Der Reichtum der Dritten Welt
Ideen gegen Armut
Der Management-Vordenker C. K. Prahalad wollte die Armut mit betriebswirtschaftlichen Prinzipien bekämpfen. Statt Armen sah er preisbewusste Konsumenten. Innovative Produkte für ebendiese würden Unternehmen Profite und die Entwicklungsländer selbst voran bringen.
8. April 2017, 21:58
An der Basis der Wohlstandspyramide
Dass Coimbatore Krishnarao Prahalad dieses Buch überhaupt geschrieben hat, ist ein positives Zeichen. C. K. Prahalad lehrte bis zu seinem Tod am 16. April 2010 Unternehmensstrategien und internationalen Handel an der University of Michigan Business School. In den Strategien der meisten Unternehmen kommen die Armen dieser Welt überhaupt nicht vor, obwohl sie mit vier bis fünf Milliarden Menschen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung stellen.
Arme, so die Annahmen der meisten Manager, können sich ihre Produkte oder Dienstleistungen sowieso nicht leisten, sie haben keine Verwendung dafür, und die Märkte der Armen zu erschließen sei viel zu schwierig. Für die Armen der Welt, so die These von C. K. Prahalad, werden daher die Produkte oder Dienstleistungen, die ihnen zu mehr Wohlstand verhelfen könnten, überhaupt nicht angeboten.
Er hingegen ist davon überzeugt, dass die Armen dieser Welt über sehr viel Kaufkraft verfügen und bereitwillig neue Technologien annehmen. Er spricht daher auch gar nicht von den Armen, sondern von BOP-Konsumenten. BOP steht für "bottom of the pyramid" und bezeichnet die Menschen, die sich an der Basis der Wohlstandspyramide befinden.
Vier Milliarden Arme können der Antrieb für die nächste Welle globalen Handels und Wohlstands und für Innovationen werden. Die Vision dieses Buches lautet: Gemeinsam können wir das Problem der globalen Armut lösen. Es geht nur gemeinsam; Chancen, die sich uns an der Basis der Wohlstandspyramide eröffnen, können wir nicht nutzen, solange kleine und große Unternehmen, Regierungen, private Verbände und Organisationen, Entwicklungshelfer und die Armen selbst nicht in Form einer gemeinschaftlichen Agenda zusammenwirken. Unternehmertum auf breiter Basis wird der Schlüssel zum Ganzen sein.
Innovative Produkte als Schlüssel
Mit Analysen, warum die Armen - oder die BOP-Konsumenten, wie sie Prahalad etwas euphemistisch nennt, - arm sind, welche politischen oder geschichtlichen Ursachen der Armut zugrunde liegen, hält sich der Autor nicht lange auf. Er geht davon aus, dass arme Länder nicht etwa arm sind, weil ihnen Ressourcen fehlen, sondern weil sie kein entwickeltes Rechtssystem haben.
Diese Sicht der Dinge sieht Armut als ein in den meisten Teilen der Welt - zumindest zum Teil - selbst auferlegtes Problem. Die Bildung von Kapital und ein Funktionieren der Märkte werden durch das Fehlen institutioneller Klarheit im Keim erstickt.
Lieber konzentriert sich Prahalad auf sein Rezept zur Überwindung der Armut, und das lautet wie folgt: Die großen internationalen Unternehmen wie Banken, Mobilfunkbetreiber, Chemie und Saatgut-Konzerne sollen gemeinsam mit örtlichen Behörden innovative Produkte entwickeln und anbieten, die den Armen zu besserer Lebensqualität verhelfen.
Unter dem Strich ist unsere Botschaft ganz einfach: Man kann selber Erfolg haben, indem man Gutes für andere tut.
Nachteil Armutsprämie
Arme, so ein Ergebnis von Prahalads Forschung, sind nämlich auch deshalb arm, weil sie für die gleichen Produkte viel mehr bezahlen müssen als Reiche. Prahalad nennt das die Armutsprämie. So bezahlen zum Beispiel die Bewohner einer besseren Wohngegend in Bombay für einen Kredit pro Jahr 12 bis 18 Prozent Zinsen, die Bewohner eines Slums hingegen 600 bis 1.000 Prozent, also über 50 Mal mehr.
Ein Kubikmeter Wasser kostet im Reichenviertel 37 Mal weniger als im Slum. Auch für Telekommunikation, Medikamente und Lebensmittel bezahlen Arme mehr, weil der Vertrieb ineffizient ist und lokale Zwischenhändler hohe Aufschläge verlangen.
"Was liegt also näher", fragt sich Prahlad, "dass große Banken, Versorgungsunternehmen und Consumer-product-Konzerne ihr Management-Knowhow dafür verwenden, adäquate Angebote für die Armen zu machen?" Selbst wenn die Bank 25 Prozent Kreditzinsen pro Jahr verlangt, würde das für die Slumbewohner eine Verringerung der Kreditkosten von 600 auf 25 Prozent bedeuten und damit einen gewaltigen Vorteil, gleichzeitig könnte die Bank gut dabei verdienen.
Prahalads Konzept ähnelt dem Mikrokreditmodell der Grameen-Bank in Bangladesch, das längst weltweit auch von kommerziellen Banken kopiert wird - gemäß der Devise "Kleinvieh macht auch Mist". Prahalads Idee gegen die Armut ist also sehr simpel, doch scheint die Skepsis der Manager sehr groß zu sein. So muss der Autor 540 Seiten füllen, um Unternehmen davon zu überzeugen, die Konsumenten an der Basis der Wohlstandspyramide zur Chefsache zu machen.
Briefe und Fallstudien als Zeugnis
Ein großer Teil des Buches besteht aus Briefen von bereits überzeugten Managern und Fallstudien, die zeigen, dass man mit innovativen Produkten und Vertriebskonzepten die Bedürfnisse der Armen befriedigen kann und dass Unternehmen dabei gut verdienen.
Prahalad beschreibt Portionspackungen von Haarshampoo oder Ketchup für Tagelöhner, die sich keine ganze Flasche leisten können, Infoterminals, an welchen Kleinbauern der Dritten Welt sich über die Wetterprognose oder die Weltmarktpreise für Agrarprodukte informieren können. Er berichtet über den Erfolg von Sparplänen, mit welchen sich Arme das Material für ein Badezimmer ansparen können, von einer höchst effizienten Augenklinik, die Arme gratis behandelt, und von Windeln, die sich Arme leisten können, weil man sie nur zweimal am Tag wechseln muss.
Das bedeutet, dass Unternehmen Windelprodukte für BOP-Kunden technisch verbessern und die Produktqualität erhöhen müssen, im Vergleich zu den Fabrikaten, die sie zurzeit an die Bewohner reicher Länder verkaufen.
Fazit: Prahalad gelingt es, zu zeigen, dass marktwirtschaftliche Ansätze oft viel mehr zur Armutsbekämpfung beitragen als gut gemeinte Entwicklungszusammenarbeit, und er ermuntert Manager, das Potenzial und die Kaufkraft der Armen nicht weiter zu übersehen. Wer jedoch eine tiefergehende Analyse des Phänomens Armut sucht, ist bei Autoren wie dem indischen Nobelpreisträger Amartya Sen besser aufgehoben.
Service
C. K. Prahalad, "Ideen gegen Armut. Der Reichtum der Dritten Welt", übersetzt von Susanne Schindler und Cosima Grun, Redline Verlag
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