Londons Kathedrale moderner Kunst
Zehn Jahre Tate Modern
Filialen großer Museen sind seit Jahren ein Renner. Ob Guggenheim, Louvre oder Centre Pompidou - die Ableger sollen die Sammlungen einem größeren Publikum zugänglich machen und nicht selten Lokomotiven der Stadtentwicklung sein. Eines der gelungensten Beispiele ist die Tate Modern, die eben zehn Jahre alt geworden ist.
8. April 2017, 21:58
Es begann mit einer Riesenspinne. Später sonnten sich Besucher auf dem Fußboden und rutschten eine Megarutsche herunter. Zuletzt tapsten sie in einer dunklen Box herum. In den letzten zehn Jahren strömten mehr als 30 Millionen Besucher in die Tate Modern in London.
Imposantes Gebäude
Ist es die Turbinenhalle mit ihren spektakulären Installationen, ist es die Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst oder einfach das Gebäude und der Ausblick auf die St.-Paul-Kathedrale, die dieses Museum zu einem der bekanntesten der Welt gemacht haben? Mittlerweile ist das Museum so erfolgreich, dass es vergrößert werden muss.
"Ich denke, es liegt an dem Gebäude. Und es liegt an der Art und Weise, wie die Kunst gezeigt wird", sagt Nicholas Serota, Direktor der Tate-Galerien, in einem Interview zum 10. Geburtstag. "Es ist eine Institution, die die Leute als sehr zugänglich empfinden."
Das Gebäude, ein altes Kraftwerk, ist in der Tat atemberaubend. Der Architekt Giles Gilbert Scott, Designer der typischen roten Telefonhäuschen, plante den Backsteinkoloss in den 40er Jahren am Südufer der Themse gegenüber von St. Paul's. Die "Kathedrale der Energie" sollte zwar mächtig sein, doch der Schornstein war mit 99 Metern bewusst 15 Meter niedriger als die Kuppel der Kirche.
Brückenkopf der Stadtentwicklung
Die Geschichte der Tate ist auch eine der Wandlung Londons. Als das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron in den 90er Jahren begann, die leerstehende "Bankside Power Station" zu einem Museum zu verwandeln, veränderte sich auch das Stadtbild. Mit der Eröffnung des Museums am 12. Mai 2000 wurde der Bezirk Southwark vom Gammelviertel zum Szenebezirk.
Plötzlich konnte man wieder südlich der Themse wohnen. Es sind gläserne Appartements entstanden, die sich nur noch Reiche leisten können. Auf der Millennium-Brücke von Architekt Norman Foster, die zeitgleich entstand, laufen heute Massen von Nord nach Süd und umgekehrt.
Neue Heimstatt moderner Kunst
Auch für die Kunst war die Eröffnung ein Meilenstein. London hatte zwar mit der National Gallery oder der Tate Britain - der "Mutter" der Tate Modern - hochkarätige Kunstmuseen. Ein eigenes Museum für moderne und zeitgenössische Kunst gab es aber, anders als in Paris oder New York, nicht. Der Zeitpunkt für den Bau war günstig:London boomte, der Finanzsektor brachte Geld und zeitgenössische britische Kunst sorgte für Aufsehen. Der Sammler Charles Saatchi machte Künstler wie Damien Hirst und Tracey Emin berühmt. "Charles machte London zu einer Stadt, in der man zeitgenössische Kunst sehen wollte", sagt Serota.
Die Sammlung beginnt 1900 und reicht bis heute. Die Werke - darunter einige von Matisse, Picasso, Dalí, Rothko und Beuys - sind nicht chronologisch geordnet, sondern thematisch. Das liegt zum einen daran, dass die Sammlung anders als im Museum of Modern Art in New York lückenhaft ist. Eine chronologische Ordnung würde den Mangel offenlegen. Andererseits wurde so ein neues Konzept ausprobiert.
Die Besucher würdigen es. War man zunächst davon ausgegangen, dass pro Jahr rund zwei Millionen Menschen kommen, sind es nun fast fünf Millionen. Grund dafür sind sicher die spektakulären Installationen in der Turbinenhalle. "Man kann nicht so tun, als sei das ein normaler Raum", sagt der deutsche Künstler Carsten Höller, der 2006 im Rahmen der sogenannten Unilever Series eine Riesenrutsche baute.
"Mitmach-Kunst" brachte Spaß. Bei den meisten Werken ist das Publikum eingebunden, so bei Olafur Eliassons "Weather Project", für das eine künstliche Nebelsonne schien, oder bei Miroslaw Balkas begehbarer Riesenbox, in der nichts herrschte außer Dunkelheit. Im Oktober ist der chinesische Starkünstler Ai Weiwei dran. Damit wendet sich nun auch die Tate Modern in Richtung China - bisher stellten in der Halle nur westliche Künstler aus.
Erweiterung in Zeiten der Krise
Für die Zukunft will sich die Tate aber vor allem mit einer Vergrößerung rüsten. Geplant ist ein riesiger pyramidenähnlicher Anbau, auch sollen die Öltanks des Kraftwerks umgebaut werden. 60 Prozent Ausstellungsfläche sollen hinzukommen. Beauftragt ist wieder Herzog & de Meuron.
Finanznot plagt allerdings auch erfolgreiche Institutionen. Eigentlich sollte "Tate Modern 2" zu den Olympischen Spielen 2012 in London fertig sein. Doch von den benötigten 215 Millionen Pfund (247 Millionen Euro) sind bisher nur 75 Millionen da. Ob also das gesamte Projekt bis 2012 steht, ist ungewiss. Aber zumindest die Öltanks im Untergrund sollen bis dahin fertig sein.
Text: Annette Reuther, dpa