Joseph Roths "April"

Der Blick durch die Wirklichkeit

In den 1920er Jahren hat Joseph Roth kleine Fingerübungen, Etüden und pastorale Rondi zunächst für Zeitschriften, dann aber auch schon für schöne Buchausgaben geschrieben . "April" ist eine solche fröhliche, aber auch, wie es dem Thema gebührt, doppelbödige "Geschichte einer Liebe".

Dass der große Erzähler Joseph Roth vornehmlich für seine geradezu pandämonischen Romane "Radetzkymarsch" und "Kapuzinergruft" berühmt ist, ist auch ganz in Ordnung: Mit welcher Klarheit da das Zwielicht, mit welcher Akribie des Kolorits da des Gedankens Blässe, die vormals angebor'ne Farbe der Entschließung ankränkelnd, in allen Nuancen gemalt wird; mit welcher beinah funkelnder Sinnlichkeit Haltung und Wendung, Sanftmut und Brutalität zur Sprache gebracht werden - das hat in der Tat "Leidenschaft, Geist und Mut" - drei unabdingbare Legitimationen des Schriftstellers, die Alfred Polgar seinem zeitweiligen Journalistenkollegen Joseph Roth nachrühmte.

"Schmarotzer und Goldkrägler"

Mit monarchistischen Renaissancegedanken - oder gar billiger "Nostalgie" - hat das alles wenig bis gar nichts zu tun. Nach dem Tod des so langsam verdämmerten Donaureiches, 1919, verhöhnte der junge Joseph Roth die "Parasiten der Habsburger-Herrlichkeit", die "Schmarotzer und Goldkrägler", die da immer noch stupide einer Restauration durch den damals noch nicht exilierten Kaiser Karl entgegenhofften.

Dass der gebrochene Dichter im Pariser Exil knapp zwanzig Jahre später eine Rettung Österreichs vor Hitler durch Habsburg als geistiges Asyl, als ausdrücklich utopischen Entwurf des selbstverständlich Unmöglichen sah, wusste kaum jemand besser als der entrechtete und ebenfalls in Paris weilende Thronfolger Otto, der trotzdem - und aus wohlüberlegtem Kalkül - zu Roths Begräbnis Ende Mai 1939 einen Kranz mit schwarz-gelber Schleife schicken ließ - auf jenen Vorstadtfriedhof, wo am offenen Grab orthodoxe Kaiserliche mit ebensolchen Kommunisten um die Ehre einer Leichenrede stritten. (Der anwesende Vertreter der jüdischen Gemeinde kapitulierte stumm vor dem katholischen Priester.)

Überzeugt vom Untergang

Wer immer das Erzähl-Genie Joseph Roth auf eine (womöglich alkoholisch getrübte) Reminiszenz an ein verlorenes Habsburgerreich zu reduzieren versucht, lässt Roths ideell-politische Grenzsituation als Asylant im Allgemeinen, seine persönliche Verzweiflungslage im Besonderen, vor allem aber sein politisches Urteilsvermögen außer Acht: Er war überzeugt vom Untergang. Und dafür brauchte er habsburgische Geister von Gottes Gnaden.

Mit eminentem Scharfblick hatte Roth bereits in den 1920er Jahren das Wesen des deutschen Nationalsozialismus, seine größenwahnsinnige Spießbürgerei und seine Akulturalität, erkannt: 1923 beschrieb Roth in seinem ersten großen Roman, "Das Spinnennetz", beängstigend präzise die soziale und geistige Versumpfung, aus der das "Hakenkreuzlertum" (ein Lieblingswort Joseph Roths) zu blühen begann. Roth hatte diesen Roman in atemberaubendem Tempo geschrieben, er kam ihm stellenweise korrekturbedürftig und nur zum Zeitungsabdruck geeignet vor.

Frühlingsbeginn

Kraft und Anmut der Roth'schen Sprache, sagt Polgar, des Dichters "kristallklares Deutsch" straften, unter anderem, das bequeme Vorurteil Lügen, dass tiefe Wasser ruhig trübe sein dürften ... In "Hiob", Roths berühmtem Roman eines einfachen Mannes, geschrieben 1930, ist im 15. Kapitel gerade April - und der Frühling beginnt so:

Mendel trat vor die Tür. Da öffneten sich die Fenster in der Gasse, wie von selbst. Es war Frühling.

Das sind schon Joseph Roths gemeißelte Sätze. Das kann man nicht anders sagen - das alles jedenfalls nicht.

Genialische Liebesetüde

In Roths kleiner Erzählung "April - Die Geschichte einer Liebe", 1925, fällt der Erzähler einer aussichtlosen, aber durchaus heiteren Liebe anheim, und es hat gerade zu regnen begonnen:

Ein Regenschirm schwankte durch die Gasse und überdachte den zierlichen dünnen Notariatsschreiber. Er sah aus wie eine aufrecht gehende Heuschrecke. - Strohhalme tänzelten, wirbelten, drehten sich kokett und schwammen ahnungslos dem Verderben der Kanalgitter zu.

Das könnte man ganz gewiss anders sagen - aber es ginge nur halb so leicht von der Hand, wäre nur halb so vergnüglich. Von dorther, von Erzählstücken wie dieser genialischen Liebesetüde, führt der Weg des Dichters Joseph Roth in die Weltliteratur.

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Wikipedia - Joseph Roth