Krimi von Mark Twain

Knallkopf Wilson

Einmal mehr spielt ein Roman Mark Twains in Süden der USA, in jener Gegend, wo schwarze Sklaven selbstverständlich waren. In "Knallkopf Wilson" bringt Twain seine Kritik am Rassismus auf brillante Art und Weise und mit viel Witz zum Ausdruck.

"Pudd'nhead Wilson" wird die Titelfigur von Mark Twains Erzählung im amerikanischen Original genannt. Es ist ein Spottname, abgeleitet von "pudding" - es geht also hier um jemanden, der ein wenig weich in der Birne ist. Denn genau diesen Eindruck haben die Bewohner der Kleinstadt Dawson's Landing von jenem jungen Mann, der eines Tages (die Handlung beginnt im Jahr 1830) in ihrem Provinznest am Mississippi auftaucht.

Der Spinner

David Wilson (ein Jurist, der in Dawson's Landing eine Anwaltskanzlei führen möchte) ist von Beginn an allen sehr sympathisch - und daran wird sich auch im Verlauf der Handlung nichts ändern. Mit Wilsons trockenem Humor allerdings kann man in Dawson's Landing nichts anfangen, seine scharfsinnige Ironie stößt bei den eher schwerfälligen und gleichzeitig sehr selbstbewussten Mitbürgern auf keinerlei Verständnis. Als ein paar jener kurzen Notizen über dieses und jenes, die Wilson in seinem Kalender zu machen pflegt, in Umlauf kommen, ist sein Ruf als Spinner endgültig besiegelt.

Adam war auch nur ein Mensch - das erklärt alles. Ihn gelüstete nicht nach dem Apfel an und für sich; es gelüstete ihn nur nach dem Verbotenen. Der eigentliche Fehler war, den Apfel und nicht die Schlange zu verbieten; sonst hätte er nämlich die Schlange verspeist.

Ein sonderbares Hobby

So etwas kann wohl nur ein pudd'nhead, ein Knallkopf schreiben - und von einem solchen will sich niemand juristisch vertreten lassen. Wilson muss also seine Anwaltskanzlei wieder zusperren und sich seinen bescheidenen Lebensunterhalt als Landvermesser und Buchhalter verdienen. Das aber gibt ihm viel Zeit, sich seinem Hobby zu widmen. Wilson sammelt Fingerabdrücke, die ihm seine Mitbürger bereitwillig liefern, sehen sie doch darin nichts anderes als eine weitere Spinnerei dieses netten, aber reichlich beschränkten Knallkopfs.

Doch es sind gerade diese Fingerabdrücke - von Wilson über Jahre hinweg sorgfältig archiviert - durch die eine dramatische Wende der Handlung herbeigeführt wird. Denn die Erzählung ist nicht nur eine gelungene Provinzsatire - ganz im gewohnten Mark-Twain-Stil mit typischem Mississippi-Ambiente und einem bunten Ensemble an schrulligen Südstaaten-Figuren. "Knallkopf Wilson" ist auch eine Kriminalgeschichte, die von Betrug und Mord handelt und in der Wilson als Aufklärer eine zentrale Rolle zukommt - und zwar als Aufklärer in doppelter Hinsicht: als Detektiv und als einer, der gegen die Vorurteile seiner Umgebung ankämpft. Denn Fremdenfeindlichkeit und Rassismus spielen in diesem Krimi eine wichtige Rolle. Der Text erhält dadurch eine deutlich gesellschaftskritische Tendenz - und das ist vermutlich auch der Grund, warum die Zeitgenossen auf dieses Werk eher zurückhaltend und bisweilen auch scharf ablehnend reagierten.

Rassentrennung per Naturgesetz

Mark Twain hat sich in seinen Werken häufig mit dem Problem der Sklaverei in seiner Südstaatenheimat auseinandergesetzt. In wohl keinem anderen Text aber hat er dem Rassismus eine derart klare Absage erteilt wie in "Knallkopf Wilson".

Der Schauplatz, Dawson's Landing, ist eine typische Sklavenhalterstadt: "Reich, gemütlich und zufrieden", so der Erzähler zynisch, denn für den Wohlstand schuften die Schwarzen, die Eigentum ihrer weißen Herren sind und nach Belieben verschachert werden. Wer weiß und wer schwarz ist, das - davon ist man hier überzeugt - ist durch unumstößliche Naturgesetze festgelegt, auf die so genannte "Reinheit des Blutes" wird höchster Wert gelegt. Dann aber werden zwei Säuglinge vertauscht, das Sklavenkind wird zum Herren, der Herrensohn zum Sklaven.

Vertauschte Kinder

Einen derartigen Rollentausch hatte Mark Twain schon etliche Jahre vor "Knallkopf Wilson" in dem Roman "Der Prinz und der Bettelknabe" beschrieben. Jenes Werk allerdings war märchenartig gewesen, und vor allem waren sich darin die Protagonisten ihrer eigentlichen Identität stets bewusst. In "Knallkopf Wilson" jedoch wird der Rollenwechsel so vollzogen, dass er durch und durch plausibel ist - für die Leserschaft genau so wie für die Einwohner von Dawson's Landing, die nichts davon bemerken.

Vor allem aber wissen auch die beiden Knaben nichts davon - und werden in ihrem Aussehen, in ihrem Handeln, Denken und Fühlen zum jeweils perfekten Vertreter jener gesellschaftlichen Position, die sie eigentlich - nach den Maßstäben ihrer Zeitgenossen - gar nicht einnehmen dürften und könnten. Sie verhalten sich also nach rassistisch definierten Klischees - und führen damit allen Rassismus ad absurdum.

Wilsons Kalendersprüche

Erziehung ist alles. Der Pfirsich war einmal eine bittere Mandel; und Blumenkohl ist nichts weiter als Kohl mit Hochschulbildung.

So lautet das Resümee, das Knallkopf Wilson in seinem Kalender aus den Ereignissen zieht. Jedem der insgesamt 22 Kapitel des Buches sind ein oder zwei solcher Reflexionen der Titelfigur vorangestellt. Sie verleihen dieser spannenden und in ihrer Gesellschaftskritik bis heute aktuellen Erzählung einen zusätzlichen Reiz.

Die Übertragung ins Deutsche stammt von Reinhild Böhnke, die den "Pudd'nhead Wilson", bereits einmal, 1986, (damals für den DDR-Verlag Das neue Berlin) übersetzt hatte. Als Titel wählte sie damals "Wilson, der Spinner", was wohl dem Charakter dieser Figur besser entsprach. "Knallkopf Wilson" aber knallt als Titel vermutlich besser - und stört auch nicht sehr bei dieser insgesamt hervorragenden Übersetzung.

Service

Mark Twain, "Knallkopf Wilson", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Reinhild Böhnke, Manesse Verlag

Manesse Verlag