Große Architektur-Ausstellung in Herford

Richard Neutra in Europa

Der Österreicher Richard Neutra war der Doktor Haus unter den Architekten, für den ein Bauwerk eine gesundheitsfördernde Wirkung zu haben hatte. Das Museum MARTa in Herford in Ostwestfalen widmet den Projekten des gebürtigen Wieners derzeit eine umfassende Ausstellung, in der selbst Kenner neues entdecken werden.

Kultur aktuell, 18.05.2010

Die Schau, zu sehen bis 1. August 2010, konzentriert sich auf die Arbeiten Neutras, die er von 1960 bis zu seinem Tod im Jahr 1970 in Deutschland, Frankreich sowie der Schweiz realisiert beziehungsweise geplant hat.

Klare Linien und rechte Winkel

Im Zentrum der Kleinstadt Herford treffen zwei Stile aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mitten im weiten, raumstürmenden, dauergewellten wie gewölbten Museum, das der Amerikaner Frank O. Gehry entworfen hat, findet sich eine Ausstellungslandschaft, in der klare Linien und rechte Winkel dominieren. Anhand von Modellen, Skizzen, Plänen, Fotos, Filmen und Aufzeichnungen lässt sich Richard Neutras sinnliches Architekturverständnis nachvollziehen. Ein richtig entworfenes Haus war für ihn ein gleichsam offener, lebendiger Platz.

"Wir haben den Drang, auch mit unseren Nachbarn bekannt zu sein und sie nicht nur dadurch zu kennen, dass wir mit dem Automobil an ihnen vorüberfahren und ihre Kotflügel abreißen. Kein Mensch ist von Natur ein Einsiedler", so der Architekt.

Wohnräume und Landschaft

Großzügig hat er die Wohnräume konzipiert, die direkt in die Landschaft überzugehen scheinen. Drinnen und draußen trennt Richard Neutra oft nur durch eine Glasfront. Filigrane Dachbalken, die er "Spinnenbeine" genannt hat, greifen über die Fassade, um das Gebäude mit der Natur zu verbinden. Er legt flache Wasserbecken an, die den Himmel ins Haus spiegeln. Um das Heim exakt auf die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Bewohner abzustimmen, hat er seine Auftraggeber umfangreiche Fragebogen ausfüllen lassen.

"Biorealistisches Bauen" hat er sein Konzept genannt, erzählt Neutras Sohn Dion, ebenfalls Architekt: "Jedes unserer Projekte haben wir mit der Frage begonnen, wie wir den Menschen zur Natur in Beziehung setzen können. Um dieses Verhältnis, besonders die klimatischen Herausforderungen und die Reaktion darauf, ging es ja schon in den Anfängen der Menschheit. Daran haben wir gedacht und berücksichtig, dass sich der heutige Mensch im Kontakt mit der Natur wohler fühlt. Das ist die Theorie hinter all den Projekten."

Bei Loos studiert

Richard Neutra, geboren 1892 in Wien Leopoldstadt, hat bei Alfred Loos studiert, danach in Berlin bei Erich Mendelsohn gearbeitet. Anfang der 1920 Jahre übersiedelt er in die USA. Zunächst findet er eine Stelle im Büro des Architekten Frank Lloyd Wright - ein Pionier der organischen Bauweise. Dann übersiedelt er nach Los Angeles, wo er zum Team seines Wiener Studienkollegen Rudolph Schindler stößt.

An der Westküste spezialisiert sich Neutra darauf, seine hellen, flachen Bauten in sorgfältig arrangierte Gärten einzubetten. Gegen 1960, es läuft für ihn nicht mehr so gut in den USA, kehrt Neutra zurück nach Europa. Hier realisiert er acht Villen, so auch eine für den Zeit Verleger Gerd Bucerius, und zwei Wohnanlagen, sagt Kurator Klaus Leuschel: "Er hat ein Stück weit von der Nachkriegssituation. Da müssen wir uns die 60er Jahre im deutschsprachigen Raum vergegenwärtigen. Da sind diese Häuser bestens geeignet, das anschaulich werden zu lassen, weil es nicht das dumpfe Deutsche der Nachkriegsarchitektur gewesen ist, sondern er was Kalifornien."

Nicht gebaute Projekte dokumentiert

Zum ersten Mal werden in Herford auch sieben nicht gebaute Projekte dokumentiert. Sie sind erst vor wenigen Monaten im Nachlass entdeckt worden - etwa ein Hausentwurf für die Industriellenfamilie Henkel in Düsseldorf.

Ergänzt wird die Schau im MARTa durch eine Bilderserie des renommierten Architekturphotographen Julius Shulman. In großer atmosphärischer Dichte setzt er Richard Neutras Häuser in den USA und Europa wie Ikonen des californian way of live and life in Szene.

Service

"Richard Neutra in Europa. Bauten und Projekte 1960 - 1970", 8. Mai bis 1. August 2010, MARTa Herford

MARTa Herford