Der Theologe und Autor Adolf Holl

"Lüg nicht, Bubi!"

Als der frischgebackene Priester Adolf Holl im Jahr 1954 seine erste Messe las, war er überglücklich. Sein vieldiskutiertes Buch "Jesus in schlechter Gesellschaft" führte dann aber zu seiner Suspendierung. Am 13. Mai 2010 feiert der Theologe, Philosoph und Autor seinen 80. Geburtstag.

Als Adolf Holl, pünktlich nach Abschluss der Matura im Jahr 1948, ins Priesterseminar eintreten wollte, wurde er zu einem Vorstellungsgespräch beim Regens geladen. Zu den Fragen, denen er sich stellen musste, gehörte auch die nach seinen Familienverhältnissen. Die waren kompliziert. Der leibliche Vater war im Krieg gestorben. Die unverheiratete Mutter war mit einem Mann namens Karl Holl eine Scheinehe eingegangen, dieser verdiente damit 1.000 Schilling und verschwand.

Weil Karl Holl einen jüdischen Großelternteil hatte, wurde der minderjährige Adolf von den Rassenbiologen des Dritten Reichs verdächtigt: "In seinem rassischen Erscheinungsbild weist der Prüfling in der Mundgegend Züge auf, wie wir sie bei Juden häufiger finden als in unserer Bevölkerung", heißt es in einem Gutachten, das an das Reichs-Sippenamt nach Berlin wanderte und dort glücklicherweise so lange liegen blieb, bis der Spuk vorbei war.

Dispens vom unverschuldeten Makel

Nun interessierte sich die Kirche aus anderen Gründen für seine Herkunft. Ein unehelich geborener Priesteranwärter musste erst vom unverschuldeten Makel seiner illegitimen Existenz dispensiert werden, um sich der Priesterweihe würdig zu erweisen. Kein Problem, sagte der Regens, aber ein feiner Stachel blieb im Fleisch des jungen Mannes zurück.

Kein Vater und vorerst auch kein Gott. Eine gute Voraussetzung, um ein "Luftmensch", ein Intellektueller, zu werden, wie Jean-Paul Sartre schreibt.

Adolf Holl wurde von zwei Frauen sozialisiert und geliebt. Wenn er an sie denkt, wird ihm noch heute warm ums Herz. Wenn er an Gott denkt, ist das nicht der Fall.

Wahrheitsliebe

Die Mutter arbeitet Tag und Nacht, um sich und ihren Sohn durchzubringen. Manchmal geht sie mit ihm in die Kirche, streng religiös ist sie nicht. Dort wo sie wohnen, hängt kein Kreuz. Ein Kreuz hätte die Wohnungsbesitzerin Frau Walch nicht geduldet, eine freisinnige Beamtenwitwe, die sich schon um die verwaiste Mutter und ihren Bruder gekümmert hat.

Frau Walch übernimmt die Großmutterrolle. Und sie hält gar nichts von der Kirche. Sie bringt ihrem Wahlenkel bei, dass er nicht lügen darf: "Lüg nicht, Bubi", schärft sie ihm ein. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, dass er Priester geworden ist. Und sie wäre stolz darauf, dass er das Amt just wegen seiner Wahrheitsliebe nicht mehr ausüben darf.

"Großmama", schreibt Holl, "ich habe nicht die Finsternis gesucht, sondern das Geheimnis". Er schreibt das in seiner Autobiografie "Wie ich Priester wurde, warum Jesus dagegen war und was dabei herausgekommen ist".

Beginn eines Doppellebens

Im Jahr 1944 - die Bomben der Alliierten fielen auf Wien - wurde der 14-jährige Holl aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Für ein paar Monate wird er nach Kirchberg am Wagram gebracht. Dort versorgt ihn der gütige Pfarrer mit Lesestoff, Holl darf ministrieren, hat sein Erweckungserlebnis und beginnt ein Doppelleben.

Vier Jahre bleiben ihm bis zur Matura, in denen er entscheiden muss, wie es weitergeht. Vier Jahre in der Pfarrjugend, vier Jahre, in denen er seinem Tagebuch anvertraut, wie schwer es ist, tugendhaft zu leben. Aber Widersprüche sind dem jungen Mann vertraut, er kann es sich nicht nur mit ihnen einrichten, sie sind ihm ein Anreiz zum Denken.

Außenseiter Jesus

Adolf Holl wird ein begeisterter und ungewöhnlicher Priester, sowohl Aufklärer als auch Mystiker. Er nimmt sich seine Freiheit, akzeptiert, dass er nicht zölibatär leben kann und verhilft seinen Schülern als Religionslehrer auf die geistigen Sprünge. Einer, der später Schriftsteller werden wird, hält ein provokantes Referat. Es gäbe keine freie Entscheidung zwischen Gut und Böse, nur gesellschaftliche Übereinkünfte, Machtverhältnisse. "Du bist ein Marxist", sagt Holl cool, findet das aber auch in Ordnung.

Was Holl selbst sagt und schreibt, geht zunehmend gegen die Ordnung der Amtskirche. 1971 erscheint sein Skandalbuch "Jesus in schlechter Gesellschaft". Als Ketzer fühlt er sich deswegen nicht, denn was er geschrieben hat, ist Konsens unter fortschrittlichen Theologen. Jesus war kein Gott, kein Familienmensch, kein Religionsgründer, sondern ein Außenseiter: "Lasset die Armen zu mir kommen."

Legendäre "Club 2"-Diskussionen

Auch der Wiener Kardinal König hat ein großes Herz und nichts gegen die Armen. Aber mit den veröffentlichten Zweifeln an der Auferstehung und an der Göttlichkeit von Jesus kann ein noch so aufgeschlossener Vertreter der offiziellen Amtskirche nicht leben. Also fordert er eine öffentliche Erklärung. Holl hätte widerrufen können oder relativieren, aber er konnte nicht lügen und wurde 1976 vom Priesteramt dispensiert.

Seither lebt er als "Luftmensch", der gerne Wurzeln geschlagen hätte. Mehr als 30 Bücher hat er geschrieben, viele legendäre "Club 2"-Diskussionen hat er geleitet, aber keine Messe mehr gelesen.

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