Intellektuelle über den Rechtsruck unter Orbán

Was ist los mit Ungarn?

Über 16 Prozent haben bei der Parlamentswahl in Ungarn mit der Jobbik (Die Besseren) eine rechtsradikale Partei gewählt. Was ist nur los mit den Ungarn - und wie könnte es nun nach der Wahl weitergehen? "Kultur aktuell" hat Proponenten des ungarischen Kulturlebens dazu befragt.

Kultur aktuell, 27.04.2010

Wie vor zehn Jahren Österreich mit der Schüssel-Haider-Koalition, so muss jetzt Ungarn herbe Kritik einstecken. Über 16 Prozent haben eine rechtsradikale Partei gewählt, die trotz Verbots weiterhin "Ungarische Garden" mit faschistischen Symbolen aufmarschieren lässt.

Zwar wird Jobbik nicht mitregieren, weil die nationalkonservative FIDESZ bei der Stichwahl letzten Sonntag eine satte Zweidrittelmehrheit eingefahren hat, aber sie wird als sicherlich lautstarke Oppositionspartei ins Parlament einziehen.

Massenhafte Verarmung

Was wird Viktor Orbán aus der Machtfülle seiner Zweidrittelmehrheit machen? Kann die künftige Fidész-Alleinregierung das Land wirtschaftlich aus dem Schlimmsten herausholen, ohne dass die massenhafte Verarmung weiter rapide zunimmt, und damit die Hoffnungslosigkeit und Wut breiter Schichten? Wird die künftige Fidész-Alleinregierung autoritär und reaktionär agieren in einer Weise, die an den politischen Stil in Ungarn vor dem zweiten Weltkrieg erinnert, samt rechtsradikalen Verknüpfungen, wie der Schriftsteller György Konrád kürzlich formulierte?

Solche Fragen stellen sich ungarische Intellektuelle. Adam Fischer, Dirigent und Generalmusikdirektor der Budapester Staatsoper, will erst einmal abwarten: "Orbán muss jetzt eine neue Politik machen, die er noch nie gehabt hat in seinem Leben. Er hat immer von den Feinden gelebt, er hat immer attackiert, er hat immer die Leute vor einer Gefahr gewarnt, um sie um sich zu scharen. Das ist jetzt weg. Ob er jetzt den Landesvater machen kann, weiß man nicht."

Kulturjournal, 27.04. 2010

Dirigent Adam Fischer im Interview

Orbán auf sinkendem Schiff?

Das renommierte Kulturzentrum Trafó koproduziert zeitgenössisches Theater, wie es etwa auch bei den Wiener Festwochen gezeigt wird. Trafó-Direktor György Szabó plädiert dafür, Orbán erst einmal eine neue Chance zu geben: "Wenn die Fidész die Probleme nicht lösen kann, dann wird die Zukunft noch gefährlicher. Die Leute werden dann gar nicht mehr an das politische System glauben und die Lösungen selbst in die Hand nehmen", befürchtet Szabó; das müsse man verhindern.

Hört sich an, als wäre der Fidész-Anführer Kapitän eines sinkenden Schiffes, der nun einmal auf der Brücke steht, und man hofft händeringend, dass er es doch noch schafft.

Rassistische Rhetorik

Der ungarische Sinto György Müller ist Perkussionist und DJ, hat einige Jahre in Wien gelebt und moderiert Sendungen beim Budapester Romaradio C. Müller mag einer Partei nicht trauen, die seit Jahren über die ihr nahestehenden Medien eine scharfe nationalistische und rassistische Rhetorik bedient, was sich im Wahlkampf noch gesteigert hat.

"In diesen rechten Medien kann man lesen, dass sie die Vertreter des Volkes seien. Und die anderen sind die Feinde - Verbrecher und Fremde", so Müller.

Spaltung der ungarischen Gesellschaft

Die krasse politische Spaltung der ungarischen Gesellschaft und dass der rechtsradikale Geist in Gestalt der Jobbik so groß aus der Flasche kam - die Hauptverantwortung dafür sehen viele bei Viktor Orbán. Kann er jetzt diesen Geist in die Flasche zurückbeordern, und will er es überhaupt?

"Letztlich hängt es auch von der Reaktion aus dem Ausland ab. Die Regierung ist daran interessiert, ein gutes Bild abzugeben. Ich glaube schon, dass es im Interesse von Orban liegt, die extreme Rechte wegzudrücken", so Fischer.

Probleme mit Eigentumskriminalität

Die meisten Stimmen erhielt die Jobbik in ostungarischen Ortschaften, wo besonders viele mittellose Roma leben. In solchen Gemeinden gebe es gewisse Probleme mit Eigentumskriminalität, berichten inzwischen auch westliche Medien. György Müller bestätigt das - mit einem großen aber: "Schlecht ausgebildete Menschen bekommen heutzutage keine Arbeit. Die Arbeitslosigkeit führt zum Elend. Dieses tiefe Elend führt zur Kriminalität. Das ist sehr gefährlich, 'Zigeunerproblem' zu nennen. Das sind keine 'Zigeuner'-Fragen, das sind soziale Fragen."

Die Morde an acht Roma im Vorjahr werden rechtsextremen Personen zugeschrieben, die inzwischen in Untersuchungshaft sitzen. Adam Fischer hofft, dass es - wenn auch noch so schlimme - Einzelfälle waren, ähnlich den Brandstiftungen in deutschen Asylwerberheimen. György Müller ist sich da nicht so sicher: "Ich finde es sehr bedrohend. Acht Personen tot - das ist schon bedrohend."

Nicht in der Demokratie angekommen

Über eines sind sich alle einig: Die ungarische Gesellschaft sei noch nicht richtig in der Demokratie angekommen. Im Grunde wünschten sich viele Ungarn in die weiche Diktatur des Kadarismus samt staatlichem Versorgungssystem zurück.