Selbstironisch und selbstbewusst
Porträt Pipilotti Rist
Pipilotti Rist hat in den letzten 15 Jahren die Kunstszene und den Kunstmarkt im Sturm erobert. Ihre bunten, oft die Grenze zum Kitsch bewusst überschreitenden, selbstironische Installationen und Videoarbeiten sind in der ganzen Welt präsent. "Pepperminta", ihr erster Kinofilm, hatte gerade in Wien Premiere.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 29.04.2010
"Pepperminta" ist das Alter Ego von Pipilotti Rist. Sie traut sich was und verschafft sich nicht nur selbst, sondern auch den anderen Selbstbewusstsein, sie überwindet ihre Angst und sagt: In meiner bunten Welt ist alles möglich. Pepperminta ist ein wenig wie Pippi Langstrumpf, nach der sich die 1962 in der Schweiz geborene Elisabeth Charlotte Rist seit jeher nennt.
Elisabeth Orth ist im Film Peppermintas Großmutter. Hat Pipilotti Rist in ihrer Biographie selbst so eine Person für sich gehabt? Es sei eine erfundene Person, antwortet Rist. Ihr selbst habe vor allem ihre Mutter Stärke und Unterstützung geliefert und die komme im Film überhaupt nicht vor. "Die Mutter ist eigentlich ausgeblendet."
Typische Schweizer Familie
Wenn man Pipilotti Rist trifft, glaubt man, das Selbstbewusstsein, das Urvertrauen sei ihr in die Wiege gelegt worden oder sie selbst komme schon aus einem bunten Künstlerhaushalt. Sie kommt aber "aus einem typischen Nachkriegsmittelstandshaus. Meine Mutter Bauerntochter, die Lehrerin wurde, mein Vater Bäckerssohn, der Arzt wurde", so Rist. "Das waren Schicksale, die möglich waren nach dem Krieg, speziell in der Schweiz, weil wir nicht in die Kriegswirren verwickelt waren."
Ihre Mutter war sehr an Theater und Literatur interessiert, ihr Vater sehr an Kirchenarchitektur, aber ein Papstgegner. Der Vater glaubte nämlich, der Papst sei schuld am Tod seiner Eltern.
"Seine Mutter verweigerte den Sex gemäß den Doktrinen des Papstes", erzählt Rist, "deswegen musste dann sein Vater anfangen zu trinken. Der bekam einen Herzschlag. Dann bekam seine Mutter aus Kummer Krebs; so hat der Papst beide auf dem Gewissen".
"Wunderbare Menschen"
Pipilotti Rist hat in Wien an der Hochschule für Angewandte Kunst studiert, damals experimentierte sie schon mit Musikbands, Super 8 und Videoformaten, ihre Installationen kreisten auch in dieser Zeit schon um weibliche Selbstbestimmung und die ansteckende Kraft der spielerischen Phantasie: "Ich hatte das Glück, wunderbare Menschen zu treffen und irgendwie scheinbar die Kraft, sie dann auch an mich zu binden, weil ich sie ernst nehme, weil ich sie gern habe."
Teil des Universums
Pipilotti Rists Film "Pepperminta" wird von der Film- und Kunstkritik diametral unterschiedlich aufgenommen. Ihre Arbeit kann begeistern und nerven, sie schert sich nicht um herkömmliche Filmrezepte oder Grenzen von Kitsch und guten Geschmack.
Zum Beispiel verbindet sie ein Bild von Elisabeth Ort mit buddhistischen Erkenntnissen: "Wo sie in den Himmel steigt im Sinn von einer Beerdigung, eine Beluftigung macht und explodiert – dort sind Kenntnisse drinnen, dass wir selber, jeder von uns... Jedes Molekül war ja schon, bevor sich die Erde gebildet hat in mehreren Sonnensystemen, die wieder implodiert und explodiert sind – das ist jetzt nicht esoterisch, sondern rein wissenschaftlich -, wenn wir vergehen werden, wird unsere Materie wieder zu anderen Planeten. (...) Wie können wir etwas betrachten und nicht dauernd werten. Unser Hirn funktioniert so. Wir erkennen etwas, weil es nicht das Andere ist, aber, dass wir das nicht übertreiben, nur in Gut und Schlecht abdriften, dass wir auch Bilder kommen und gehen lassen, ohne sie immer moralisch oder auf Attraktivität oder auf andere Kriterien hin zu untersuchen."
Pipilottis Rists Sohn heißt Himalaya. Auf die Frage, was ihr heute am wichtigsten sei, ihre Karriere, ihre Kunst, ihre Familie, das Nirvana, weiß sie nach einigem Zögern eine für sie typische Antwort: "Herauszufinden, was das Wichtigste ist, wäre mir das Wichtigste, aber das wechselt extrem nach Stimmung. Ich möchte einen Beitrag zur Schmerzverminderung meiner Mitmenschen geben."
Textfassung: Ruth Halle