Bondys "Liebelei" bei den Wiener Festwochen
Schnitzler ohne Wiener Schmäh
Die erste Festwochen-Premiere galt der "Liebelei". "Sweet Nothings" heißt die englische Bearbeitung des Arthur-Schnitzler-Stücks, Inszeniert vom Festwochen-Intendanten Luc Bondy. Auf der Strecke bleiben dabei die Zwischentöne.
26. April 2017, 12:23
Kultur aktuelle, 11.05.2010
Noch bevor die Wiener Festwochen am 14. Mai am Rathausplatz eröffnet werden, hat der Festwochen-Intendant Luc Bondy gestern seine Sicht auf Schnitzlers "Liebelei" als Festwochen-Produktion in Wien präsentiert - eine englische Adaption des Stücks.
"Sweet Nothings" heißt die Bearbeitung des schottischen Dramatikers David Harrower, dessen Erstling "Messer in Hennen" auch hierzulande gefeiert wurde. Bondys Inszenierung von "Sweet Nothings" wurde Anfang März am Young Vic Theater in London uraufgeführt.
Publikum nicht begeistert
Freundlicher Applaus - mehr war das nicht gestern Abend. Das Wiener Publikum teilte nicht die Begeisterung der englischen Kritiker - bei der Londoner Uraufführung im März war das Stück auch noch angekündigt als "Sextragödie des Autors von 'Eyes Wide Shut'".
Zur Erinnerung: Von Ehre und Konventionen erzählt Schnitzlers Liebelei, sein erster großer Bühnenerfolg im Wien des Jahres 1895, von Lügen und Betrug, von Verletzlichkeit und Begierden.
Schnitzler als Gesellschaftsdiagnostiker
Sweet Nothings - das heißt so viel wie "Süße Nichtigkeiten". Ein Zeitvertreib sind die beiden süßen Mädeln aus der Vorstadt für zwei junge Männer aus gutem Hause. Ein Happy End ist nicht vorgesehen. Christine weiß das nicht. Sie glaubt an die große Liebe und begeht am Schluss wahrscheinlich Selbstmord. Fritz, der ihr das Herz gebrochen hat, stirbt im Duell - nachdem seine Affäre mit einer verheirateten Frau aufgeflogen ist.
Luc Bondy hat Schnitzler schon mehrfach interpretiert. Die "Liebelei" wollte er vom Wiener Schmäh entschlacken, und Schnitzler als Gesellschaftsdiagnostiker in den Vordergrund stellen.
Lapidarer Ton
Von der Macht der Sehnsüchte und Träume jenseits der Klassengesellschaft erzählt Luc Bondys Inszenierung. Der lapidare Ton von David Harrowers Übertragung unterstützt dieses Konzept. Und ja: Es ist mehr eine Übertragung, als - wie angekündigt - eine Neufassung. Einen härteren, schnelleren, direkten Ton hat Harrower für die Schnitzlerschen Figuren gefunden.
Cool kommt das daher, keine Rede mehr vom Klischee vom süßen Mädel und von Fin-de-siècle-Flair. Allein: man wundert sich über die Ausstattung, die eben das zu unterlaufen scheint. Langsam dreht sich die Rundbühne von Karl-Ernst Herrmann: zuerst eine plüschrote Junggesellenwohnung mit bürgerlichem Interieur, Kerzen und Klavier, dann: ein kleinbürgerliches Ambiente in blendend weißem Jugendstil. Zwischen Lakonie und Historisierung - auf der Strecke bleiben die Zwischentöne. An die atmosphärische Dichte der "Liebelei", an Arthur Schnitzler, der mit seiner Erkundung von Seelenlandschaften zu berühren weiß, kommt "Sweet Nothings" nicht heran.