dass das Komponieren einer "Neunten" etwas Endgültiges bedeutet und daher das Verfassen eines also nummerierten Werkes hinausgezögert hat. Das Lied von der Erde hätte diese Ordnungszahl bekommen können, doch der Komponist schwindelte sich mit der vermischten Gattungsbezeichnung einer "Symphonie in Liedern" noch einmal um das Endgültige herum. Aber einmal musste es doch sein - und musste demnach auch geschieden sein. Welche endgültige Scheidung wird hier durch den "Tod in der Rüstung" unentrinnbar vollzogen?

Das Wesen der Achten

Zunächst aber die Achte. Mahler hat sie seiner Gattin Alma gewidmet. Vor diesem Faktum enthüllt sich das Wesen dieses Riesenwerkes: Das Universum singt und klingt zum Lobe der Liebe und von der Liebe erst befähigt, dieses Lob zu singen. Folgerichtig hat Mahler die Texte für die beiden Symphoniesätze gewählt: das Lob des Geistes, der Hymnus des frühmittelalterlichen Philosophen Hrabanus Maurus Veni creator Spiritus und darauf der Schluss des Goethe'schen Faust II, in welchem Kinder und Gelehrte, entsühnte Sünder und allem enthobene Heilige das "ewig Weibliche" als die "conditio sine qua non" der Liebe singend betrachten.

Mahler hat sich, bevor er an seine letzten Werke heranging, intensiv mit Bach befasst, mit dem "für alle Zeiten unerhörten Wunder seiner Polyphonie". In der Achten wird dieses Studium enorm fruchtbar. Die Schichtung der einzelnen Klanggruppen und die Aufteilung der thematischen Arbeit auf dieselben sind eminent mahlerische Folgerungen dieser Auseinandersetzung. Und - die Spekulation ist begründet - die Grundtonart Es-Dur ist ident mit jener der großen Tripelfuge aus der Bach'schen Clavier-Übung (BWV 552), in welcher auch nichts weniger als das Universalste, nämlich die göttliche Trinität, beschworen wird - unter Aufbietung höchster Kunstfertigkeit in einer Tonart mit drei Vorzeichen (!). Im Übrigen: Auch Schönberg hat diese monumentale Orgelkomposition des Thomaskantors hochgeschätzt.

Tonart des Triumphalen

Es geht hier also um das Ganze, um das Essenziellste für das Leben. Ist dieses einmal gefasst, dann muss es ans vermeintliche Gegenteil gehen und dann eben auch folgerichtig einen Halbton tiefer. Mahlers Neunte ist auf D-Dur grundgelegt. Das war einmal - bei Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart ist es noch zu hören - eine Tonart des durchaus Triumphalen, dem nichts mehr entgegengesetzt werden kann. Mahler versteht sein D-Dur so gesehen nicht anders - auch bei ihm ist nichts mehr entgegenzusetzen, es gibt tatsächlich kein Auflehnen mehr.

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